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Hertha BSC
© ddp

Bundesliga: Realismus à la Hertha

Nach dem 0:3 gegen Eintracht Frankfurt ist bei Hertha BSC die Ernüchterung groß. Der Klub scheint wieder einmal an den hohen Erwartungen zu scheitern, die der Verein selbst geweckt hat.

Einem Spieler mit seiner Erfahrung darf so etwas natürlich nicht passieren. Im hundertundersten Bundesligaspiel ein solcher anfängerhafter Fehler. Bryan Arguez führte den Ball unbedrängt durchs Mittelfeld, doch schon als er die ersten Gegenspieler zu Gesicht bekam, überfiel ihn ein gefährliches Gefühl der Verunsicherung. Arguez stolperte geradewegs in die Frankfurter hinein, er verlor den Ball und versuchte nur noch mit einem Klammergriff den Konter der Eintracht zu unterbinden. Vergeblich. Herthas Angriff endete mit dem dritten Tor des Tschechen Martin Fenin zum 3:0-Endstand für Eintracht Frankfurt.

Man muss Arguez zugute halten, dass es ziemlich egal ist, ob Hertha 0:2 oder 0:3 verliert. Und das mit dem hundertundersten Bundesligaspiel ist natürlich auch Quatsch. Der Amerikaner hat im Januar seinen 19. Geburtstag gefeiert, er ist erst im Winter nach Berlin gekommen, und als ihm am Samstag der fatale Ballverlust unterlief, brachte er es auf die gesammelte Bundesligaerfahrung von 28 Minuten. Man könnte also ein wenig nachsichtig sein mit dem jungen Mann. Man könnte aber auch noch einmal an den Satz erinnern, den Dieter Hoeneß, Herthas Manager, am Tag vor dem Rückrundenstart sehr gelassen und sehr bestimmt über Bryan Arguez ausgesprochen hat: „Wenn man ihn sieht, könnte man glauben, er hätte schon hundert Bundesligaspiele bestritten.“

Darin waren sie schon immer ganz groß bei Hertha: hohe Erwartungen zu wecken, die am Ende nicht einzulösen sind.

Es wäre ja nicht die erste grandiose Fehleinschätzung, die Hoeneß bei der Bewertung des eigenen Personals unterläuft. Nando Rafael zum Beispiel wurde bei Hertha ein paarmal zu oft als „Juwel“ bezeichnet; inzwischen spielt das Juwel in der Zweiten Liga, das heißt, meistens sitzt er bei Borussia Mönchengladbach auf der Bank. Eine ähnliche Karriere könnte auch Solomon Okoronkwo drohen, von dem Hoeneß nach seiner Verpflichtung vor knapp vier Jahren gesagt hat: „Den Namen wird man sich merken müssen.“ Oder Kevin-Prince Boateng. Der galt bei Hertha schon früh als „Mann der Zukunft“, doch noch bevor die Gegenwart richtig begonnen hatte, entschloss er sich, keine Lust mehr auf Hertha zu haben.

Realismus gibt es bei Hertha nur als Vorgriff – als Vorgriff auf große Zeiten. Man kann Hoeneß ja nicht absprechen, dass er die aktuelle Saison, auch gegen öffentliches Aufbegehren, wieder und wieder zum Jahr des Umbruchs erklärt hat, dass er nie mehr versprochen hat als einen biederen, aber auch sicheren Mittelfeldplatz. Allerdings nur als erstes Etappenziel eines Dreijahresplans, der, natürlich, mit der Qualifikation für die Champions League enden sollte. Bisher konnte Hoeneß noch darauf verweisen, dass die Mannschaft dem einstelligen Tabellenplatz näher war als der Abstiegszone. Das ist seit dem peinlichen 0:3 gegen Frankfurt hinfällig. „Zum Glück haben die anderen verloren“, sagte Trainer Lucien Favre nach dem ersten Spieltag der Rückrunde. Die anderen, das sind für Hertha jetzt: Cottbus, Nürnberg und Rostock. Nicht Hannover, Wolfsburg oder Frankfurt, von Schalke, Bremen oder Leverkusen ganz zu schweigen.

Der Trainer ist neu, die Mannschaft einmal komplett ausgetauscht worden, aber wieder einmal verheißt die Rückrunde dem Berliner Fußball-Bundesligisten wenig Freude. „Wir sind im Abstiegskampf“, sagt Favre.

Es gibt Momente, in denen seine Mannschaft ihn, den Perfektionisten, in den Wahnsinn treibt. Das 2:0 für die Frankfurter war so ein Moment: Ballverlust im Mittelfeld, ein schneller Pass in die Spitze auf Fenin, der sich in vollem Tempo mit einem Übersteiger seines Gegenspielers Sofian Chahed entledigt und den Ball ins kurze Eck wuchtet. „Ein dummes Tor“, sagte Favre.

Übersteiger kann Patrick Ebert auch. Einmal hat er gegen Frankfurt im Mittelfeld dieses Kunststückchen aufgeführt. Anschließend war er derart von sich begeistert, dass er den Ball über drei Meter so unpräzise zu Pal Dardai passte, dass der ihn nicht mehr kontrollieren konnte. Das ist typisch für die Berliner: Die Kür ist wichtiger als die Pflicht. Ebert, 20 Jahre alt, ist im Sommer zur Symbolfigur für die neue Hertha auserkoren worden. Das ist er tatsächlich, allerdings nicht so, wie geplant. Ebert steht für die grassierende Selbstüberschätzung des Klubs.

Im Sommer brauchte Hertha unbedingt ein neues junges Gesicht, nachdem der Klub sechs Spieler aus dem eigenen Nachwuchs verloren hatte. Mangels anderer Kandidaten blieb nur Ebert, ein Junge aus der Region, blond und smart. Dass er in der Saison zuvor allenfalls ein Mitläufer gewesen war – geschenkt.

Patrick Ebert ist, im Wortsinne, ein Krisengewinnler. Im Herbst bekam der Mittelfeldspieler einen neuen, deutlich besser dotierten Vertrag, nachdem plötzlich das Gerücht auf dem Markt war, andere Vereine interessierten sich für ihn. Die Bayern zum Beispiel. Hertha selbst hat den jungen Mann zur Übergröße aufgeblasen und muss jetzt teuer dafür bezahlen.

Ebert ist ein rotziger Junge. Er trägt am liebsten Fußballschuhe in Weiß oder Orange und zieht sich die Stutzen über die Knie, so wie es Thierry Henry macht, der Weltstar vom FC Barcelona. Ebert hält sich für wer weiß wen – nur nicht für einen durchaus talentierten Nachwuchsfußballer, der seinem Alter entsprechend noch einiges lernen muss. Gegen Frankfurt schien er beweisen zu wollen, dass man ein ganzes Spiel den Ball ausschließlich mit der Hacke spielen kann. Trainer Lucien Favre, der von seiner Mannschaft das einfache Spiel verlangt, sagte dazu: „Ich will darüber nicht reden.“

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