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Rendezvous beim Rollstuhlbasketball: Ein paralympisches Paar in Paris
Jan Sadler und Vanessa Erskine sind verlobt – und bestreiten mit ihren Mannschaften an diesem Samstag die letzten Turnierspiele bei den Paralympics.
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Als die Nationalspieler im Rollstuhlbasketball in die Bercy Arena gefahren kommen, strahlt Vanessa Erskine übers ganze Gesicht und die Niederlage vom Mittwoch scheint vergessen. Sie sitzt ein paar Meter von der äußeren Linie des Spielfeldrands entfernt und hört die Halle toben, vom Stadionsprecher angeheizt, der jeden Deutschen einsagt, als handle es sich um einen Wrestlingstar.
Erskine hat das alles selbst schon öfters erlebt. 2016 in Rio gewann die inzwischen 30-Jährige bei den Paralympics Gold, damals noch im Rollstuhlbasketballteam für die USA. Zwei Jahre später hatte sie ihr „Transition-Jahr“, wie sie es nennt, und spielt seitdem für den deutschen Verband.
In den Staaten, erzählt sie am Donnerstag, habe es sich irgendwann weniger nach einem Zuhause angefühlt, als in ihrer neuen Wahlheimat. Dazu kamen die Kosten: In den USA hätte Erskine, die seit einem Unfall mit 17 im Rollstuhl sitzt, 2000 Euro monatlich für die Krankenversicherung zahlen müssen und alle Kosten, die aufgrund ihrer Behinderung anfallen, obendrauf.
In Deutschland konnte sie nicht nur Profispielerin werden, ohne sich hoffnungslos zu verschulden, sondern lernte beim Team von Hannover United auch ihren jetzigen Verlobten kennen, dessen Name nun durch die Arena in Paris schallt.

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Jan Sadler ist Spieler der deutschen Männermannschaft und genau wie Erskine für das deutsche Team im Turnier. Anders als seine Verlobte jagt er mit den Männern noch nach Medaillen: Während die Frauenmannschaft sich am Mittwoch etwas überraschend schon im Viertelfinale Kanada geschlagen geben musste, dürfen sich die deutschen Männer an diesem Donnerstagabend auf die erste Halbfinalteilnahme nach 32 Jahren freuen – „und das ist absolut krank“, staunt Erskine.
Während des paralympischen Turniers sehen sich die beiden kaum, weil sie so viel Zeit mit ihren Mannschaften verbringen, auch abseits des Trainings. Die Deutschen leben im Athletendorf im gleichen Haus wie die Teams der Österreicher und Schweizer, aber auf unterschiedlichen Etagen.
Was das Paar während dieser Woche trotzdem verbindet: Beide nehmen in ihren Teams die Rolle des erfahrenen Ansprechpartners ein. „Wenn Leute im Team Sorgen haben, kommen sie zu mir“, berichtet Erskine: „Jan und ich sind beide nicht mehr die Spieler, die 40 Minuten auf dem Platz stehen.“ Auch an diesem Abend nimmt Sadler im Spiel gegen Großbritannien erst einmal auf der Bank Platz.
Gegen die Briten, auf die man bereits in der Vorrunde traf und verlor, geht das deutsche Team als Underdog in die Partie. Ihre Begeisterung zieht Vanessa Erskine aber vor allem aus dem, was sie dieser Mannschaft noch zutraut: „Das Krasse ist, die sind fast alle unter 26 – wir haben eine super junge Mannschaft und das ist einfach geil.“ Während des Einfahrens der Spieler nennt sie das Alter jedes Einzelnen, dann werden die Nationalhymnen gespielt. Bevor der obligatorische Buzzerton erklingt, der im Basketball das Spiel startet, wirft Erskine ihrem Mann noch einen Kussmund zu.

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Die erste Halbzeit gestaltet sich zur Zufriedenheit der deutschen Fans, von denen es in der Halle nicht wenige gibt, ausgeglichen. „So hatte ich das erwartet, auch erhofft“, kommentiert Erskine dazu. „Solange man nicht über zehn Punkte in Rückstand ist, ist im Basketball sowieso alles aufholbar.“
Genau das geschieht dann im dritten Drittel; das deutsche Team verliert den Faden, trifft vorne kaum Körbe und kriegt in der Defensive Gregg Warburton nicht in den Griff, der das Vereinigte Königreich mit 35 Punkten fast im Alleingang ins Finale wirft. Die große Depression bricht am Ende trotzdem nicht aus: „Wenn’s so deutlich ist, dann kann man das auch schneller abhaken“, tröstet sich Nationalspieler Nico Dreimüller unmittelbar nach der Partie.
Trösten können sich Vanessa Erskine und Jan Sadler nun auch gegenseitig, bevor sie, getreu ihrer Teamrolle, den Fokus zuversichtlich auf ihre abschließenden Spiele richten: Während das Frauenteam nun ihrerseits im Platzierungsspiel um Platz fünf am Samstag gegen Großbritannien (19.15 Uhr) ran darf, kämpfen die Männer zuvor gegen Kanada (16 Uhr) um Bronze.
Vanessa Erskine ist nach der Schlusssirene enttäuscht, hat den Blick aber auch schon in der Ferne gerichtet und prophezeit: „In vier Jahren in Los Angeles wird diese Mannschaft ein großartiges Turnier spielen.“ Sie selbst will dann nicht mehr im Profibereich auf dem Platz stehen und könnte trotzdem dabei sein. Die gebürtige US-Amerikanerin besitzt schon jetzt einen gültigen Trainerschein.
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