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Bürger entscheiden selbst: Renovieren statt ruinieren - auch ohne Profisport
Viele Eissporthallen sind marode und dem Abriss geweiht, weil die Sanierung den Kommunen zu teuer ist. Doch in Nordhorn kommt es anders.
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Das Dach der Eishalle in Nordhorn ist einsturzgefährdet, sie darf von heute auf morgen nicht mehr betreten werden. Die Sportler müssen zum Training ins 40 Kilometer entfernte Rheine fahren.
Bei einer Untersuchung wurden gefährliche Risse in den Holzleimbindern der Dachkonstruktion bemerkt. Im August 2019 war das, seitdem ist die Eishalle dicht. Alt und dem Abriss geweiht – so wie das in jüngsten Jahren auch in vielen anderen Hallen in Deutschland der Fall war.
Alte Hallen sind mitunter ein tödliches Risiko. 2006 starben 15 Menschen, als die Eissporthalle in Bad Reichenhall in Bayern einstürzte. Seitdem geht niemand mehr das geringste Risiko ein.
Lieber abreißen, das Sanieren ist den klammen Kreisen bei Hallen in öffentlicher Hand in der Regel zu teuer. Leidtragender ist der Breitensport, in diesem Fall Eishockey, Eiskunstlauf und öffentlicher Eislauf.
Die Liste der baufälligen Eissporthallen in Deutschland ist lang. Einige Beispiele: In Dinklage wurde die Halle saniert, in Viernheim und Münster wurde sie jeweils abgerissen. In Timmendorf gab es einen und in Unna bereits zwei positive Bürgerentscheide. Das Erika-Heß-Stadion in Wedding wurde im Januar kurzerhand zum Impfzentrum umfunktioniert.
Unter dem Motto „Sport für alle“ wurden zwischen 1961 und 1975 in ganz Westdeutschland neue Sportstätten gebaut. 17 Milliarden D-Mark wanderten als Teil des Goldenen Plans in den Bau von Spielplätzen, Sporthallen, Freibädern und auch Eissporthallen.
„Viele Hallen sind inzwischen 40 oder sogar 50 Jahre alt“, sagt der Technische Direktor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB), Michael Pfuhl. „Damals wurden noch ganz andere Materialien benutzt. Es ist normal, dass die alten Hallen kaputt gehen. In den letzten Jahrzehnten wurde der Bau von Sportstätten eher stiefmütterlich behandelt.“ Daher setzte sich der DEB auch für den Erhalt der Halle in Nordhorn ein.
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Eine Eissporthalle wirtschaftlich zu betreiben ist nahezu ausgeschlossen – zumindest ohne hochklassigen Profisport. Rund 400 000 Euro kostet den Landkreis Grafschaft Bentheim die Nordhorner Halle pro Jahr. Die Betriebskosten sind hoch, die Einnahmen niedrig.
Somit wird jeder der gut 20.000 Besucher jährlich mit etwa 20 Euro subventioniert. Doch das gilt auch für viele anderen öffentlichen Institutionen einer Stadt: Deutschlandweit wird jede Theaterkarte im Durchschnitt mit fast 80 Euro bezuschusst, jeder Schwimmbadbesuch mit fünf Euro. Parks, Museen, öffentliche Sporthallen und Sportplätze, sie alle sind rein ökonomisch betrachtet ein Minusgeschäft. Und doch verbessern sie das Leben vieler – wenn sie nicht gerade in Corona-Zeiten geschlossen sind.
Gleichzeitig werden in den Städten, wo Profieishockey gespielt wird, fleißig Eisstadien und Multifunktions-Arenen gebaut. In München soll 2022 der neue „SAP Garden“ eröffnet werden.
Die Fläche des Baus beträgt 62 500 Quadratmeter, so viel wie 32 Eishockeyfelder. Die Baukosten von etwa 150 Millionen Euro trägt die Red Bull GmbH. Vier Eisflächen sind geplant, auch Breitensport soll möglich sein.
Der ETC Crimmitschau hat eine neue Eishalle speziell für die Nachwuchsabteilung bekommen. Die von öffentlicher Hand errichteten Hallen in Kaufbeuren, Bietigheim und Bremerhaven sind noch keine zehn Jahre alt. Alle fünf Standorte haben einen Klub in der ersten, zweiten oder dritten Liga.
„Profisport macht es einfacher, weil die Zuschauereinnahmen die Kosten refinanzieren und die Identifikation in der Region oft größer ist. Das Hauptkriterium ist es aber nicht“, sagt DEB-Direktor Pfuhl. Außerdem gebe es hier Auflagen, dass auch Raum für andere Eissportarten und freie Eiszeiten gelassen wird. Er sieht den Breitensport nicht in Gefahr.
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Kritiker werfen dem Landkreis in Bentheim vor, er habe die Halle kaputtgespart. Die Verwaltung hält dagegen: Man habe die Halle definitiv nicht verkommen lassen. Die Nordhorner Halle wurde 1975 für 4,5 Millionen D-Mark gebaut. Schon jetzt sei die Halle weit über die auf 35 Jahre geschätzte Nutzungsdauer hinaus.
Zu Hochzeiten trafen sich in der Halle fast 3000 Eishockeyfans. Wenn Nordhorn spielte, schien die ganze Stadt auf den Beinen. 1998 stieg der GEC Nordhorn in die damalige zweithöchste nationale Liga auf. „Damals entstand ein echter Eishockeyboom. Auf den Straßen spielten plötzlich alle Kinder nur noch Hockey“, sagt Maik Holzke.
Als Goalie verbrachte sein halbes Leben in dieser Halle. Mit fünf Jahren stand er zum ersten Mal auf dem Eis, niemand spielte länger für die Nordhorner Vereine. Für ihn ist die Eissporthalle „immer noch eine der schönsten Hallen Niedersachsens“.
Offensichtlich sehen das viele in Nordhorn so. Die Bürger der Grafschaft Bentheim haben am Sonntag ein deutliches Zeichen gesetzt: Fast drei Viertel von ihnen stimmen bei der corona-bedingten Briefwahl für die Sanierung der Eissporthalle. Jetzt soll sie für etwa 6,5 Millionen Euro schnellstmöglich renoviert werden.
Es war der erste Bürgerentscheid überhaupt in der Kommune. Zuvor hatte eine Bürgerinitiative mit mehr als 10 000 Unterschriften dafür gesorgt, dass die Politik den Bürgerinnen und Bürgern die Entscheidung selbst überließ.
Beim DEB ist die Freude über den Ausgang der Wahl groß. „Es zeigt, dass die Halle in der Region gebraucht wird“, sagt Pfuhl.
Luca Füllgraf
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