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Schach-WM in Singapur: Warum Weltmeister Ding Liren gegen Gukesh vielleicht doch eine Chance hat
Das Match um die Schach-WM scheint schon vorher für den indischen Aufsteiger Gukesh entschieden. Weltmeister Ding Liren ist krasser Außenseiter. Wenn es da nicht eine erstaunliche Statistik gäbe.
Stand:
Gerade hatte er wieder einen Boss-Auftritt, fegte beim Tata-Steel-Chess-Turnier in Indien reihenweise Großmeister vom Brett. Magnus Carlsen, oder: The GOAT, The Greatest Of All Times, wie der Norweger ob seiner Dominanz im Schach genannt wird. Dumm nur, dass der Weltranglistenerste ab Montag gar nicht dabei ist, wenn in Singapur bei der Schach-WM der (vermeintlich) beste Schachspieler der Welt gesucht wird.
Dort treffen der Weltmeister Ding Liren, 32, und der erst 18-jährige indische Herausforderer Dommaraju Gukesh aufeinander. Eine seltsame WM, nicht nur wegen der Abwesenheit des besten Schachspielers, sondern wegen der Verfassung des aktuellen Weltmeisters. Normalerweise gilt ein Titelträger, wie früher Kasparov oder eben Carlsen, als Favorit. Nicht hier, nicht jetzt.
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Ding Lirens Formkurve zeigt seit seiner WM-Eroberung 2023 gegen den Russen Ian Nepomniachtchi besorgniserregend nach unten. Keine seiner letzten 28 klassischen Schachpartien konnte der Chinese gewinnen. Lang her sind die Zeiten, als Ding Liren von August 2017 bis November 2018 in 100 Partien in Serie auf höchstem Niveau ungeschlagen blieb.
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Und nun? Mit Mühe rettete sich Liren zuletzt in das eine oder andere Remis, monatelang spielte er gar nicht. Statt Bewunderung schwingt Mitleid mit, wenn man vom Weltmeister vor seiner ersten Titelverteidigung spricht. Zu zaghaft, zu ängstlich seine Spielweise. So gewinnt man keine Partie. Von Krankheit ist in Interviews und Porträts mit Liren die Rede, von Depressionen gar.
In einem Interview vor ein paar Wochen verriet Ding, dass er sich als klarer Außenseiter im Titelkampf sieht. Er mache sich Sorgen, dass er sehr hoch verlieren werde. Carlsen deutete Anfang des Jahres an, dass Ding „dauerhaft gebrochen“ sein könnte.
Parallel dazu ist Gukesh einer jener Handvoll kraftvoll nach vorne strebender junger indischer Weltklassespieler wie Arjun Erigaisi, Sandosh Vidit oder Praggnanandhaa, die Magnus Carlsen bei Turnieren wie jüngst beim Tata Chess überhaupt noch annähernd die Stirn bieten können. Zu Gukeshs jüngsten Erfolgen gehört eine beeindruckende Goldmedaille am ersten Brett der indischen Mannschaft, die im September die 45. Schacholympiade klar gewonnen hat.
Was soll da in Singapur schon schiefgehen? Gukesh wäre mit 18 der jüngste Weltmeister aller Zeiten, in einem der vielleicht kürzesten WM-Matches aller Zeiten. Angesetzt sind bis zum 15. Dezember 14 Partien im klassischen Schach, mit zwei Stunden Bedenkzeit für die ersten 40 Züge. Wer zuerst 7,5 Punkten erreicht, hat gewonnen.
Auch wenn das Event vom weltweit führenden Technologieunternehmen Google gesponsert wird, es hat also vielleicht nicht die Strahlkraft, die es hätte, wenn ein Magnus Carlsen dabei wäre. Abgesehen davon, dass der mit Corona und der Netflix-Serie „Damengambit“ gestartete Schach-Hype am klassischen (WM-)Schach mit langer Bedenkzeit eher vorbeigegangen ist.
Gewonnen hat Gukesh gegen Ding Liren auch noch nie
Nicht umsonst spielt Carlsen fast nur noch Blitz- und Rapid-Schach mit kürzerer Bedenkzeit, etwa beim FC St. Pauli oder zuletzt die spektakuläre Schach960-Variante beim Turnier im Weissenhaus und jetzt auch als Freestyle-Event vor der WM in Singapur gegen Fabiano Caruana (2025 soll auch ein offizieller Freestyle Chess Weltmeistertitel eingeführt werden).
Hat dann diese Schach-WM überhaupt noch einen Wert? Sehnsüchtig erinnern sich Schachfans an bannende WM-Matches der Vergangenheit, wie die von Carlsen gegen Caruana, Kasparov gegen Karpov und Bobby Fischer gegen Boris Spasski, die auf Augenhöhe stattfanden oder gar als Kampf der Systeme verstanden wurden.
Für Ding Liren (und Schachfans) bleibt der Reiz dieser Erzählung: Du hast keine Chance, nutze sie! Immerhin geht es um ein Gesamtpreisgeld von 2,5 Millionen Dollar. In der Weltrangliste ist der Weltmeister mit 2728 Elo-Punkten auf Platz 23 abgerutscht, hinter der deutschen Hoffnung Vincent Keymer (Gukesh liegt auf Platz 5 mit 2783 Elo-Punkten). Aber vielleicht hat der Chinese ja auch geblufft. Gewonnen hat Gukesh gegen Ding Liren im klassischen Schach noch nie. Wer zocken will, sollte bei dieser Schach-WM auf den Weltmeister setzen.
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