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Nur ein Feigenblatt? Ein Dopingkontrolleur bei der Fußball-WM.

© imago/ITAR-TASS

Fritz Sörgel zur WM 2018: „Schweigen über Doping – das ist die Arroganz der Macht“

Doping-Experte Fritz Sörgel über Trends im Fußball, den unwahrscheinlichen Sündenfall bei der Weltmeisterschaft – und warum das Märchen vom sauberen Sport so gefährlich ist. Ein Interview.

Herr Sörgel, Russland stand vor dem Turnier in der Weltrangliste so schlecht wie kein anderer WM-Teilnehmer. Jetzt gewinnt das Team sein Auftaktspiel im eigenen Land 5:0. Man ist mit Blick auf den McLaren-Report ja fast versucht, zu fragen: Bringt Doping im Fußball etwa doch etwas?

Das haben Sie schön gesagt.

Der Fußball-Weltverband hat die russischen Spieler vor der WM aber von jedem Verdacht freigesprochen.

Der Freispruch ist nichts wert. Doping ist für den Fußball einfach ein lästiges Thema. Man möchte sich damit eigentlich nicht befassen und es schnellstmöglich abmoderieren.

Woran machen Sie das fest?

Der Fußball inszeniert sich eben gern als sauberer Sport. Gedopt sind immer nur die anderen – Radsportler, Leichtathleten und Ski-Langläufer. Dabei entsprechen die Kontrollen im Fußball weder in Norm noch Häufigkeit denen anderer Sportarten.

Können Sie das erläutern?

Schauen Sie sich nur mal die Tests bei der WM an. Die Fifa ist dafür selbst verantwortlich, der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) als unabhängiger Instanz wird nicht einmal eine Beobachterrolle eingeräumt. Die Zahl der Proben ist überschaubar, der Zeitpunkt der Kontrollen vorhersehbar. Dazu gibt es in ganz Russland kein akkreditiertes Kontrolllabor – die Proben müssen per Kurier bis Lausanne geflogen werden. Das kostet unheimlich viel Zeit. Ergebnisse sind bei einigen Spielorten wahrscheinlich bis zum nächsten Spiel nicht da.

Fritz Sörgel, 67,  leitet das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg.
Fritz Sörgel, 67, leitet das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg.

© Daniel Karmann/dpa

Einen Sündenfall wird es also auch bei der WM nicht geben?

So einen Fall wie 1994 mit Diego Maradona (u. a. positiv auf Ephedrin getestet, d. Red.) wird es vermutlich nicht mehr geben. Nie würde ich nie sagen. Die großen Nationen, mit hohem technologischen Standard, professionellen Techniken, modernen Stoffen, werden sich sicher nicht erwischen lassen. Wenn es passiert, dann aus Unerfahrenheit, Dummheit – oder Verzweiflung, unbedingt mithalten zu müssen. Bei Ländern, die im Vertuschen nicht so erfahren sind.

Die Wahrscheinlichkeit steigt also spätestens 2026, wenn das Turnier auf 48 Teams erweitert wird und noch mehr „kleine“ Nationen die große Bühne betreten?

Könnte man glauben. Aber man muss eben sagen: Der Fußball will keine Dopingfälle. Also wird es wohl auch weiterhin keine geben. Wie viel tatsächlich gedopt wird, darüber sagt das nichts aus.

Das klingt nicht eben so, als könnte man dem Ganzen trauen. Wie steht es um den deutschen Fußball?

In Deutschland wird sicher besser kontrolliert als anderswo. Aber auch hier hat der Fußball Sonderrechte. Laut der Nationalen Anti-Doping Agentur (Nada) gab es in der Bundesliga 2016/2017 249 Kontrollen außerhalb des Wettkampfes. Das heißt, weniger als jeder zweite wird außerhalb der Spiele kontrolliert – im Verlauf einer ganzen Saison. In der Regionalliga finden seit vergangenem Jahr überhaupt keine Kontrollen mehr statt.

Andere Sportler wie der Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler berichten von vernarbten Armbeugen, weil sie fast jede Woche Blut abgeben. Trotzdem stehen sie unter Generalverdacht. Das scheint in der Fußball-Öffentlichkeit anders zu sein.

Das wird sich auch nicht ändern, solang über jede Kontrolle des DFB-Teams berichtet wird wie in der Yellow Press aus einem Königshaus. Bei einem sauberen Sportverständnis sollten Tests selbstverständlich sein, und nicht eine Eilmeldung über die Agenturen oder den Twitter-Account der Nationalmannschaft.

Dennoch hat sich Manuel Neuer kurz vor der WM über eine unangekündigte Trainingskontrolle beschwert. Keine optimale Vorbildwirkung, oder?

Dabei hat er sie selbst verschuldet! Neuer hat seine „Eigenbluttherapie“ in der Reha ja selbst medial beworben. Da muss er sich nicht wundern, wenn die Nada vorbeikommt und das genauer unter die Lupe nimmt. Sein Berater wird auch nicht glücklich gewesen sein. Aber am Beispiel Neuer und der WM sieht man auch, wie groß der Druck ist: Wenn es drauf ankommt, müssen Spieler fit sein – egal, um welchen Preis oder mit welchen Mitteln.

Fehlt im Fußball das Bewusstsein für das Thema Doping?

Dafür gibt es keine Anzeichen.

Aber Verantwortliche wie Jürgen Klopp oder Mehmet Scholl stellen sich doch immer wieder hin und sagen: Doping im Fußball bringt nichts, der Sport ist zu komplex. Bayerns Mannschaftsarzt Müller-Wohlfahrt behauptete kürzlich sogar, Doping würde die Leistung eher verschlechtern.

Ich kann diesen Unsinn nicht mehr hören. Als würde Doping nur schwere Muskeln produzieren und die Leute bewegungsuntauglich machen. Ausdauer, Konzentration, Aggressivität – all das können Sie genauso beeinflussen.

Was sind denn aktuelle Trends im Fußball?

Anabolika sind inzwischen gut nachweisbar. Sie werden aber immer noch eingesetzt. Nicht mehr so sehr als Muskelmacher, aber zur Regeneration. Im Spiel sind vor allem Aufputschmittel wie Snus (ein Kautabak aus Schweden, d. Red.) gefragt. Mit den entsprechenden Lutschtabakpäckchen hat man zuletzt zum Beispiel Real Madrids Benzema auf der Ersatzbank gesehen – oder den Dortmunder Marco Reus. Ernst zu nehmen ist mehr denn je auch das Thema Schmerzmittel und Entzündungshemmer. Bei der WM 2014 in Brasilien nahm einer offiziellen Fifa-Studie zufolge jeder zweite Spieler welche. Einige nahmen dabei bis zu neun verschiedene Medikamente vor einem Spiel.

Es zählt also formal nicht alles als Doping, was auch zu einer Leistungssteigerung führt.

Viele Mittel stehen nicht auf der Verbotsliste. Sie sind aber trotzdem gefährlich. Ein Beispiel: Der ehemalige Werder-Spieler Ivan Klasnic klagt noch heute gegen die Bremer Mannschaftsärzte. Er hat durch den jahrelangen Schmerzmittelmissbrauch mit Diclofenac seine Niere verloren und inzwischen mehrere Transplantationen hinter sich.

Trotzdem wird das Thema Medikamentenmissbrauch totgeschwiegen. Es gab in der Geschichte doch genug bekannte Fälle?

Das ist einmal mehr ein trauriger Ausdruck der Überheblichkeit gegenüber anderen Sportarten. In der Politik würde man von der Arroganz der Macht sprechen. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn der Markt sich mit den Milliarden-Einnahmen so gestaltet.

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Sie meinen, der Fußball hat die Werte Sauberkeit und Fairness nicht mehr nötig?

Das kann man so sagen. Fußball spielt auf einem anderen Planeten. Zum Glück gibt es immer wieder „Unfälle“, die uns zeigen, wie die Wirklichkeit aussieht. Den Spielern kann man es nicht einmal verübeln.

Wie meinen Sie das?

Wenn ein wichtiges Spiel bevorsteht, ist es Betreuern egal, was sie reindrücken. Man kann bei den Summen, die im Spiel sind, nicht darauf bauen, dass sie verantwortungsvoll handeln. Krank oder gesund ist nicht die Frage, sondern ob Spielen möglich ist oder nicht. Eine Kultur des Schmerzes gibt es im Spitzensport nicht.

Nun könnte man sagen, jeder ist für sein eigenes Wohl verantwortlich.

Das Gefährliche ist die Vorbildwirkung. Wenn ein Amateur oder Ambitionierter sieht: Die Profis machen das. Dann wird er auch zu den Mitteln greifen. Einer, der auf dem Sprung ist, wird alles geben, um nach oben zu kommen. Und alles nehmen. Vor allem für den Nachwuchs ist das gefährlich.

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