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Das Fitscht-Stadion in Sotschi am Ufer des Schwarzen Meeres.

© dpa/ Pavel Golovkin

WM-Kolumne: Liebesgrüße aus Moskau: Sechs Stunden im Sammeltaxi nach Sotschi

Wer in Russland in diesen Tagen an WM-Standorte reist, muss sich mitunter auf ausgefallene Alternativen einlassen. Unser Kolumnist versuchte es mit einem Sammeltaxi.

Um kurz nach sechs überholt uns eine Babuschka. Sie ist nicht gut zu Fuß, balanciert zwei schwere Einkaufstüten und bleibt alle paar Meter stehen. Für uns ist sie uneinholbar. Leise fluche ich einen gerechten Fluch, den hier glücklicherweise keiner versteht. Unten rattert die Eisenbahn vorbei.

Warum? Warum? Ja, ich hätte einen Flug nach Sotschi zum Viertelfinale der Russen gegen Kroatien früh buchen sollen, dann hätte ich vielleicht noch einen bekommen. Wer zu lange zögert, den bestraft Aeroflot. Alles weg, es bleibt nur noch die Variante, bis Krasnodar zu fliegen und dann weiter mit der Bahn. Aber das Flugzeug hat Verspätung, ich verpasse den Anschluss und müsste jetzt viereinhalb Stunden auf den nächsten Zug warten. Kein schlechtes Wort über Krasnodar. Das ist ganz bestimmt eine ganz reizende Stadt, aber ich bin müde und will nicht erst mitten in der Nacht ankommen.

Also lasse ich mich ein auf den Mann, der vor dem Bahnhof einen letzten Platz in seinem Sammeltaxi anbietet. 1500 Rubel. Das ist dreimal so viel, wie mein Bahnticket gekostet hat, es gibt keine Quittung, dieses Geld sehe ich nie wieder und das Bahnticket ist auch futsch. Egal, das Abenteuer lockt, und irgendwie will ja diese Kolumne gefüllt werden.

Wir zwängen uns zu siebt in einen alten Lada, der Chauffeur, eine russische Familie und ich. Nach zehn Minuten stehen wir im ersten Stau. Kurz mal bei Googlemaps nachschauen, wie lange es noch bis Sotschi dauert: 5 Stunden und 47 Minuten. Blödsinn, das wäre ja fast zwei Stunden länger als mit der Bahn. Wahrscheinlich stimmt da was mit dem Satellitenempfang nicht. Wir müssen doch nur runter bis zum Schwarzen Meer und dann immer geradeaus. Entspann dich, Sven!

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Wir passieren Maisfelder und überqueren sanfte Hügel. Nach eineinhalb Stunden ist das Schwarze Meer erreicht, jetzt geht es auf die Küstenautobahn und alles wird gut. Noch mal aufs Handy gucken. Hmm. Es gibt keine Küstenautobahn. Am Wasser ist nur Platz für eine schmale Trasse, die gehört der Eisenbahn. Autos müssen über die kaukasischen Berge. Serpentinen rauf, Serpentinen runter. 200 Kilometer weit. Alles sehr malerisch, aber doch ein bisschen unbequem, zu siebt in einem alten Lada mit durchgesessenen Sitzen.

Dann stehen wir im Stau, weil rechts eine andere Hauptverkehrsstraße einmündet, direkt vor einer Baustelle. „Soll ich mal dein Hotel anrufen“, fragt der Chauffeur. „Nicht, dass die dein Zimmer weggeben.“ Er greift zum Telefon und unterhält sich mit der Frau an der Rezeption, die beiden lachen und eine Babuschka mit schweren Einkaufstüten überholt uns. Hätte ich die Kolumne nicht auch über Kasan schreiben können, über diesen schrägen Laden, der nur Bier und Räucherfisch im Angebot hatte? War doch auch lustig.

In tiefer Dunkelheit erreichen wir Sotschi, nach sechs Stunden und 13 Minuten, gleich müsste auch mein Zug ankommen. Der Rücken schmerzt. Die Frau an der Rezeption lächelt mich an, „Schön, dass du da bist, aber: Warum hast du eigentlich nicht die Bahn genommen?“

Sven Goldmann ist Reporter beim Tagesspiegel und reist während der WM durch Russland.

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