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Nichts geht im Studio. Die Fitnessbranche liegt brach.

© dpa

Sport und Fitness im Corona-Lockdown: Eine ganze Branche wird durch Ignoranz diffamiert

Wenn es um die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Lockdowns geht, bleibt der Fitnessbereich oft außen vor. Das ist schwer zu akzeptieren. Ein Gastbeitrag.

Klaus Brüggemann ist Sport-und Wellnessunternehmer und Dozent für Sportökonomie an der DHfPG. Außerdem gehört er dem Aufsichtsrat des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC e.V. an und hat diesen Gastbeitrag für uns verfasst.

Die Sport-, Gesundheits- und Fitnessbranche ist durch den coronabedingten Lockdown besonders hart getroffen. Viele, besonders kleinere Unternehmer stehen vor dem Verlust Ihrer beruflichen Existenz. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Vor der Pandemie habe ich drei Spa- und Fitnessloungen in Berliner Luxus-Hotels betrieben. Zwei der Betriebe mussten wir inzwischen endgültig schließen, da wir vorrangig von Business-Hotelgästen leben und die Auslastung von zeitweise 80 auf zehn Prozent gesunken war.

Ich persönlich glaube, dass wir das alte Level selbst dann nicht wieder erreichen werden, wenn sich die Gesamtsituation wieder normalisiert. Das Geschäftsreiseverhalten wird sich nachhaltig verändern.

Was wirtschaftliche Hilfen angeht, wird immer suggeriert, dass es ja für fast alle Selbstständigen Hilfen gibt, was aber einfach nicht stimmt. Ob bei den Novemberhilfen oder dem Überbrückungsgeld III, die zum Teil noch nicht ausgezahlt sind: Es ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, dass ganz viele kleinere Unternehmer durch teilweise absurde Regelungen durch das Raster fallen. Das macht wütend und wütend sein macht krank.

Abgesehen von den finanziellen Auswirkungen bleibt aber vor allem die Frage: Was sind uns Sport und Bewegung gesellschaftlich wert? Was bedeutet die Schließung von Sportstätten und Fitnessstudios präventiv für die Menschen und die Volkwirtschaft? Alleine in Deutschland dürfen zurzeit knapp zwölf Millionen Mitglieder nicht bei professionellen Gesundheits- und Fitnessanbietern trainieren.

Die Fitnessbranche findet in der öffentlichen Debatte nicht statt

Der Schauspieler und frühere Bodybuilder Ralf Möller wurde vor kurzem im „Spiegel“ mit den Worten zitiert: „Was die Erwähnungen von vom Lockdown betroffenen Branchen angeht, kommt die Sport- und Fitnessbranche in etwa auf dem Level von Bordellbetrieben“.

Eine harte Aussage, die aber grundsätzlich nicht falsch ist. Ob in den Nachrichtensendungen, Talkformaten oder Statements der Politik: Immer wieder geht es um die Probleme im Einzelhandel, in der Gastronomie oder bei den Friseurbetrieben. Das soll nicht heißen, dass ich die Nöte dieser Branchen geringschätze. Im Gegenteil. Ich weiß, wie bitter die Situation ist. Weil sie bei uns nicht minder bitter ist.

Trotzdem findet die Fitnessbranche in der öffentlichen Debatte nicht statt. Dabei liegt die Wertschöpfung der kompletten Sportbranche in Deutschland nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bei rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Anteil der Gastronomie beträgt etwa 1,6 Prozent.

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Woran das mangelnde Desinteresse liegt, darüber kann ich nur spekulieren. Vielleicht hat es etwas mit dem Image der Sport- und Fitnessbranche zu tun, einem traditionellen Klischee, das jedoch längst überholt ist. Bei Fitnessstudios denken wahrscheinlich immer noch viel zu viele Leute in erster Linie an testosterongeladene Jugendliche, die Eisen und Gewichte stemmen. Die Realität sieht anders aus.

Der Altersdurchschnitt der Fitnesssportler liegt nach einer Studie des IHRSA Health Club Consumer Reports bei etwa 40 Jahren. Das heißt: Viele von ihnen sind 60 oder zum Teil deutlich älter. Als Hauptgrund für die sportliche Aktivität wird Gesundheitsprävention angegeben.

Wissenschaftler warnen seit Monaten vor den gesundheitlichen Folgen der Sport- und Bewegungseinschränkungen: zunehmende Typ-2-Diabetes und Adipositas, vermehrte Schlaganfälle und Herzinfarkte und letztlich mehr Depressionen, aufgrund fehlender Sozialkontakte, auch in den Fitnessanlagen und Sportzentren.

Klaus Brüggemann, Unternehmer und Hertha-Funktionär.
Klaus Brüggemann, Unternehmer und Hertha-Funktionär.

© Imago

Es ist richtig und gut, dass der Profifußball weiterhin stattfindet, nicht nur für die wirtschaftlichen Belange der Vereine, sondern weil der Fußball ein Stück weit Volkstheater ist und uns damit Spieltag für Spieltag hilft, dem schwierigen Pandemie-Alltag zu entfliehen. Aber auch der aktive Sport im Verein könnte jungen Menschen Abwechslung vom grauen Alltag schaffen.

Es ist deshalb nur schwer zu akzeptieren, dass sich junge Menschen und Kinder, unter Berücksichtigung von Hygienerichtlinien, draußen nicht bewegen dürfen. Die Langzeitwirkungen, wenn Kinder den Bezug zu Sport und Bewegung verlieren, sind nicht zu unterschätzen. Hinzu kommt, dass die Vereine künftig noch mehr Probleme haben könnten, Übungsleiterpositionen mit Ehrenamtlichen zu besetzen, wenn die Menschen sich vom Sport abwenden und sich anderweitig orientieren.

Die Menschen könnten sich vom Sport abwenden und anderweitig orientieren

Der Branchenverband „Europe Active“ hat Ende vergangenen Jahres das Ergebnis der SafeActive-Studie vorgelegt, die untersucht hat, wie hoch das Risiko ist, sich in Fitnessstudios mit dem Coronavirus anzustecken. Bei 115 Millionen Besuchern in 4360 Gesundheits- und Fitnessanlagen in 14 europäischen Ländern lag das Ergebnis bei 1,1 Covid-19-Fällen auf 100.000 Besuche. Noch Fragen?

Besonders in Pandemiezeiten sollte es doch darum gehen, die physische und psychische Widerstandskraft zu stärken. Stattdessen wird die Situation der Betroffenen komplett außer Acht gelassen und eine ganze Branche durch Ignoranz quasi diffamiert. Es bleibt nur zu hoffen, dass zumindest Lehren für die Zukunft gezogen werden, auch wenn es dann für manche Unternehmer und Sportreibende schon zu spät ist.

Klaus Brüggemann

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