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Sprinterin Valentina Petrillo bei den Paralympics: „Die Kritik an trans Athleten kommt vor allem aus der olympischen Welt“
Die italienische Sprinterin Valentina Petrillo wird in Paris die erste offene trans Athletin sein, die bei den Paralympics startet. Hier spricht sie über Vorurteile, Anfeindungen und ihre Vorbildfunktion.
Stand:
Frau Petrillo, Sie werden in Paris Geschichte schreiben. Was ist das für ein Gefühl?
Für mich persönlich ist es eine Befreiung, weil ich mich endlich so ausdrücken kann, wie ich bin. Im Sport kann ich ganz ich selbst sein. Ich spüre viel Druck, vor allem von den Medien, und trage viel Verantwortung für die Community, die ich vertrete.
Ich denke, dass es ein sehr wichtiger Moment ist, wenn ich als trans Frau in Paris starten werde – um zu zeigen, dass es einen Wandel in unserer Gesellschaft gibt. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber in Italien werden wir oft noch schlecht behandelt und diskriminiert. Ich hoffe, dass ich in Paris für das bewertet werde, was ich bin und tue, und nicht für das, was andere Leute von mir denken, was ich bin.
Bei Ihrem WM-Debüt im vergangenen Jahr holten Sie über 200 und 400 Meter Bronze. Wie fielen die Reaktionen aus?
Sehr unterschiedlich. In meiner Heimat in Neapel gibt es einen gewissen Stolz, aber auch einige Vorurteile. Im Moment ist es einfach so, dass alles, was von der Norm abweicht, erst mal bei den meisten Menschen Unsicherheit auslöst.
Wir sollten über diese Dinge sprechen. Auch über Sehbehinderungen, wie ich sie habe. Über alles, was anders ist. In erster Linie ist es meine Aufgabe zu laufen – und darüber hinaus habe ich beschlossen, dass meine Geschichte öffentlich werden soll, weil ich glaube, dass sie für uns alle wichtig ist.
In den sozialen Medien sind Sie oft mit Hass konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?
Die Angriffe in den sozialen Medien gingen so weit, dass ich mit dem Tod bedroht wurde. Eine Zeit lang habe ich versucht, auf die Nachrichten zu antworten, aber ich habe irgendwann gemerkt, dass das zu sehr wehtut.
Ich wollte dann mit einem Anwalt gegen die Personen vorgehen, aber es ist gar nicht so leicht, sie zu identifizieren. Mir wäre es wichtig, dass Leute, die solche Nachrichten schreiben, merken, dass man hinter der Tastatur nicht alles machen kann, was man will. Und dass man Menschen damit Angst macht.
Haben Sie eine bestimmte Strategie, die Ihnen hilft, wenn Sie solche Nachrichten bekommen?
Jetzt bin ich besser darauf vorbereitet und fühle mich sicherer, mich dagegenzustellen. Durch meinen Mentaltrainer habe ich einige Techniken gelernt. Vor und während der Wettkämpfe versuche ich mich von der Außenwelt abzuschirmen. Außerdem summe ich, um mich zu beruhigen, ein altes neapolitanisches Lied „’O surdato ‘nnammurato” (Der verliebte Soldat) vor mir her.
Seit sieben Jahren hat sich keine trans Athletin in der Leichtathletik durchgesetzt. Außerdem gibt es nur sehr wenige trans Personen.
Valentina Petrillo
Wie ist die Stimmung in der Läuferszene in Bezug auf Sie?
In der paralympischen Welt habe ich nie irgendwelche Probleme gehabt. Ich bin immer integriert worden. Sehr gut sogar. Die Kritik an trans Athleten kommt vor allem aus der olympischen Welt.
Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, Sie hätten Vorteile gegenüber Ihren Konkurrentinnen?
Das sind Vorurteile. Es gibt Studien, die das belegen: Seit sieben Jahren hat sich keine trans Athletin in der Leichtathletik durchgesetzt. Außerdem gibt es nur sehr wenige trans Personen.
Der Sport bleibt das sexistische Umfeld, in dem es nur zwei Kategorien gibt: männlich und weiblich. Es gibt nichts anderes. Und nicht alle von uns sehen sich in diesem Geschlechter-Binarismus.

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Andrew Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, sagte kürzlich: „Die Transgender-Bevölkerung wächst und sie ist hier, um zu bleiben. Wir müssen dafür sorgen, dass wir ihnen sportliche Möglichkeiten geben, aber auch die Sportlerinnen schützen.“ Was schlagen Sie ihm vor?
Man muss die Frauen schützen – aber nicht vor trans Personen.
Im paralympischen Kontext bin ich die erste offene trans Athletin, 2021 in Tokio debütierte mit der Neuseeländerin Laurel Hubbard die erste trans Frau bei Olympia. Wir müssen unbedingt einbezogen und nicht ausgeschlossen werden, weil es dafür keinen Grund gibt.
Ein sinnvoller Vorschlag wäre, das Reglement vom Konzept der Männer und Frauen zu befreien, und sie deshalb zum Beispiel in der Leichtathletik auf Grundlage der Klassifizierungszeiten gemeinsam antreten zu lassen. Aber das ist zurzeit nicht realistisch.
Ich hätte als Kind auch gerne eine Valentina gehabt, die im Fernsehen zu sehen war.
Valentina Petrillo
Sie sind mittlerweile 50 Jahre alt und bei der EM waren Sie 20 Jahre älter als die meisten Ihrer Konkurrentinnen. Wie schätzen Sie Ihre Chancen in Paris ein?
Allein meine Qualifizierung ist ein Erfolg. Alle sagten: Nein, so weit wird es nie kommen – und jetzt bin ich hier. Genießen wir es Schritt für Schritt. Ich setze mir keine Grenzen. Solange ich den Wunsch habe, auf die Bahn zu gehen, werde ich weiter laufen.
Frau Petrillo, Sie hatten als Kind den italienischen Leichtathleten Pietro Mennea zum Vorbild. Fühlen Sie sich heute selbst als solches?
Ja, das ist mein Antrieb hinter all dem. Ich hätte als Kind auch gerne eine Valentina gehabt, die im Fernsehen zu sehen war. Trans Menschen haben zu der Zeit nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden. Heute möchte ich die Inspiration und das Vorbild sein, dem man folgen kann.
Das Gespräch wurde übersetzt von Julian Graeber.
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