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Die Propagandaspiele in Berlin 1936. Adolf Hitler (M) bei der Eröffnung.

© picture alliance / dpa

Standardwerk zum Sport im Dritten Reich: Was die Verbände vom Umgang mit Hitler lernen können

Großveranstaltungen in Russland, China oder Katar. Die Verbände haben ein Problem. Erkenntnisreich ist ein neu aufgelegtes Buch zum Sport im Dritten Reich.

Wie soll der Sport umgehen mit autoritären Systemen und Herrschern, mit Kriegstreibern? Die Frage ist aktueller denn je. Eine Antwort darauf gibt interessanterweise ein über 30 Jahre altes Buch, das in überarbeiteter und erweiterter Form neu aufgelegt worden ist. Es handelt sich um das Standardwerk „Internationale Sportpolitik im Dritten Reich“ des emeritierten Forschers Hans Joachim Teichler.

Das Buch ist eine Blaupause dafür, wie der Sport es eben nicht machen soll. Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar und in Zeiten, in denen viele Sportverbände über eine stärkere Wiedereinbindung russischer Athletinnen und Athleten in den Weltsport nachdenken, ist die Lektüre mehr denn je von großer sportpolitischer Relevanz respektive Erkenntnis.

Nun ist Nazi-Deutschland nicht mit dem Emirat Katar oder Putins Russland zu vergleichen. Doch die Mechanismen, wie sich der Sport finsteren Kräften untertan und zu willfährigen Helfern machte, sind immer noch die gleichen.

Der Sport paktierte mit den Nationalsozialisten. Er blickte nicht nach links oder rechts, auf das Weltgeschehen. Die Funktionäre saßen bräsig an den Schaltzentralen des Sports und nahmen gerne die Gaben Hitler-Deutschlands entgegen. „Auch in der Phase der unverhüllten politischen und militärischen Expansion nutzte das IOC die Organisations- und Finanzkraft des Deutschen Reiches“, schreibt Teichler. Und wie es das tat!

„Internationale Sportpolitik im Dritten Reich“ wurde nun um 150 erweitert.
„Internationale Sportpolitik im Dritten Reich“ wurde nun um 150 erweitert.

© Academia Verlag

Die Nationalsozialisten hatten längst die Synagogen in Brand gesteckt und waren in Prag einmarschiert, als das IOC im Juni 1939 die für 1940 geplanten (und dann kriegsbedingt abgesagten) Olympischen Winterspiele an Deutschland, an Garmisch-Partenkirchen vergab. Ein aus heutiger Sicht unglaublicher Akt. Oder auch nicht. In den obersten Funktionärskreisen hält sich bis heute die Mär vom unpolitischen Sport. Was ganz nützlich ist, denn so lässt sich Geld verdienen mit Russland, China, Katar oder neuerdings dem Wüstenland Saudi-Arabien, das 2029 tatsächlich asiatische Winterspiele (!) ausrichten soll.

Das Problem damals wie heute: Der Sport war und ist durchdrungen vom Einfluss oben genannter finanzkräftiger Potentaten. Warum das so ist? Sportlicher Erfolg soll die Identifikation nach innen stärken, Strahlkraft nach außen verströmen und mitunter ablenken von gewichtigeren Zielen des jeweiligen Machtapparats. Adolf Hitler selbst konnte mit Sport nichts anfangen, war ein „notorischer Nichtsportler“, wie Teichler anmerkt. Ein bisschen Begeisterung empfand er lediglich fürs Boxen und den Automobilrennsport. Mehr aber nicht. Der Propagandawirkung des Sports war er sich dagegen durchaus bewusst.

Großveranstaltungen wie die Turnfeste und allen voran natürlich die Olympischen Spiele 1936 in Berlin nutzte er zur politischen Selbstdarstellung. „Müssen wir sagen, dass der große Sieger der Olympischen Weltspiele Adolf Hitler heißt?“, zitiert Teichler aus der offiziellen Olympiazeitung. Dass die Propaganda ihre Wirkung nach innen nicht verfehlte, lag an der Duldung Nazideutschlands durch die Entscheider im Sport. Mehr noch: IOC-Gründer Pierre de Coubertin war ein regelrechter Verehrer Hitlers, wie Teichler vor wenigen Monaten bei der Durchsicht historischer Quellen herausfinden konnte.

Vor diesem Hintergrund agierte die Sportwelt keinesfalls einheitlich auf den Aggressor Deutschland. Der Fußball dachte noch nach Kriegsbeginn kommerziell: Unter anderem Schweiz und Schweden trugen Länderspiele mit Deutschland aus. Auch in der Leichtathletik fand im August 1940 ein Drei-Länderkampf mit deutscher Beteiligung in Helsinki statt. Am konsequentesten waren noch die Norweger, die auf die Besetzung ihres Landes mit einem Sportstreik reagierten.

Teichlers Blick in die Vergangenheit legt das ganze Versagen der Sportverbände offen. Gleichsam arbeitet der Sporthistoriker detailliert heraus, dass die Nationalsozialisten es nicht schafften, den Sport zu einem beliebig verfügbaren Instrument der Außenpolitik zu machen. Unerfüllbare Siegesforderungen an die vermeintliche Herrenrasse waren ein Grund dafür.

Auch die Propagandawirkung des Sports nach innen hatte ihre Grenzen. Für die Sporttreibenden waren die Leibesübungen nur in bestimmten NS-Organisationen stark politisch konnotiert. In der Breite aber wollten die Deutschen, wie Teichler schreibt, „durch den Sport der politischen Dauerberieselung und den Sorgen des Alltags entfliehen“. Hier, auf der Ebene des Breitensports, hatte und hat der Sport tatsächlich wenig bis gar nichts mit Politik zu tun.

Internationale Sportpolitik im Dritten Reich, von Prof. i.R. Dr. Hans Joachim Teichler. Academia, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, 2022, 546 Seiten, gebunden. 114 Euro.

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