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Der US-Präsident Joe Biden.

© REUTERS/Jonathan Ernst

Rücktrittsforderungen und Drohungen: Terroranschläge in Kabul erschüttern Bidens Präsidentschaft

Nach dem Anschlag in Kabul kämpft der US-Präsident um sein Ansehen. Die Republikaner fordern Aufklärung und sprechen schon von Amtsenthebung.

Er hat es selbst gesagt. Als Joe Biden am Donnerstagabend vor die Presse trat, waren die ersten Worte, die er herauspresste: „Es war ein harter Tag.“ Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass der 26. August für die amerikanische Armee zum tödlichsten Einsatztag in Afghanistan seit einem Jahrzehnt geworden ist. 13 US-Soldaten und mehr als 90 Afghanen verloren durch die Anschläge ihr Leben.

Der „problemlose Abzug“ nach 20 Jahren Krieg am Hindukusch, den der US-Präsident seinem Land versprochen hatte, hat sich zu einem Desaster katastrophalen Ausmaßes entwickelt. Und: Wie es bis Dienstag, wenn der Abzug endgültig vollzogen sein soll, weitergeht, ist offen. Befürchtet werden weitere Anschläge des afghanischen Ablegers der Terrormiliz IS.

Alle Versuche der Biden-Regierung in den vergangenen Tage, mit Verweis auf die erfolgreichste Luftbrücke der Geschichte – seit dem 14. August wurden mehr als 100.000 Amerikaner, Alliierte und Afghanen aus Kabul ausgeflogen – den Spin ins Positive zu drehen, sind damit endgültig gescheitert. Auch die Freude über den Abstimmungserfolg von Bidens Infrastrukturpaket im Repräsentantenhaus währte nur kurz.

Auch innenpolitisch läuft es nicht rund

Stattdessen musste der Präsident am Donnerstag noch eine schwere innenpolitische Klatsche hinnehmen. Der Supreme Court blockierte das in der Pandemie von der Regierung verlängerte Moratorium, das säumige Mieter vor Zwangsräumungen schützen sollte. Und alarmierende Meldungen aus diversen Bundesstaaten von überfüllten Intensivstationen und Rekordzahlen bei Infektionen und Todesfällen zeigen, wie schwer es der Regierung fällt, die Pandemie wie versprochen in den Griff zu kriegen.

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Kurzum: Für Biden war es nicht nur „ein harter Tag“, es war wohl seine bisher härteste Woche im Amt – und der August insgesamt entwickelt sich zu einem desaströsen Monat für den seit Januar regierenden Präsidenten. Erstmals seit seiner Amtseinführung zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der Amerikaner ihn kritisch sieht.

Die Republikaner arbeiten daran, dass sich dieser Trend verfestigt. Für sie bietet das Desaster in Kabul gleich mehrere Angriffsmöglichkeiten. Vor allem wollen sie den Versuch des Weißen Hauses durchkreuzen, den Schock über den atemberaubend schnellen Fall von Kabul rasch vergessen zu machen.

Die Zusammenarbeit mit den Taliban empört die Opposition

Empört reagieren sie auch darauf, dass die Amerikaner mit den Taliban bei der Evakuierung kooperierten, um möglichst viele rechtzeitig aus dem Land zu holen. So spricht Ben Sasse, der als Kritiker von Ex-Präsident Donald Trump bekannt gewordene republikanische Senator aus Nebraska, bereits von „Todeslisten“ und drängt darauf, zu erfahren, wessen Idee das gewesen sei.

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Die Republikaner im Kongress fordern Aufklärung darüber, was in den vergangenen Tagen schief gelaufen ist, und erklären auf allen Kanälen, dass es so nicht hätte kommen müssen. Dass es ihr eigener Präsident Trump war, der mit den Taliban ein Abkommen ausgehandelt hatte, um bis zum 1. Mai abzuziehen, ignorieren sie derweil.

Stattdessen gibt es erste Rücktrittsforderungen gegen Biden und Drohungen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn anzustrengen, sobald man bei den Kongresswahlen im kommenden Jahr die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobert habe. Der republikanische Minderheitsführer Kevin McCarthy verzichtete in einer Schaltkonferenz seiner Fraktion am Donnerstagabend zwar auf Rücktrittsforderungen gegen Biden, erklärte aber, der Präsident werde sich der Verantwortung für seinen Umgang mit dem Abzug nicht entziehen können.

Biden: Trage die Verantwortung

Kritik an Biden kommt aber auch aus den eigenen Reihen. Am deutlichsten formuliert diese Susan Wild, demokratische Abgeordnete aus Pennsylvania: „Für mich steht fest, dass es lange überfällig war, den Militäreinsatz in Afghanistan zu beenden, und dass wir damit aufhören mussten, in einem nicht gewinnbaren Krieg das Leben amerikanischer Soldaten zu gefährden. Gleichzeitig macht es den Eindruck, dass der Abzug entsetzlich falsch durchgezogen wurde.“

Wild kündigte an, im Auswärtigen Ausschuss sicherzustellen, dass die Biden-Regierung erkläre, wie es zu diesem „katastrophalen Moment“ habe kommen können. Und, dass sie dafür Verantwortung übernehme.

Bei seinem Auftritt am Donnerstagabend hat Biden auf die Frage eines Journalisten nach seiner persönlichen Schuld geantwortet, dass er als Oberbefehlshaber natürlich die Verantwortung für alles trage, was in Afghanistan passiere. Gleichzeitig schob er dem Militär einen Teil der Verantwortung dafür zu, warum die USA von dem Chaos in Kabul so kalt erwischt wurden.

Die Räumung von Bagram halten viele für einen schweren Fehler

So erklärte er, dass der für den Luftraum so wichtige Stützpunkt Bagram vor dem Beginn der Massen-Evakuierung aufgegeben worden sei, weil das Militär diesen für nicht entscheidend gehalten habe. Das klingt wenig plausibel, und die Entscheidung, Bagram fluchtartig über Nacht zu räumen, wird von vielen kritisiert.

Manche, wie der republikanische Senator Lindsey Graham verlangten bereits, dass Bagram zurückerobert werden müsse. Der republikanische Fraktionschef McCarthy forderte die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi auf, das Parlament zu einer Sondersitzung einzubestellen – nicht nur, um von der Regierung umfassend informiert zu werden, sondern auch, um ein Gesetz zu verabschieden, das den weiteren Abzug von US-Soldaten verhindere, „bis wir jeden Amerikaner aus Afghanistan rausgeholt haben“. Biden selbst erklärte am Donnerstagabend, wenn das Militär Verstärkung brauche, werde er dies gewähren.

Am Zeitplan für den Abzug soll festgehalten werden

Die nächsten Tage bleiben extrem gefährlich. Biden, der erneut betonte, an seinem Zeitplan für das Einsatzende weiter festhalten zu wollen, hat allen Amerikanern, die Afghanistan verlassen wollen, versprochen, dass man sie heimhole.

Die genaue Zahl der US-Bürger am Hindukusch ist aber offenbar schwer zu bestimmen, das State Department spricht derzeit von 1000 oder weniger, mit rund 500 sei man in Kontakt. Das Truppenkontingent von zwischenzeitlich rund 6000 Soldaten wurde aber bereits reduziert. Am 31. August soll auch das Militär endgültig abgezogen sein.

Wie Bidens Ankündigung, die IS-Terrorristen zur Verantwortung zu ziehen, unter diesen Bedingungen ausgeführt werden kann, ist unklar. Der Druck, den Tod von zwölf US-Marines und eines Navy-Angehörigen zu sühnen, ist groß. Der Präsident hat aber erklärt, sich nicht treiben zu lassen: Die Amerikaner bestimmten, wann und wo sie zuschlagen würden.

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