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Und niemals vergessen: Eisern Union! Der Klub wird aber auch Hans-Joachim Lesching niemals vergessen. 

© imago images / Christian Thiel / Bearbeitung: Tagesspiegel

Trauer um eine Seele des Klubs: Wenn der Fußball beim 1. FC Union zur Nebensache wird

Der 1. FC Union trauert um Hans-Joachim „Jochen“ Lesching. Das langjährige Aufsichtsratsmitglied prägte Verein und Fans, gründete soziale Projekte und wird am Mittwoch mit einer Gedenkminute geehrt.

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Sportlich gesehen steht für den 1. FC Union nicht wenig auf dem Spiel, wenn Arminia Bielefeld am Mittwochabend in Köpenick gastiert (20:45, Sky). Es geht um den Einzug ins Achtelfinale des DFB-Pokals – sowie um die Revanche für die überraschende Niederlage im gleichen Duell vor einem Jahr.

Für viele im Stadion an der Alten Försterei wird der Fußball an diesem Abend dennoch in den Hintergrund rücken.

Grund dafür ist eine Nachricht, die Union und seine Fan-Gemeinschaft diese Woche in Schock und Trauer versetzte. Wie der Verein am Montag bestätigte, ist das langjährige Aufsichtsratsmitglied Hans-Joachim „Jochen“ Lesching im Alter von 83 Jahren gestorben. Gegen Bielefeld wird Lesching, der wie kaum ein Zweiter für die Seele des Vereins stand, mit einer Gedenkminute verabschiedet.

„Mit Jochen Lesching verlässt uns ein Mensch, der unseren Klub seit 2004 auf ganz eigene Weise entscheidend geprägt hat“, wurde Union-Präsident Dirk Zingler in der Pressemitteilung zitiert. In denselben Zeilen wird Lesching als „geistige Instanz des Vereins“ gewürdigt. Für den Aufsichtsratsvorsitzenden Thomas Koch sei er „der philosophische Vater des heutigen 1. FC Union Berlin“ gewesen.

Tatsächlich gehörte Lesching zu den Persönlichkeiten, die den modernen 1. FC Union mit aufgebaut haben. Er saß bereits seit 2003 im Aufsichtsrat und wurde 2004 zum Mitbegründer des neuen Wirtschaftsrats um Dirk Zingler. Damit wurde er zum frühen Mitgestalter eines Projekts, das den kriselnden Verein zunächst stabilisierte und eine Ära kaum für möglich gehaltenen Erfolgs einleitete.

Seine eigene Geschichte mit Union reichte jedoch weit länger als zwanzig Jahre zurück. Der im Ruhrgebiet geborene und in der DDR aufgewachsene Lesching stand laut Vereinsangaben 1969 erstmals auf den Traversen der Alten Försterei. Und schon in den 1990er Jahren begann er, sich beim Verein einzubringen.

Lesching half dem klammen Klub

Nach der Wende hatte Lesching eine Druckerei gegründet, die zeitweise unter anderem die Programme für Hertha BSC und andere Berliner Vereine produzierte. Als Union Mitte der 1990er in finanziellen Schwierigkeiten steckte, bot er an, dessen Stadionhefte kostenlos zu drucken. So entstanden die „Programmierer“: eine Gruppe von Union-Fans, die über fast drei Jahrzehnte das Stadionheft ehrenamtlich produzierte und verteilte.

Genau diese Art von Engagement war es, die den 1. FC Union nach den dunklen Jahren der 1990er wiederbelebte und das Image des Vereins langfristig prägte. Als es Union an Ressourcen und Zuschauern mangelte, war der Klub jahrelang auf die Kreativität und den Einsatz eines kleinen Kerns angewiesen. Aus diesem Geist erwuchsen auch legendäre Aktionen wie „Bluten für Union“, das Weihnachtssingen oder der Stadionbau.

Diese trugen maßgeblich zum Mythos des „Kultklubs“ bei – eine Bezeichnung, die immer lästiger wurde, je stärker sie an Union haftete. Noch heute projizieren Anhänger wie Kritiker zahlreiche politische und historische Erzählungen auf Union, die nur teilweise oder gar nicht zutreffen: vom Dissidentenverein bis zum Kämpfer gegen den modernen Kommerzfußball.

2021 erhielt Lesching das Bundesverdienstkreuz

Fragt man jedoch innerhalb des Vereins, was Union ausmacht, fällt die Antwort meist deutlich aus: Die Seele des Klubs liegt im sozialen Aspekt. Für viele lautet der Leitgedanke, dass Fußball „für Menschen“ sei und ein Verein die Möglichkeit habe, Menschen im direkten Umfeld zusammenzubringen und ihnen, wo nötig, zu helfen.

Für diesen Gedanken stand Jochen Lesching wie kaum ein anderer. Sein wohl größtes Vermächtnis war die Gründung der Union-Stiftung „Schulter für Schulter“, in der seit 2016 die vielen gesellschaftlichen Projekte rund um den Verein gebündelt sind. Dazu gehören unter anderem Kleiderspenden in den Wintermonaten, zahlreiche soziale Initiativen für Geflüchtete, Shuttle-Verkehr für Fans mit Handicap sowie die Versorgung Obdachloser und anderer bedürftiger Menschen im Rahmen der Aktion „Eisern statt Einsam“. Für dieses Engagement erhielt Lesching 2017 die Ehrenmitgliedschaft und 2021 auch das Bundesverdienstkreuz.

Laut Weggefährten zitierte Lesching oft und gerne eine Zeile Bertolt Brechts: „Um uns selbst müssen wir uns selber kümmern.“ Sie stammt aus dem von Brecht textierten „Aufbaulied“ der Freien Deutschen Jugend, für die Lesching zu DDR-Zeiten gearbeitet hatte. Für ihn traf sie jedoch genauso gut den sozialen Gedanken bei Union. Dass sich die Union-Gemeinschaft überhaupt um sich selbst kümmern konnte, lag jahrelang auch an Jochen Lesching. Nun muss das irgendwie auch ohne ihn gelingen.

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