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Einer für die Massen. Bei Unions Fans kommt Urs Fischers Bodenständigkeit gut an – im Gegensatz zu seiner Zeit beim FC Basel. Beim damaligen Schweizer Serienmeister wünschten sie sich trotz sportlicher Erfolge mehr Glamour und Spektakel.

© Annegret Hilse/dpa

1. FC Union im Aufstiegskampf: Urs Fischer ist der richtige Trainer am richtigen Ort

Trainer Urs Fischer hat dem 1. FC Union mit seiner besonnenen Art die Stabilität zurückgebracht. Am Sonntag können die Berliner in die Bundesliga aufsteigen.

Urs Fischer atmet tief ein. Der Trainer des 1. FC Union verschafft sich noch etwas Zeit mit einem langgezogenen „Ja“, das durch seinen Zürcher Akzent eher wie ein „joa“ klingt. Es scheint fast so, als wäge der 53 Jahre alte Schweizer im Kopf alle Eventualitäten ab. „Gedämpft, frittiert – da gibt es viele Möglichkeiten“, sagt Fischer schließlich. Er redet über die Zubereitung einer Bachforelle. Angeln ist für ihn ein Ausgleich zum stressigen Fußballgeschäft und sein größtes Hobby – festlegen will er sich aber auch da nicht. Typisch Fischer eben. In der Öffentlichkeit wägt er ab, spricht von Möglichkeiten und bleibt vage.

Das gilt auch für seine Kernkompetenz, den Fußball. Drei Punkte und 21 Tore liegt sein Arbeitgeber in der Zweiten Liga vor dem Hamburger SV. Einen Spieltag vor Schluss ist Union der dritte Platz praktisch nicht mehr zu nehmen, doch Fischer wehrt jeden Ansatz einer Gratulation ab. Im Fußball sei alles möglich, sagt er, es sei noch nichts perfekt, nicht mal Rang drei. Fischers Aussagen haben gelegentlich den Informationsgehalt der Herbergerschen Fußballweisheiten. Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten. Sagt Fischer so natürlich nicht, als Schlagzeilenlieferant für die Medien ist er aber kaum zu gebrauchen.

Dafür haben sie ihn in Köpenick allerdings auch nicht geholt, sondern für sportlichen Erfolg – und der ist da. Nach einer schwierigen vorherigen Saison, die lange von enttäuschten Erwartungen und Abstiegsängsten geprägt war, gab es im Sommer einen großen personellen Umbruch. Neben Fischer kamen viele neue Spieler und das zahlte sich aus. Vor dem letzten Spieltag liegt Union mit 56 Punkten auf Platz drei. Die Teilnahme an der Relegation haben die Berliner in der Tasche. Dort ginge es am 23. und 27. Mai gegen den VfB Stuttgart.

Doch darauf würden Verantwortliche, Spieler und Fans gerne verzichten. Noch ist auch der direkte Aufstieg in die Bundesliga möglich. Dafür müsste Union am Sonntag (15.30 Uhr, live auf Sky) beim VfL Bochum gewinnen und auf einen Ausrutscher von Konkurrent Paderborn hoffen, der zeitgleich in Dresden spielt. „Ein erstes Etappenziel ist erreicht“, sagt Fischer. „Ich finde aber nicht, dass nach dem letzten Spiel eine Euphorie da war.“

Die ist auch bei ihm nicht zu erkennen. Dass der 1. FC Union unter seiner Leitung die beste Platzierung seiner Zweitligageschichte erreicht und womöglich zum ersten Mal in die Bundesliga aufsteigt, nimmt Fischer mit seiner ihm eigenen Besonnenheit zur Kenntnis – und das nicht nur öffentlich. „Er hat schon gesagt, dass wir bislang noch nichts erreicht haben“, sagt Mittelfeldspieler Grischa Prömel über seinen Trainer. „Er ist sehr ruhig, sehr klar in seinen Ansprachen. Damit fährt er gut und wir können uns gut an ihm orientieren.“

Bodenständigkeit, Ruhe, Pragmatismus

Fischers Art kommt an, bei seinen Spielern, den Verantwortlichen und bei den Fans. Bodenständigkeit, Ruhe, Pragmatismus – anders als bei seinem vorherigen Klub werden diese Werte in Köpenick geschätzt. „Ich habe nie ganz verstanden, warum diese Attribute einen negativen Touch haben“, sagte Fischer der Schweizer Nachrichtenagentur sda rückblickend über seine Zeit in Basel. „Aber man lernt damit umzugehen. Jeder muss selber für sich wissen, wie er solche Werte für sich einordnet, ob diese eher negativ oder positiv sind.“

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Beim damaligen Serienmeister FC Basel wünschten sie sich mehr Glanz, mehr Glamour, mehr Spektakel. Fischer holte in seinen zwei Spielzeiten zwar jeweils souverän die Meisterschaft und einmal den Pokal, dennoch folgte danach die Trennung. Auf die damalige Kritik, er habe „Angsthasen-Fußball“ spielen lassen, reagiert Fischer immer noch allergisch. Wenn er sich oder sein Team missverstanden oder ungerecht behandelt fühlt, artikuliert er das auch – höflich, aber bestimmt. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiere die Einteilung in schwarz und weiß – Erfolg oder Misserfolg – „bei mir gibt es Grautöne“.

Von „Angsthasen-Fußball“ ist in Berlin bisher nicht die Rede gewesen. Dass harte Arbeit und eine stabile Defensive die Grundpfeiler von Fischers Konzept sind, steht allerdings außer Frage. Bei Union, den „Schlosserjungs aus Oberschöneweide“, wie es in der Vereinshymne von Nina Hagen heißt, wurde Fußball schon immer mehr gearbeitet als gezaubert. Fischer verkörperte diesen Ansatz bereits in seiner Spielerkarriere als Abwehrspieler und hat sich diese Einstellung bis heute bewahrt. Nicht selten ist er der Erste, der das Vereinsgelände um sieben Uhr morgens betritt, und am Abend der Letzte, der um acht nach Hause geht. „Es ist angenehm, wenn du morgens die Ruhe hast“, sagt Fischer. „Am Ende muss die Arbeit erledigt werden und es ist nicht so, dass ich die Zeit totschlage.“

Union hat die beste Abwehr der Liga

Auf dem Platz ist die Mannschaft das Spiegelbild von Fischers Arbeitsethos. Union hat mit 52 Toren nur den fünftbesten Angriff der Liga und 23 Treffer weniger erzielt als Konkurrent Paderborn. Die große Stärke der Berliner ist die Stabilität, nur 31 Gegentore sind mit Abstand der beste Wert in der Liga. „Als Kollektiv verteidigen und dann über die Zweikämpfe ins Spiel zu finden, das ist die DNA von Union in diesem Jahr“, sagt Grischa Prömel. „Es ist immer unsere Vorgabe, so lange wie möglich die Null zu halten. Vorn treffen wir dann schon irgendwann.“

Als Letzteres im März und April nicht so recht klappte, das Team fünf Spiele in Folge sieglos blieb und die Aufstiegschancen zu verspielen drohte, ging das auch an Fischer nicht spurlos vorüber. Woche für Woche sprach der Trainer von ordentlichen bis guten Leistungen und mangelnder Chancenverwertung. Fischer ist niemand, der einzelne Spieler öffentlich kritisiert; sein Team nimmt er fast immer in Schutz. Intern kann er aber durchaus deutlicher werden. „Wenn dir ein Trainer einen Spielplan vorlegt, den du die ganze Woche trainierst – gut trainierst –, und man setzt davon fast gar nichts um, dann ist es klar, dass er laut wird. Es hat deshalb natürlich gekracht“, sagte Kapitän Christopher Trimmel dem Tagesspiegel nach der Niederlage in Fürth vor vier Wochen.

Fischer drängt nicht in den Mittelpunkt

Zuletzt hatte Fischer wenig Grund für laute Ansprachen. Am vergangenen Sonntag gewann Union 3:0 gegen Magdeburg. „Es stand viel auf dem Spiel und natürlich ist die Erleichterung bei mir vorhanden“, erzählt Fischer. „Auch beim Trainer staut sich Druck an, das ist nichts anderes als bei den Spielern.“ Große Jubelgesten waren von Fischer dennoch nicht zu sehen. Während die Mannschaft vor der Tribüne mit den Fans feierte, blieb er im Hintergrund. „Diese Momente gehören den Spielern, nicht den Trainern und nicht dem Funktionsteam.“

Bei einer möglichen Aufstiegsfeier, vielleicht schon am Sonntag in Bochum, würde es ihm sicherlich nicht gelingen, sich den üblichen Ritualen zu entziehen. Auf die Frage, ob er denn Wechselwäsche für eine Bierdusche eingepackt hat, antwortet er so, wie er eigentlich immer antwortet. „Da mache ich mir gerade weniger Sorgen“, versucht Fischer abzuwehren. „Aber wenn es denn so kommen sollte, hätte ich diese Flexibilität.“ Es gibt halt viele Möglichkeiten. Wie bei der Bachforelle.

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