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Sport: Väterchen Brückner

Tschechiens Nationaltrainer hat auch durch den Misserfolg bei der WM nichts an Ansehen eingebüßt

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Michael Jackson, Pamela Anderson, Tom Cruise, Fidel Castro und Helmut Kohl waren schon hier. Susicka 20 in Djevice, einem Stadtteil im Prager Osten. Ziemlich genau zwischen Flughafen und Innenstadt liegt das Hotel „Praha“ mitten in einem Park. Es sieht von außen ein wenig aus wie eine in Schieflage geratene Fürst-Pückler-Speiseeisrolle, die auf der Servierplatte gleich umkippt. In dem skurril anmutenden Bau sitzt einer der bekanntesten Bürger der Tschechischen Republik. Nicht, dass es Karel Brückner auch nur ein bisschen interessieren würde, wer einmal vielleicht in den Betten lag, die nun ihn und den Kader der Fußballelite des Landes beherbergen. Brückner denkt am liebsten an Schach oder Beethoven. Jetzt allerdings denkt der in Olmütz geborene Brückner an Fußball und den Ersten der Gruppe D aus Deutschland, der am Samstag (20.45 Uhr, live in der ARD) im EM-Qualifikationsspiel in Prag Gegner der Tschechen ist.

Manchmal wirkt Brückner in Gedanken versunken. Vielleicht spricht er deshalb so wenig. Seine geheimnisvolle Ausstrahlung will er offenbar nicht einbüßen. Seine Spieler vertrauen dem 67-Jährigen und schreiben ihm besondere Fähigkeiten zu. Tomas Rosicky staunte nicht schlecht, als er bei seinem ersten Länderspiel in die Kabine kam und auf seinem Platz ein großes Blatt mit genauen taktischen Anweisungen vorfand. Für jeden einzelnen Spieler hatte Brückner ein solches Papier angefertigt. „Für jeden Gegner entwickelt er eine Art Streitplan“, sagt der frühere Dortmunder Jan Koller, der heute in Monaco spielt. „Wir vertrauen ihm, für viele ist er wie ein Vater.“ Seine Taktiksitzungen dauern oft eine Stunde und länger. „Ein Teil ist immer Glück“, sagt Brückner. „Aber den anderen, größeren Teil, den muss man kontrollieren.“

Der Ruf des tschechischen Magiers hat etwas gelitten, nachdem die Tschechen bei der WM 2006 schon in der Vorrunde ausgeschieden sind. Trotzdem verlängerte der Verband Brückners Vertrag bis zur EM 2008, weil das Scheitern Gründe gehabt hatte: Der gesamte Sturm war ihm bei der WM verletzt ausgefallen. Und überhaupt: Seitdem Tschechen und Slowaken sich 1993 gegenseitig in die Unabhängigkeit entlassen haben, hatten sie es nie zu einer WM geschafft. Brückner war der Erste, dem dies gelang. Und 2004 führte er die Mannschaft bei der Europameisterschaft ins Halbfinale. Niemand hat das legendäre 3:2 über die Holländer vergessen, als die Tschechen ihren Gegner nach einem 0:2 noch schwindelig spielten. Brückner stand wie ein Dirigent im schwarzen Anzug an der Seitenlinie.

„Das Nationalteam ist wie eine Familie, und die Spieler sind wie meine Enkel“, sagt er. Er mag es, wenn er klingt, als halte ein Literaturprofessor einen Vortrag. „Othello erdrosselt Desdemona auch nicht schon im ersten Akt“, sagte er, als er erklären sollte, warum sein Team erst einem Rückstand hinterherlaufen musste. Seine Spieler wissen, dass er alles unternimmt, um zu gewinnen. Brückner zu begegnen, wenn er gerade verloren hat, empfiehlt sich nicht. Selbst wenn er beim Schachspiel im Trainingslager matt gesetzt wird, kann er stocksauer werden. Am Montag hat er der Welt wieder einmal sein jähzorniges Gesicht gezeigt: Er fühlte sich durch Spione in Gestalt eines deutschen Fernsehteams gestört, das seine Mannschaft beim Training gefilmt hatte. „Sind wir hier im Zirkus? Ist das eine Komödie? Alles was wir gemacht haben, war umsonst“, brüllte er. Dass der Boss toben kann, wissen die meisten Spieler. Nur drei aus dem Kader waren nicht dabei, als Brückner die U 21 betreute.

Nachdem Tschechien die Qualifikation für die WM 2002 verpasst hatte, wurde Brückner zum Chef der A-Mannschaft befördert. Mit den Junioren hatte er gerade den EM-Titel gewonnen. Brückner schaffte es, einen neuen Teamgeist zu kreieren. Wenn er anordnet, dass das Team im Hotel zu bleiben hat, folgen die Spieler ihm. Das hat sich bis heute nicht geändert. Dass Brückner es selbst nie in die Nationalmannschaft geschafft hatte, hat seinem Ansehen nicht geschadet. Er spielte Fußball und Eishockey gleichzeitig in der ersten und zweiten Liga, bis er 25 war. Ein artistischer Läufer sei er gewesen und ein Torjäger.

Karel Brückner verzieht keine Miene. Auch jetzt, da er im Hotel „Praha“ sitzt und eigentlich antworten soll. „Ich mag nicht drüber reden, welches Spiel das wichtigste ist. Das gegen Deutschland oder andere“, sagt er. „Vielleicht ist es das letzte gegen Zypern.“ Karel Brückner lächelt.

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