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60-Meter-Lauf der Frauen bei den Leichtathletik-Hallenweltmeisterschaften in China.

© dpa/AP/Dar Yasin

Verpflichtende Geschlechtertests: Die Leichtathletik stellt Frauen unter Generalverdacht

In der Leichtathletik müssen Frauen künftig einen einmaligen Geschlechtstest machen, um bei Wettbewerben antreten zu dürfen. Damit will der Weltverband Vertrauen schaffen – und erreicht genau das Gegenteil.

Inga Hofmann
Ein Kommentar von Inga Hofmann

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Zu schnell, zu kräftig, zu stark, um eine Frau zu sein. Diesen Vorwurf mussten sich Athletinnen schon vor hundert Jahren anhören.

Stachen sie bei Wettbewerben heraus, erzielten sie Bestleistungen und liefen womöglich sogar schneller als die Männer, dann geschah häufig eines: Ihr Geschlecht wurde infrage gestellt. Denn wer sich so hervortut, der kann doch eigentlich keine Frau sein, so der Vorwurf.

Diese Denkweise klingt veraltet, wird nun aber wieder aus der Mottenkiste geholt. Und zwar in der Leichtathletik, wo der Weltverband ankündigte, verpflichtende Geschlechterkontrollen einzuführen.

Künftig müssen Frauen einmalig einen Wangenabstrich oder einen Bluttest machen, um nachzuweisen, dass sie XX-Chromosomen haben, um zu internationalen Wettbewerben zugelassen zu werden. Das berichten unter anderem „New York Times“ und „CNN“.

Dadurch sollen trans und intergeschlechtliche Personen von vornherein ausgeschlossen werden. Diese sind aber ohnehin seit einigen Jahren nicht mehr zugelassen. Warum braucht es also Geschlechtertests?

Männer müssen ihr Geschlecht nicht nachweisen

Der Weltverband argumentiert, die Kategorie Frau schützen und Vertrauen schaffen zu wollen, doch erreicht damit genau das Gegenteil: Er stellt Frauen unter Generalverdacht. Denn ihre männlichen Kollegen müssen ihr Geschlecht nicht nachweisen.

Die Forderung, dass nicht-männliche Personen im Sport ihr Geschlecht unter Beweis stellen müssen, hat Tradition: Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, als Frauen zunehmend an internationalen Wettbewerben teilnahmen, mussten sie sich von Ärzten begutachten lassen, um das erforderliche „Zertifikat der Weiblichkeit“ zu erhalten. Viele beschrieben dieses Prozedere als demütigend.

Müssten Frauen nicht eher vor reellen Problemen geschützt werden, zum Beispiel vor schlechter Bezahlung, fehlender Repräsentation in Führungspositionen, übergriffigen Trainern – oder vor Männern, die über ihre Köpfe hinweg entscheiden und veraltete Regularien wieder einführen?

Inga Hofmann, Tagesspiegel-Sportredakteurin

Daran erinnerte sich offenbar auch Sebastian Coe, Chef des Leichtathletik-Verbandes, und versprach, dass die Geschlechtertests „nicht-invasiv“ sein sollten. Aber wie kann er das garantieren?

Wir werden die Frauenkategorie hartnäckig schützen, und wir werden alles tun, was dafür notwendig ist“, sagte Coe weiter. Er hatte schon häufiger behauptet, trans Frauen seien eine Bedrohung für den Frauensport, insbesondere an der Leistungsspitze. Dabei ist keine trans Frau bekannt, die in dieser Sportart Rekorde gebrochen oder olympische Medaillen gewonnen hat.

Müssten Frauen nicht eher vor reellen Problemen geschützt werden, zum Beispiel vor schlechter Bezahlung, fehlender Repräsentation in Führungspositionen, übergriffigen Trainern – oder vor Männern, die über ihre Köpfe hinweg entscheiden und veraltete Regularien wieder einführen?

Coe und der Weltverband beteuerten, dass die neuen Geschlechtertests ein „wirklich wichtiger Weg“ seien, um Vertrauen zu schaffen.

Vor hundert Jahren aber erreichten sie genau das Gegenteil, sie wirkten abschreckend auf Frauen und wurden schließlich wieder abgeschafft. Bleibt zu hoffen, dass das auch dieses Mal der Fall ist.

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