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Am vergangenen Wochenende schwiegen die Fans aus Protest gegen die Pläne der Politik.

© dpa/Jan Woitas

Das steckt hinter dem Fanprotest: Keine Transparenz, falsche Annahmen, überzogene Maßnahmen

An diesem Wochenende wird in den Bundesligastadien erneut gegen die geplanten Sicherheitsmaßnahmen der Innenministerkonferenz protestiert. Was die Fans kritisieren.

Stand:

Selbst erfahrene Ultras konnten sich dem Zauber des Moments nur schwer entziehen. In der Leipziger Innenstadt zog ein beachtlicher Haufen von Ultras des FC Hansa Rostock an einem nicht minder beachtlichen Haufen von Ultras von Dynamo Dresden vorbei. Er habe eine Gänsehaut gehabt, sagt ein Augenzeuge, der in der Ultraszene aktiv ist.

Normalerweise gönnen sich beide Fanlager nicht mal den Dreck unter dem Fingernagel. Dieses Mal aber passierte: nichts. Das war der Moment zu Beginn der bundesweiten Fan-Demonstration vor knapp zwei Wochen, an dem die Beteiligten in Leipzig das Gefühl hatten: Das könnte wirklich was werden.

Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Fanszenen sich gerade von der Politik und deren Plänen herausgefordert fühlen. Das schweißt zusammen und lässt selbst tiefe Feindschaften wie die zwischen Rostockern und Dresdnern in den Hintergrund treten. Eine Woche nach der Demonstration in Leipzig folgten konzertierte Protestaktionen der aktiven Fans in allen Bundesligastadien. Auch an diesem Wochenende wird der Protest fortgesetzt.

Anlass ist die Innenministerkonferenz (IMK), die nächste Woche (3. bis 5. Dezember) in Bremen stattfinden wird. Bei ihr könnten umfassende Sicherheitsmaßnahmen für Fußballspiele beschlossen werden, die aus Sicht der Fans überzogen sind. Das sind die Kritikpunkte:


Die Intransparenz

Das, was bei der IMK in Bremen zum Abschluss gelangen soll, hat vor etwas mehr als einem Jahr seinen Anfang genommen. Im Oktober 2024 traf sich die Sportministerkonferenz mit Hans-Joachim Watzke, dem Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball-Liga, und Bernd Neuendorf, dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, in München zu einem Spitzengespräch zum Thema sichere Stadien.

Anschließend äußerten sich die Teilnehmer des Treffens in einer etwa 40-minütigen Pressekonferenz. Als besonders wichtig wurde vonseiten der Politik die Einrichtung einer zentralen Stadionverbotskommission auf Bundesebene hervorgehoben. Anders als bisher solle sie außerhalb der Vereins- und Verbandsstrukturen tätig werden.

Eine Partizipation von Fans wird bis heute nicht ermöglicht.

Dachverband der Fanhilfen

Fanvertreter waren zu dem Spitzengespräch in München nicht eingeladen. Bis heute fühlen sie sich in der Debatte nicht ausreichend vertreten. Die Ergebnisse der weiteren Beratungen, für die eigens eine Bund-Länder-offene-Arbeitsgruppe (Bloag) eingerichtet wurde, sind buchstäblich unter Verschluss.

Die Beschlüsse der Bloag sind als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) deklariert. „Warum diese Intransparenz? Wovor hat man Angst?“, fragen die Fanvertreter. Der Dachverband der Fanhilfen hat zuletzt beklagt: „Eine Partizipation von Fans wird bis heute nicht ermöglicht.“

Darauf zielt auch eine Stellungnahme des Präsidiums des Berliner Zweitligisten Hertha BSC ab: „Sicherheit entsteht durch Dialog, nicht durch Entscheidungen über die Köpfe der Beteiligten hinweg.“ Wer Prozesse verändern wolle, müsse Vereine und Fans an den Tisch holen. Nur so entstehe Vertrauen.


Die Grundannahme

Bei der Pressekonferenz in München erklärte Hans-Joachim Watzke: „Der Besuch eines Fußballspiels ist sicher.“ Da Watzke zum damaligen Zeitpunkt noch Geschäftsführer des Bundesligisten Borussia Dortmund war, verwunderte seine Einschätzung nicht besonders. Denn wer redet schon sein eigenes Produkt schlecht?

Bemerkenswert ist allerdings, dass Watzkes Ansicht durch die offiziellen Zahlen der Polizei gestützt wird. Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) veröffentlichte ihren Jahresbericht zur Saison 2024/25 unter der Überschrift: „Positive Tendenzen, weiterhin viel Arbeit“. Außerdem heißt es: „ZIS-Jahresbericht zeigt Lichtblicke bei vielen relevanten Sicherheitskennzahlen.“

Die ZIS hat Straftaten und Verletzte rund um 1170 Spiele der Ersten, Zweiten und Dritten Liga sowie weitere 1513 Spiele in den fünf Regionalligen ausgewertet. Demnach ist die Zahl der Verletzten während des Ligaspielbetriebs im Vergleich zum Vorjahr um 17,2 Prozent zurückgegangen.

Sicherheit entsteht durch Dialog, nicht durch Entscheidungen über die Köpfe der Beteiligten hinweg.

Stellungnahme des Präsidiums von Hertha BSC

Die Zahl der verletzten Polizisten sank sogar um 48 Prozent, die Zahl der eingeleiteten Strafverfahren um 22 Prozent – und das trotz gestiegener Besucherzahlen: Waren es 2023/24 noch 24.320.000 Zuschauer in den Stadien, so wurden für die vergangene Spielzeit 25.260.000 gezählt.

„Es ist meine generelle Haltung in Sicherheitsfragen: Fehlentwicklungen müssen wir so schnell wie möglich entgegenwirken“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Pressekonferenz im Oktober 2024. Er beklagte „leider eine negative Entwicklung“ und verwies darauf, „dass die Zahl der Verletzten höher war“ als vor Corona.

Inzwischen stimmt das nicht mehr. In der Spielzeit 2018/19, der letzten kompletten Saison vor den Einschränkungen durch Corona, wurden bei den Spielen der ersten drei Ligen 1127 Verletzte gezählt. In der vergangenen Saison waren es 1107.

Vor knapp zwei Wochen demonstrierten die Fans verschiedener Vereine für ihre Rechte.

© IMAGO/Björn Reinhardt/IMAGO/Björn Reinhardt

Die Politik klagt vor allem über „mehr Missbrauch von Pyrotechnik“, wie es im Jahresbericht der ZIS heißt. In der Saison 2024/25 habe es in sämtlichen deutschen Stadien 95 Verletzte durch Pyrotechnik gegeben. Zum Vergleich: In der Silvesternacht des vergangenen Jahres sind allein in Berlin 363 Menschen durch Feuerwerk verletzt worden.


Die Maßnahmen

Die Politik setzt vor allem auf das Instrument Stadionverbot. „Die meisten Stadionverbote sind die, die nicht verhängt werden“, klagte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) bei der Pressekonferenz im Oktober 2024. Daher brauche es die Einrichtung einer zentralen Stadionverbotskommission, die anders als die Klubs unabhängig entscheide.

Plan der IMK ist offenbar, dass bereits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Polizei ein verpflichtendes dreimonatiges Stadionverbot nach sich zieht. „Die grundsätzliche Unschuldsvermutung soll somit für Fußballfans nicht mehr gelten“, klagt der Dachverband der Fanhilfen.

Zuletzt sei es vermehrt vorgekommen, dass ganze Fangruppen auf dem Weg ins Stadion festgehalten und anschließend pauschale Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Die Fanhilfen fürchten daher, dass „auf einen Schlag hunderte Fans ein Stadionverbot erhalten, ohne dass auch nur einer Person eine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen worden ist“.

Im Gespräch ist auch, dass die Vereine personalisierte Eintrittskarten einführen sollen und in den Stadien KI-gestützte Sicherheitssysteme wie Gesichtsscanner eingesetzt werden. Die Fanhilfen halten solche Maßnahmen für „völlig unverhältnismäßig“.

Aber nicht nur die Fans, auch immer mehr Vereine haben sich, aufgeschreckt durch die jüngsten Proteste, inzwischen gegen die Pläne der Politik positioniert. So haben sich die Profiklubs aus Baden-Württemberg am Mittwoch „klar gegen kollektiv wirkende Einschränkungen wie verpflichtende Ticket-Personalisierungen oder pauschale Sanktionen“ ausgesprochen, da sie „den Großteil der Fans, die friedlich agieren, unverhältnismäßig treffen würden“.

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