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Hohe Fluktuation. Hertha vermisst Vedad Ibisevic (l.) als Anführer, Union hat die Abgänge von Rafal Gikiewicz und Keven Schlotterbeck (r.) besser kompensiert.

© imago images/Contrast

Vor dem Derby zwischen Hertha BSC und 1. FC Union: Warum Union den Umbruch bisher besser bewältigt

Bei beiden Berliner Klubs hat sich im Sommer viel getan. Doch während Hertha enttäuscht, übertrifft Union die Erwartungen – und am Freitag wartet das Derby.

Elf Zugänge, fünfzehn Abgänge, dazu Leihen und Abschiede junger Talente aus dem eigenen Nachwuchs. Solch ein massiver personeller Umbruch ist nicht einfach und kann einer Fußballmannschaft gewaltige Probleme bereiten. Oder sie meistert ihn scheinbar mühelos und erfolgreich wie der 1. FC Union. Dass das nicht selbstverständlich ist, lässt sich am anderen Ende der Stadt beobachten.

Bei Hertha BSC gab es im Sommer „nur“ sieben Neuzugänge, dazu drei bereits im Januar, sowie elf Abgänge aus dem engeren Profikader. Doch die Mannschaft von Bruno Labbadia ist auch Mitte der Hinrunde noch auf der Suche nach Struktur, Hierarchie und Selbstvertrauen. Vor dem Derby im Olympiastadion am Freitag (20.30 Uhr, live bei Dazn) stellt sich deshalb die Frage: Warum tut sich Union mit dem Umbruch so viel leichter?

Wie so oft im Fußball wird schnell deutlich, dass nicht so sehr die Quantität entscheidend ist, sondern vor allem die Qualität. „Wenn man auf die Startelf der letzten Spiele guckt, sind da gar nicht so viele Neuzugänge“, sagt Unions Robert Andrich. Beim 3:3 gegen Frankfurt waren es mit Torwart Andreas Luthe, Robin Knoche, Max Kruse und Taiwo Awoniyi genau vier. „Das Grundgerüst vom letzten Jahr ist zusammengeblieben, und wir haben es schnell hinbekommen, die Neuen zu integrieren“, sagt Andrich.

Zwar hat Union mit Torwart Rafal Gikiewicz einen absoluten Lautsprecher und Leader verloren, verfügte mit Kapitän Christopher Trimmel, Abwehrchef Marvin Friedrich und dem zentralen Mittelfeld um Andrich, Christian Gentner und Grischa Prömel aber vor allem defensiv bereits über eine stabile Achse.

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Die fehlt Hertha offensichtlich noch. Die Führungsspieler der jüngeren Vergangenheit haben den Verein allesamt verlassen. Fabian Lustenberger schon vor anderthalb Jahren. Im vergangen Sommer dann Vedad Ibisevic, Per Skjelbred, Salomon Kalou und Thomas Kraft. Sie alle haben mindestens fünf Jahre für Hertha gespielt und nun ein Führungsvakuum hinterlassen. „Wir sind auf der Suche nach einem Typen, der uns vorantreibt. Letzte Saison hatten wir mehr solche Spielertypen“, sagte Maximilian Mittelstädt nach dem 2:5 gegen Dortmund.

Abgesehen von der Führungsstruktur der Mannschaften fallen aber noch weitere Unterschiede auf. Hertha galt in der Sommertransferperiode aufgrund der Windhorst-Millionen als potenzieller Großeinkäufer, tat sich auf dem pandemiebedingt gehemmten Markt dann aber schwer. Große Namen tauchten auf und verschwanden wieder. Hertha war zum Improvisieren gezwungen und holte mit Mattéo Guendouzi, Omar Alderete und dem von der Leihe nach Augsburg zurückbeorderten Eduard Löwen drei Spieler unmittelbar vor Transferschluss. Da waren in der Bundesliga schon drei Spieltage absolviert.

Hertha fehlt bisher die Zeit

Das erschwert die Integration, zumal seitdem auch zwei Länderspielpausen auf dem Plan standen, in denen der halbe Kader unterwegs war. „Es blieb effektiv weniger Zeit zum Arbeiten. Dass das bei einer Mannschaft, die sich nach einem Umbruch neu finden muss, mehr ins Gewicht fällt, liegt auf der Hand“, sagte Manager Michael Preetz kürzlich in einem „Kicker“-Interview.

Auch Union hat mit Awoniyi, Joel Pohjanpalo und Loris Karius drei Spieler nach dem Bundesliga-Start verpflichtet, hatte den Rest des Kaders aber bereits sehr früh beisammen. Zumal sich Stürmer und Torhüter tendenziell einfacher im laufenden Betrieb integrieren lassen als etwa zentrale Mittelfeldspieler. „Ich glaube für einen Klub, der noch neu in dem Umfeld ist wie wir, war es ganz wichtig, dass wir fast mit dem kompletten Kader in die Vorbereitung gehen konnten", sagte Unions Trainer Urs Fischer.

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Der Schweizer ist mittlerweile im dritten Jahr in Berlin und die Mannschaft hat seine Philosophie verinnerlicht. Auch wenn in dieser Saison viel über Max Kruse und das ansehnliche Offensivspiel gesprochen wird, ist die kompakte Defensive weiter die Grundlage von Unions Erfolg. Auf dieser soliden Basis hat Fischer das Ballbesitzspiel weiterentwickelt. Ohne Sebastian Andersson, den wohl besten Spieler der Bundesliga im Verarbeiten langer Bälle, spielt Union nun häufiger flach nach vorne – und profitiert dabei natürlich auch von der außerordentlichen Qualität Kruses.

Vor allem aber scheinen bei Union alle Spieler zu wissen, was Fischer von ihnen verlangt. Die Integration der Neuzugänge wurde auch dadurch begünstigt, dass diese bis auf den Japaner Keita Endo alle schon in Deutschland gespielt haben und teilweise einiges an Bundesliga-Erfahrung mitbringen.

Beim Derbygegner sieht das anders aus. Herthas Neuzugänge (inklusive derer aus dem Januar) sind im Schnitt drei Jahre jünger (23,6 gegen 26,8), kommen abgesehen von Alexander Schwolow und Jhon Cordoba aus dem Ausland und sprechen größtenteils noch kein Deutsch, teilweise sogar nur leidlich Englisch. Das erschwert die Anpassung, ist aber vor allem ein Problem bei der Suche nach neuen Führungsspielern. „Wir haben immer gesagt, dass die Räume, die durch den Weggang von Führungsspielern entstehen, von anderen besetzt werden. Dass das nicht von heute auf morgen geht, war uns klar“, sagte Preetz. Allzu viel Zeit sollte es jedoch nicht mehr dauern, denn Herthas hohen Ansprüchen haben die bisherigen Leistungen nicht genügt. Und eine Derbyniederlage hilft da definitiv nicht – Umbruch hin oder her.

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