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Viele Uhren machen den Läufer mittlerweile zum gläsernen Athleten.

© Kay Nietfeld/dpa

Kolumne: Losgelaufen: Weg mit der Sportuhr!

Für viele Läufer ist die Smart Watch zum unverzichtbaren Hilfsmittel geworden. Unser Kolumnist hält nicht viel davon und hört lieber auf seinen Körper.

Am Tag vor meinem ersten Marathon packt mich die Panik. Dabei habe ich gut trainiert, mich mehrmals über die 30 Kilometer gequält, bin gesund geblieben und fühle mich nach einer Woche ohne Lauf hibbelig wie ein Kind vor dem ersten Schultag. Doch plötzlich habe ich das Gefühl, dass eine wichtige Sache fehlt, ohne die ich mich nicht auf die 42,195 Kilometer traue. Eine Uhr.

Also schnell in die Konsum-Hallen am Alexanderplatz. Viel Geld möchte ich nicht ausgeben. Kein Schnickschnack, nur eine Sportuhr, mit der ich meine Geschwindigkeit kontrollieren kann. Auch nach drei Stunden, zig Fachgeschäften und etlichen Beratungsgesprächen werde ich nicht fündig. Unter 200 Euro scheint es keine Uhr zu geben. Dafür hat jedes Gerät integriertes GPS, funktioniert auch 150 Meter unter Wasser, kann telefonieren und misst die Außentemperatur. Am Ende kaufe ich eine einfache Armbanduhr aus Plastik für sieben Euro ohne Stoppfunktion.

Für viele Läufer ist es die Gretchenfrage ihrer Sportart. Mit oder ohne? Gefühlt werden es immer mehr, die ständig auf ihr Handgelenk schielen und ihrer eigenen Uhr hinterherlaufen. Zur Freude von Ausstattern, die suggerieren, dass man ohne teure Hightech-Uhr erst gar nicht starten sollte. Neben dem 200 Euro Schuh, der neusten Laufkollektion und hocheffizienten Power-Gels, darf die Uhr – pardon, die Smart Watch – nicht fehlen. Je teurer, desto schneller. Schließlich vermessen Sportuhren nicht mehr nur die Zeit, sondern gleich noch Puls, Schrittfrequenz, Schrittlänge, Bodenkontaktzeit, Höhenmeter, verbrauchte Kalorien und Flüssigkeit. Der moderne Läufer wird zum gläsernen Athleten. Und alle machen mit.

Im Training kann man sie beobachten. Der letzte Kilometer drei Sekunden langsamer als im – von der teuren App erstellten – Trainingsplan vorgesehen? Panik! Schnell wieder Zeit gutmachen. Das GPS in der Unterführung verloren? Katastrophe für den Post danach! Immerhin sollen die Daten, am besten noch verschwitzt, bei Instagram, Twitter und Co. hochgeladen werden.

Man läuft nicht mehr für sich, sondern nur noch für die Uhr. Spaß bringt das nicht, aber Likes.

Sightseeing im Renntempo

Und noch etwas bleibt auf der Strecke. Die Fähigkeit, auf den eigenen Körper zu hören. Manchmal ist es schlauer, ein bisschen Speed herauszunehmen, um später nicht einzubrechen. Manchmal hat man einen guten Tag und kann nochmal Gas geben. Meine besten Resultate habe ich ohne Uhr erreicht. Wer nur nervös nach Zeit und Rennplan läuft, gibt die läuferische Freiheit auf.

Natürlich ist es im Wettkampf beruhigend zu wissen, wie lange man unterwegs ist. Doch dafür braucht es kein Hightech am Handgelenk. Bei vielen Rennen halte ich Ausschau nach öffentlichen Park- oder Kirchturmuhren. Dabei entdecke ich so einiges neben der Strecke, gerade beim Berlin-Marathon. Immerhin ist man in der privilegierten Position, die sonst 364 Tagen im Jahr den Blechkolonnen zusteht. Mitten auf der Fahrspur. Sightseeing im Renntempo.

Meine Plastik-Uhr hatte ich nie wieder an. Wo sie liegt, weiß ich nicht. Den nächsten Marathon werde ich so schnell laufen, wie es mein Körper zulässt – nicht wie es mir die Technik befiehlt.

Felix Hackenbruch ist Volontär beim Tagesspiegel und leitet die Checkpoint-Laufgruppe. Hier schreibt er im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

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