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Ist es schon Doping oder doch nur ein Schuh: der Vaporfly.

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Techno-Doping oder perfektes Marketing?: Wie ein Laufschuh die Leichtathletik verändert

Ein vermeintlicher Wunderschuh zwingt die Leichtathletik zu neuen Regelungen. Dabei hat es ähnliche Treter schon früher gegeben.

Von Wunderschuhen hat Eiko Mühl in seinem Leben öfter gehört. Seit über 15 Jahren betreibt der Berliner ein Laufschuh-Geschäft in Charlottenburg. „Ich denke da an ein Modell von dem Hersteller Diadora“, erzählt der aktive Triathlet. „In den Schuhen war eine Metallspange unter der Zwischensohle verbaut. Dadurch sollte eine Energierückgewinnung erzielt werden.“ Der Schuh von Diadora verschwand schnell aus seinen Regalen, neue Schuhe mit vermeintlich bahnbrechenden Eigenschaften tauchten in den Regalen auf und verschwanden ebenso wieder. Ein ewiger Kreislauf.

„Ich sage meinen Kunden immer“, erzählt Mühl, „glaubt bloß nicht, dass ihr durch einen bestimmten Schuh schneller lauft.“ Mühl ist mit seinen 52 Jahren ein alter Hase im milliardenschweren Laufschuh-Markt. Von einer Sache ist er fest überzeugt: „Den Wunderschuh, von dem nun alle sprechen, gibt es meiner Meinung nach nicht. Wenn es einen gäbe, würde er verboten werden.“

Es geht um ein Modell des US-amerikanischen Sportartikelriesen Nike namens Vaporfly. Der Schuh ist in unterschiedlichen Ausführungen seit 2017 auf dem Markt und ein großes Thema in der Läufergemeinde. In der vergangenen Woche fand die Debatte über den Schuh ihren Höhepunkt: Der Leichtathletikweltverband IAAF gab bekannt, dass der in den Geschäften erhältliche Vaporfly weiter bei Wettkämpfen getragen werden darf.

Dafür sind künftig keine Prototypen mehr zulässig, wie sie etwa der Ausnahmeläufer Eliud Kipchoge und viele andere Athleten getragen hatten. Die Schuhe müssen im Handel sein. Es ist ein schwieriger Kompromiss der IAAF, die auf der einen Seite faire Bedingungen garantieren will und auf der anderen Seite die so mächtige Laufschuhindustrie nicht vergrätzen möchte.

Angeblich ist man mit den Schuhen vier Prozent schneller

Dass ein Hersteller behauptet, seine Laufschuhe seien schneller als jene der Konkurrenz, ist marktimmanente Logik. Doch schnell zeichnete sich ab, dass es im Falle des Vaporfly mehr sein könnte als eine teuer angelegte Marketingkampagne. So hatte es vor zwei Jahren eine halbwegs aussagekräftige Untersuchung gegeben, nach welcher der Vaporfly-Schuh im Vergleich zu den bis dahin gängigen Laufschuhen einen Geschwindigkeitsvorteil von vier Prozent mit sich bringe.

Zudem gab es eine hohe Korrelation zwischen Rekorden und Trägern des Vaporfly-Modells. Allerdings ist nicht gewiss, ob der Schuh tatsächlich schneller macht. Oder ob Nike eine Mär vom Wunderschuh erzählt, indem der Konzern den Großteil der Spitzenläufer sponsert und mit den Schuhen ausstattet.

Ein Protagonist von Nike ist in jedem Fall Eliud Kipchoge. Im vergangenen Oktober beendete der Kenianer in Wien als erster Mensch einen Marathon unter zwei Stunden. Der Rekord wurde nicht gewertet, weil Kipchoge unter Laborbedingungen lief. So wurde er von 41 Tempomachern unterstützt. Zudem lief er mit einem Prototyp des Vaporfly.

Eliod Kipchoge bei seinem inoffiziellen Weltrekord in Wien.
Eliod Kipchoge bei seinem inoffiziellen Weltrekord in Wien.

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Der Schuh hatte eine höhere Sohle als die bisherigen Modelle und mehreren Berichten zufolge sollen in den Zwischensohlen drei Carbonplatten verbaut gewesen sein. Es sind dies technische Raffinessen, die dem Laufschuh-Laien nicht viel sagen. Vereinfacht formuliert geht es darum, dass ein Teil der Energie, die der Läufer mit jedem Schritt freisetzt, durch den Schuh an ihn wieder zurückgegeben wird. Kipchoge lief nicht nur, er federte auch dank der Carbonplatten in Wien zu der Fabelzeit von 1:59,40 Stunden.

Bis heute hat Nike es vermieden, konkret Auskunft darüber zu geben, ob sich das Prototyp-Modell Kipchoges von dem bald in den Läden käuflichen Modell namens Air Zoom Alphafly unterscheidet. Nike verkauft den Rekord Kipchoges als Beweis dafür, dass der Konzern den besten Laufschuh der Welt hergestellt hat.

Regelrechter Hype findet um den Schuh statt

Das sahen auch viele Läufer so. Es fand ein für Nike gewinnbringender Hype statt. Jene Läufer, die bislang nicht bei Nike unter Vertrag waren, wechselten oder wollten zur Marke mit dem Swoosh wechseln. Bei manchen Marathons trugen Läufer sogar die Vaporfly-Schuhe, obwohl sie bei anderen Firmen unter Vertrag standen. Damit das Ganze nicht aufflog, bemalten sie die Schuhe mit dem Schriftzug ihres jeweiligen Ausrüsters.

Der internationale Leichtathletikverband, zu dessen Hauptsponsoren die japanische Sportschuhmarke Asics zählt, war nicht begeistert von dem vermeintlichen Wunderschuh. Er hatte die Thematik unterschätzt. Vermutlich auch deshalb, weil es bereits in der Vergangenheit Laufschuhe mit Carbonplatten gegeben hatte.

Zu nennen sind zum Beispiel die Fila Racers, die der Kenianer Paul Tergat bei seinem Marathon-Weltrekord 2003 trug. Oder das Adidas-Modell ProPlate des mehrmaligen Rekordläufers Haile Gebrselassie. Im Vergleich zum Vaporfly hielt sich das Interesse an den Modellen aber in Grenzen.

Nike kopierte und modifizierte letztlich Altbekanntes. Dennoch war von Techno-Doping die Rede, weshalb der Leichtathletikweltverband nun nur noch Schuhe zulässt, deren Sohlen nicht höher als 40 Millimeter sind. Auch darf nicht mehr als eine Zwischenplatte in den Sohlen eingebaut sein. Mit dem Kompromiss machte die IAAF nicht nur Nike Zugeständnisse, sondern auch den vielen Läufern, die die Schuhe tragen. Ein komplettes Verbot der Vaporfly-Serie im Olympiajahr hätte ziemlich sicher den Zorn vieler Athleten nach sich gezogen.

Für den Berliner Laufschuh-Experten Eiko Mühl ist jedenfalls klar, wer der große Profiteur der Neuregelung ist: Nike. „Der Beschluss des Verbandes schürt bei den Läufern erst recht die Annahme, dass der Schuh eine Effizienzverbesserung mit sich bringt“, sagt er. Ob er den Air Zoom Alphafly in sein Sortiment aufnehmen werde, wenn er im März in den Handel kommt? „Nein, es werden andere Hersteller einen ähnlichen Schuh zu einem viel günstigeren Preis anbieten“, sagt er.

Der Vaporfly kostet um die 270 Euro und – je nach Ausführung – deutlich mehr. Mühl wird lieber die billigeren Schuhe in seine Regale stellen und sie zu gegebener Zeit wieder durch neue, vermeintlich bessere Modelle ersetzen. So läuft es auf dem Laufschuh-Markt.

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