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Beim Berliner Viertligaderby kam es auch zu einem Polizeieinsatz im Stadion-Innenraum.

© imago

Willmanns Kolumne: Wenn aus 30 gewaltbereiten Fans 300 werden

Was ist beim Berliner Derby zwischen Union II und dem BFC am Sonntag im Stadion an der Alten Försterei passiert? Unser Kolumnist meint: Oftmals nicht das, was im Polizeibericht steht.

War ich am Sonntag etwa bei einem anderen Spiel in einem Paralleluniversum? Ist das Zeitalter der Informationen vorbei? Entgleisen Teile unserer Medienlandschaft? Sollen die Menschen für dumm gehalten werden? Warum werden in einigen Medien aus 30 gewaltbereiten Unionfans plötzlich 300? Wer lässt so etwas zu? Bestimmte Berichterstatter orientieren sich gern am Polizeibericht. Aus Faulheit, Inkompetenz, Dummheit. Verdrehen, verschleiern, für ihre reißerischen Medien zurechtbiegen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Polizeibericht eine Angelegenheit immer einseitig schildert. Es gibt Fanprojekte, Krankenhäuser, unabhängige Beobachter. Informationen überall, man muss sie nur einsammeln wollen.

Ich stand in der 2. Halbzeit im A-Block, auf der Haupttribüne, ziemlich nah bei den BFC-Fans. Sozusagen im Auge des Orkans. Die erste Halbzeit schaute ich mir die Unioner an. Es war ein hitziges Derby, nach vielen Jahren trafen die alten Ostberliner Rivalen mal wieder unter Publikumsbeobachtung aufeinander. 8000 Zuschauer, keine schlechte Zahl. Vorm Spiel zeigte sich die Polizei bereits überfordert. Die Zufahrtsstraße zum Stadion war über eine Stunde gesperrt, selbst die Presse ließen fürs Derby abgestellte weiße Mäuse nicht auf die Parkplätze. Der lächerliche Grund: einige zerschlagene Bierflaschen. Die BFC-Fans waren längst im Block, trotzdem blieb die Polizei stur. Achseln zucken und „Weg da, sie stören den fließenden Verkehr“. Wohin? Mir doch egal.

Im Stadion ging anfangs alles friedlich zu

Im Stadion ging anfangs alles friedlich zu, nachdem die Polizei die Versuche seitens einiger Unioner, den Marsch der BFC-Fans zum Stadion anzugreifen, abgewehrt hatte. 2000 BFC-Fans, darunter laut Polizeiführung mehrere hundert schwere Gewalttäter, waren während des gesamten Spiels nicht auffällig. Sie sangen ihre Lieder und zeigten mehr oder weniger geschmackvolle Banner. Selbstverständlich versicherten sie dem Gegner ihren ewig währenden Hass. Das sah auf Unionseite nicht anders aus. Dieses Flügelflattern gehört zu den Ritualen der Fankurven. Als der BFC in der zweiten Halbzeit in Führung ging, stieg ein paar Unionern das Leichtbier zu Kopf. Es schien ihnen angebracht, mittels Überquerung der Haupttribüne ins Lager ihrer ewigen Feinde vorzudringen, um per Faustrecht zu zeigen, wer Herr im Stadion An der Alten Försterei war. Auch hatten sie wohl auf der Tribüne ein paar BFC-Fans ausgemacht, die dort mit ihren Frauen und Kindern das Tor ihrer Mannschaft bejubelten. Normalerweise hat man bei solchen Spielen aufmerksame Ordner an neuralgischen Punkten stehen. Zum Beispiel am Eingang der Tribüne. Unions Ordnerschaft war für ein paar Minuten überfordert und ließ dreißig aufgebrachten Streithähnen die zu lange Leine. Darf bei einem so brisanten Spiel nicht passieren.

Die große Mehrheit der Fans hatte keinen Bock auf Gewalt

Als weitere übelgelaunte Kameraden den Unionblock verlassen wollten, um ein bissel zu stänkern, schritt die Polizei massiv ein. Sie hatte mittels Pfefferspray und einträchtiger, doch gezielter Schläge auf den Hinterkopf, die Lage schnell unter Kontrolle. Alldieweil sich die BFC-Fans vom Ansturm der Unioner nicht motiviert sahen, nun ebenfalls ihren Stall zu verlassen, um sich auf halbem Weg zu treffen und schön einander die Hirnkästen einzuschlagen. Eine Massenschlägerei wurde verhindert, weil die große Mehrheit der Fans keinen  Bock auf Gewalt hatte. Nach fünfzehn Minuten konnte weiter gespielt werden. Es gab etliche verletzte Unioner und ein paar Festnahmen. Ich umrundete einmal die Haupttribüne und sah mir den Schlamassel an. Verletzte Polizisten sah ich keine.

Natürlich hatten auch die Polizisten Angst

Der BFC gewann das Derby, die Fans feierten ein bisschen mit ihren Helden und wollten dann in der Mehrzahl nur irgendwie nach Hause. Wenn die Berliner Polizei Krisenmanagement könnte, wäre es auch im BFC-Block nicht zu Auseinandersetzungen gekommen. Um den Abzug der Unioner zu gewährleisten, wurden die Fans des BFC im Block lange festgehalten. Sie durften die Notdurft nicht verrichten, die Polizei stand in voller Kampfmontur und gezücktem Knüppel und blockierte die Treppen zum Ausgang. Natürlich hatten die Polizisten auch Angst. Während des Spiels saßen sie in ihren Transportern.

Wahrscheinlich wussten sie gar nicht, wer für die Gewalt im Stadion verantwortlich war. Was dachten die armen Kerle? Dass eine Horde Irrer vor ihnen stand, die gleich die Teppichmesser zücken würden? Unter zivilisierten Völkern würde man nun den Dialog suchen. Dafür gibt es in manchen Bundesländern entsprechende Fachleute bei der Polizei. In Köpenick standen sich Bürger mit und ohne Uniform feindselig gegenüber. Eine alberne, eine komplett unnötige Show.

Von hinten schubsten Einzelne, die Situation eskalierte. Knüppel und Reizgas satt, zurück blieben nach kurzem Scharmützel Verletzte auf beiden Seiten. Laut Polizeibericht brachte der Tag über 100 beschädigte Beamte. Die verletzten, fußballschauenden Bürger erwähnte der Polizeibericht nicht. Darüber muss die Öffentlichkeit via Medien informiert werden. Es kamen Menschen zu Schaden, sie wurden in Krankenhäusern notversorgt. Doch diverse Medien, allen voran Springers heiße Blätter, hatten anderes im Sinn. Schnell wurden aus dreißig Tribünenstürmern dreihundert.

Sogar im Videotext der ARD wurde diese Zahl nicht hinterfragt und unters verängstigte Volk geworfen. Unsere Medienlandschaft entgleist in einer Form, die undemokratisch ist. Wir wurden in den letzten drei Tagen zugemüllt mit Kram zum Sonntagsderby, der häufig schlichtweg falsch war. Und den Blick verstellt für die Dinge, die wichtig sind. Fanrechte, Fußball als Kulturgut das allen Menschen gehören muss, die längst überfällige, breite Doping-im Fußball-Debatte. Das ist die Aufgabe der Medien, um auf solche Zustände hinzuweisen, zu diskutieren und aufzuklären. Und nicht, um irgendeine Belanglosigkeit hochzujazzen.

Was interessiert? Fangewalt, CR7`s frischer Haarschnitt und die neuen Silikonmöpse der Spielerfrau XY? Das runde Ding ist der Ball und nicht die dicke Lippe eines Fans. Die Glaubwürdigkeit der Print- und Onlinemedien nimmt ab. Das ist im Sport, speziell beim Fußball, besonders frappierend. Kritischen Journalismus gibt es im Fußball immer weniger. In wenigen Jahren wissen die Menschen vielleicht nicht mehr, wer ihnen die Wahrheit sagt. Wer, wenn nicht Journalisten müssen die Meldungen sortieren, erklären, kritisch bearbeiten. Den Polizeibericht abschreiben und mit bunten Bildern der Gewalt zu unterlegen, ist ganz schlechtes Kino. Dreißig Idioten im Stadion lassen den Bildmenschen erregt von Randale wie am 1. Mai jubeln. Was für ein armer Wicht! Ihm geht’s nicht um den Inhalt, sondern um Quote. Da fragt Mensch sich: Ist Inhalt noch relevant?

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