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Ulrich Struck analysiert die Lebensweise von den Dinosauriern noch Tausende von Jahren nach ihrem Aussterben.

© Miriam Klingl

Isotopenpaläontologie: Elementare Erkenntnisse

Ulrich Struck wurde zum außerplanmäßigen Professor am Institut für Geologische Wissenschaften ernannt – für das ungewöhnliche Fach Isotopenpaläontologie.

Präpariert, versteinert oder in Alkohol konserviert blickt einen die Evolution in ihrem unfassbaren Einfallsreichtum an – und Homo sapiens, der Besucher, schaut staunend zurück. Nirgendwo in Berlin treffen Gegenwart und Vergangenheit der Erde so unmittelbar aufeinander wie auf dem Weg zu Ulrich Strucks Büro. Für den 56-jährigen Mikropaläontologen ist das Museum für Naturkunde Berlin der perfekte Arbeitsplatz. Denn der Leiter des hauseigenen Isotopenlabors hat sich auf eine Analysenmethode spezialisiert, die Antworten auf viele spannende Fragen liefert. Fragen, die sich Paläontologen, Anthropologen, Hydrogeologen, Klimaforscher und Mediziner stellen: Wie haben Menschen und Tiere vor Tausenden, vor Millionen von Jahren gelebt? Wer war Jäger, wer Beute? Und wie war das Klima zu ihrer Zeit?

Eine winzige Knochenprobe verrät, ob ein Urzeittier einst blutige Beute machte oder nur Grünzeug fraß. Genauso wie ein Stückchen Fingernagel genügt, um nachzuweisen, ob ein Mensch derzeit tatsächlich vegan lebt oder doch „nur“ Flexitarier ist. Du bist, was Du isst – diese Devise ist zeitlos, galt damals wie heute. Die Unterschiede sind fein, liegen nur im Promillebereich, sind aber selbst nach 300 Millionen Jahren exakt nachweisbar.

Das funktioniert, weil sich bestimmte Varianten der Elemente, aus denen die Nahrung besteht, im Körper zunehmend anreichern. „Wir sehen das deutlich am Kohlenstoff-Stickstoff-Isotopenverhältnis. Je niedriger das Stickstoffisotopenverhältnis ist, das wir in einer Probe finden, desto pflanzlicher war die Ernährung“, erklärt Ulrich Struck. Er analysiert die kleinsten Bausteine, die vom Leben übrigbleiben, selbst wenn es schon vor Jahrmillionen erloschen ist: die stabilen Isotope der chemischen Elemente Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff.

Spuren von Lebewesen aus der Urzeit sind auch heute immer noch lesbar

Die meisten Elemente bestehen aus Atomen, die sich in ihrer Masse ein wenig unterscheiden, den sogenannten Isotopen: Stickstoff etwa aus 14N und 15N und Kohlenstoff aus 12C und 13C sowie einer Spur des instabilen 14C. Die „Isotopensignatur“ einer Pflanze oder eines tierischen Produktes kann übrigens regional sehr unterschiedlich sein, sodass sie sogar zum Herkunftsnachweis von Nahrungsmitteln verwendet werden kann. Durch Zeitreihen-Messungen an Sedimentproben und Fossilien der Ozeane können Klimaveränderungen über Jahrtausende zurückverfolgt werden. Das Verhältnis der Sauerstoffisotope (18O/16O) macht's möglich, denn je niedriger der 18O-Anteil, desto wärmer war es einst.

Egal ob feste Stoffe, flüssige oder gasförmige: Massenspektrometer können so ziemlich alles ionisieren und im elektrischen Feld in ihre spezifischen Massen auftrennen. Knochen, Zähne, Muskelgewebe, Muschelkalk oder Mineralien sind ebenso geeignet wie Öle, Wasserproben und sogar Atemluft.

Mit der Berufung von Ulrich Struck zum außerplanmäßigen Professor an das Institut für Geologische Wissenschaften will die Freie Universität Berlin Forschung und Lehre der Fachrichtung Paläontologie stärken und zugleich die Beziehungen zum Museum für Naturkunde intensivieren. Es ist die erste Professur für Isotopenpaläontologie in Deutschland. Für Ulrich Struck war eine akademische Laufbahn nicht selbstverständlich. Er wuchs im dörflichen Raum südlich von Rendsburg bei Kiel zusammen mit sieben Geschwistern auf, was sicher mit dazu beigetragen hat, dass er ein so geerdeter und zugewandter Mensch ist. Beständigkeit, handwerkliches Geschick und die Freude daran, „ganz praktisch etwas von guter Qualität zustande zu bringen“, gab ihm sein Vater mit, der Maurer war. Gemeinsam musizierten sie viele Jahre im Feuerwehrmusikzug. Der Vater spielte Horn, Sohn Ulrich Klarinette. Seine Mutter, die halbtags noch als Sekretärin arbeitete, sorgte dafür, dass die Kinder nicht nur in Comics schmökerten, sondern auch Sachbücher lasen. Das blieb nicht ohne Folgen. Adrian Desmonds „Das Rätsel der Dinosaurier“ faszinierte Ulrich Struck derart, dass er beschloss, Geologie und Paläontologie in Kiel zu studieren „Dinosaurier-Paläontologie wurde dort leider nicht angeboten.“

Er hatte Glück, der „Siebte“ zu sein. Denn nur die vier jüngeren Kinder konnten das Gymnasium besuchen. Danach pendelt er täglich zu den Vorlesungen nach Kiel. Für ein Zimmer in der Stadt fehlt das Geld. „Das studentische Nachtleben habe ich natürlich schon vermisst“, sagt er lächelnd.

Ohne Geländekartierung kein Geologie-Diplom. Ulrich Struck fliegt dafür 1987 in die Arktis nach Spitzbergen. „Ein Hubschrauber setzte vier Expeditionskisten, meinen Mitstudenten und mich mitten im Nirgendwo ab, und dann legten wir los.“ Diese sieben abenteuerlichen Wochen wird er nie vergessen. „Anfangs zelteten wir. Später überließen uns russische Forscher, die nach Hause zurückkehrten, ihre Hütte.“ Für seine Doktorarbeit verfolgt Ulrich Struck winzige Meeresfossilien, sogenannte Foraminiferen, und wie sich deren Populationen durch Klimaveränderungen im europäischen Nordmeer entwickelt haben. Nun ist er endlich (Mikro-)Paläontologe! Die Isotopenanalyse wird danach zum Kern seiner Forschung und viele weitere Fahrten auf Forschungsschiffen folgen.

Als Postdoktorand geht Ulrich Struck an das 1992 gegründete Leibniz-Institut für Ostseeforschung nach Warnemünde, arbeitet dort im neu aufgebauten Isotopenlabor und untersucht den Stickstoffkreislauf in der Ostsee. „Anhand von 15N/14N-Analysen, etwa bei Blaualgen, lässt sich nachweisen, woher deren Nährstoffe stammen.“ Auch die Überdüngung der Ostsee durch Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft wird so dokumentiert.

Das Rätsel der Dinosaurier wurde gelöst

Wie viele Naturwissenschaftler, die eine akademische Laufbahn anstreben, muss sich auch Ulrich Struck von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln. Im Jahr 2000 wechselt er schließlich an die Ludwig-Maximilians-Universität. Er übernimmt eine Professurvertretung. Zwei Jahre später wird er Leiter des Isotopenlabors der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, die an der Uni angesiedelt ist – seine erste Festanstellung. Als sein damaliger Institutsleiter Reinhold Leinfelder – heute Professor an der Freien Universität Berlin – 2006 als Direktor des Museums für Naturkunde in die Bundeshauptstadt wechselt, bittet er Struck, mitzukommen. Eine Bitte, der der Paläontologe gern nachkommt. Gemeinsam mit seiner Frau, der Hydrogeologin Marianne Falk, baut er dort das Isotopenlabor auf. Im Jahr 2008 habilitiert er sich und lehrt seither als Privatdozent an der Freien Universität.

„Das Rätsel der Dinosaurier“ konnte übrigens 2010 endlich gelöst werden. Wie schon der Buchautor Adrian Desmond anhand verschiedener körperlicher Merkmale der tierischen Giganten vermutet hatte, waren sie – anders als andere Echsen – tatsächlich Warmblüter. Der Nachweis gelang auch Dank der „Isotopenthermometrie“, was Struck besonders freut. „Fantastisch, dass die Methode, die ich vertrete, zur Klärung der Frage, wegen der ich überhaupt in der Paläontologie gelandet bin, beigetragen hat!“ Er selbst war in das Projekt zwar nicht involviert, aber auch Proben des Brachiosaurus – sein korrekter Name lautet Giraffatitan brancai – aus dem Museum für Naturkunde in Berlin wurden dafür analysiert.

„1992 habe ich promoviert. 25 Jahre später bin ich nun Professor geworden“, sagt er am Ende lachend. „Das war schon eine ziemlich lange Ausbildungszeit.“ In geologischer Zeitrechnung wäre das nicht einmal ein Wimpernschlag.

Catarina Pietschmann

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