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Gesellschaft: Ton Der gute

Er war ein Hit der 70er Jahre – nun kommt er zurück: der Römertopf. Selbst komplette Dilettanten können damit kochen. Alles rein, Deckel zu – fertig

Von Andreas Austilat

Wir hatten eingeladen, zum Essen. „Was gibt’s denn?“ wurde ich vorab am Telefon gefragt. „Rouladen“, sagte ich. Nun kann man ja schlecht beurteilen, ob der andere am Telefon die Augenbrauen hochzieht. Aber man fühlt das irgendwie. Und als ich dann noch sagte „im Römertopf“, hat er erst mal gar nichts gesagt. Wahrscheinlich dachte er, es geht um eine Motto-Party, und es gibt irgendwie einen 60er-Jahre-Dresscode.

Könnte natürlich auch Einbildung gewesen sein, weil ich so eine Reaktion insgeheim erwartet habe. Unsere Freunde zählen sich nämlich gern zur kulinarischen Avantgarde. Und „Roulade“ ist zumindest phonetisch schon ganz dicht dran an der Kohlroulade und ganz weit weg von Sushi. Wer dann noch „Römertopf“ sagt, setzt sich dem Verdacht aus, dass er das Kochen nicht nur bei Mutti gelernt hat, nein, er kocht auch immer noch wie Mutti.

Man wird ihm also möglicherweise unterstellen, dass er sich vorzugsweise von Jägerschnitzel oder Königsberger Klopsen ernährt. Dabei verhält es sich doch in Wirklichkeit ganz anders: Der Römertopf ist im Kommen. Michel Rouland kann das mit ein paar Zahlen belegen. Rouland ist Vertriebschef bei der Römertopf Keramik GmbH in Ransbach-Baumbach, einer 6000-Einwohner-Gemeinde im Westerwald. Demnach verkauft sich der Tontopf nach einer wirklich schwierigen Zeit wieder ausgesprochen gut, in den letzten vier Jahren habe man regelmäßig respektable Zuwachsraten registriert, am schönsten war für die Töpfer 2008, da ging es um 18 Prozent nach oben. „Unglaubliesch“, sagt Monsieur Rouland, der sich auch nach 25 Jahren Ransbach-Baumbach seinen französischen Akzent bewahrt hat. Rund 400 000 Stück liefere man heute im Jahr aus, 40 Prozent gehen ins Ausland, sogar bis nach Amerika und Japan, als „Botschafter einer guten deutschen Küche“, sagt Rouland, der an der französischen Atlantikküste aufgewachsen ist.

Der Original-Römertopf ist in der Tat ziemlich deutsch, und sein Ursprung liegt in den 60er Jahren. Es handelt sich nämlich nicht um ein archäologisches Erbe. Auch wenn die Idee Eduard Bay, dem 1972 verstorbenen Erfinder, während seines Italien-Urlaubs gekommen sein soll, als er in einem Museum ein paar Tontöpfe betrachtete. Das geschah 1966, wahrscheinlich stand da irgendwo auch noch der Name Lucullus, und wer damals in Deutschland von Italien und Lucullus sprach, war kulinarisch ganz vorne.

Eduard Bay besaß eine Firma für Zierkeramik. Die stand gewissermaßen auf einem Riesenberg Ton, der Westerwald gehört zu den größten Lehmtagebaugebieten Deutschlands. Und weil Bay immer auf der Suche war nach neuen Produkten, wird der Anblick von Terracotta seine Neugier herausgefordert haben.

Tatsächlich wird seit Jahrhunderten in Tontöpfen gekocht. Auch im alten Rom. In der nordafrikanischen Küche kennt man bis heute die Tajine, ein spitzkegeliges Tongefäß, das eine gewisse Verwandtschaft mit dem Römertopf aufweist. Es gibt die Tajine in verschiedenen Ausführungen: Aus offenporigem Ton, dann wird das Gefäß vor der Zubereitung gewässert, oder glasiert mit einem Wasserreservoir im spitzen Deckel. Auch mit der Tajine kann man schonend garen. Aber es muss Flüssigkeit zugegeben werden. Dafür sieht die Tajine nicht nach Westerwald aus, sondern nach Ali Baba und sie soll feuerfest sein.

Den Römertopf kann man nicht ins offene Feuer stellen, auch nicht auf die Herdplatte. Dann fliegt er einem möglicherweise um die Ohren. Das Gleiche kann passieren, wenn man ihn in den vorgeheizten Ofen stellt. Damit sind aber auch schon alle möglichen Fehlerquellen aufgezählt.

Der Römertopf besticht durch Einfachheit. Er wird gewässert – 15 Minuten sollten es schon sein. Manch einer taucht das ganze Gerät unter, andere begnügen sich damit, Topf und Deckel zu füllen. Wenn es schnell gehen muss, hält man ihn unter fließendes Wasser. Dann kommt rein, was gegart werden soll, Deckel drauf und ab in den Ofen. Man muss nichts begießen, es spielt auch keine Rolle, ob der Braten eine halbe Stunde länger drin bleibt. Noch nie ist mir in diesem Wundertopf etwas misslungen. Und hinterher sieht der Backofen immer noch aus wie nicht benutzt.

Diese Vorteile machten den Römertopf bei seiner Markteinführung 1967 zum Küchenschlager. „Garzeit ist Freizeit“, lautete ein Slogan. Außerdem passte das wannenartige Gerät zur gerade einsetzenden Gesundheitswelle. Weil alles nur im eigenen Saft gedünstet wird, kein Fett zugesetzt werden muss, war der Topf plötzlich die Alternative zur fetttriefenden Fresswelle der Nachkriegsjahre. Über eine Million Stück setzten die Westerwälder jährlich ab.

Warum aber wird in diesem Ding alles gleichzeitig fertig, sind harte Möhren nach zwei Stunden gar, während der Blumenkohl, der genauso lange drin war, immer noch nicht zerfällt? Michel Rouland erklärt das mit dem Material. Der Ton wird bei knapp über 1000 Grad gebrannt, ansonsten seien über 1200 üblich. So blieben die Poren offen, könnten sehr viel Wasser speichern, das während des Dünstens nach innen abgegeben würde.

Trotzdem knickte die Erfolgskurve der Töpfer aus Ransbach-Baumbach in den 90er Jahren. Schließlich musste der Betrieb verkauft werden. Auch der neue Besitzer, der damals größte Bierkrughersteller Deutschlands, ging 1998 insolvent. Der Römertopf war aus der Mode gekommen.

Vielleicht lag es ja auch am firmeneigenen Kochbuch „Braten und Schmoren im Römertopf“, ein unfassbarer Longseller. Der schmale Band erlebte mindestens 45 Auflagen, über zwei Millionen Exemplare wurden verkauft. Die Optik aber erinnerte bis zum Schluss an die Zeiten, als der Farbdruck gerade erfunden wurde und man den Wein aus Korbflaschen trank. Fleisch war noch nicht unanständig, und die Beilagen entsprachen dem Angebot der 60er Jahre, mit viel Apfel, der als einziges Obst praktisch immer verfügbar war, einer Ananas, wenn es exotisch werden sollte. Zucchini zum Beispiel waren vollkommen unbekannt. Der Topf verschwand ganz unten im Küchenschrank.

Inzwischen ist er wieder da, wird wie zu Bays Zeiten immer noch in Ransbach-Baumbach gefertigt. Einziges Zugeständnis: Das Unterteil des Klassikers wird heute bis zwei Finger breit unter den Rand glasiert, dann ist er leichter zu reinigen. Und es gibt eine Neuausgabe des Original-Römertopfkochbuchs, jetzt auch mit vegetarischen Gerichten.

Den aktuellen Erfolg führt Michel Rouland vor allem auf zweierlei zurück: Eine fettarme Küche werde gerade heute sehr geschätzt. Und, solch ein Tontopf kostet um die 30 Euro, ist damit ein vergleichsweise günstiges Kochgerät. Trotzdem verlassen sich die Töpfer nicht mehr nur auf ihren Klassiker, versuchen die Palette zu erweitern. Zum Beispiel mit dem Bräter „Chicko“, bei dem ein Huhn auf eine Art Tondorn gespießt wird. Oder den Brottöpfen, in denen sich das Brot länger halten soll, weil der Ton, wenn er trocken ist, Feuchtigkeit aufnimmt. Mit einem Anteil von 30 Prozent bleibt der klassische Römertopf jedoch wichtigstes Produkt.

Was aber halten Profi-Köche vom Tontopf aus dem Westerwald? Zumindest eine schätzt ihn bekanntermaßen: Carmen Krüger aus Eichwalde, Tagesspiegel-Lesern gut bekannt, vom Gault Millau seit Jahren unter den besten 250 Köchen Deutschlands geführt. Sie kennt ihn noch aus DDR-Zeiten, damals kam der Topf wie der Bohnen-Kaffee als geschätztes Mitbringsel aus dem Westen zu ihr.

In ihrem Restaurant benutzt sie ihn allerdings nur, wenn Gäste ein bestimmtes Gericht vorbestellen, denn die Garzeit kann etwas länger dauern, da der Topf erst aufgeheizt werden muss. Privat verwendet sie ihn gern, vor allem im Sommer, „wenn ich keine Lust habe, ständig in der Küche zu stehen, um den Braten zu beaufsichtigen“. Ihre Favoriten sind Geflügel, das sonst leicht trocken wird, Fasan zum Beispiel oder Wildente. Sehr gut mache sich auch ein Zicklein darin – mit Porree, Schalotten, Auberginen, Zucchini, gelingt immer.

Es sei denn, sie hat das Ding eben doch in den vorgeheizten Ofen geschoben. dann kann er wirklich platzen, sie hat es selbst erlebt. Deshalb sei an dieser Stelle noch auf ein paar Regeln hingewiesen: Vorsicht, wenn man den Deckel abhebt, die austretende Dunstwolke ist enorm und Brillenträger erblinden praktisch auf der Stelle. Ja, man darf den abgekühlten Römertopf mit Seife auswaschen, sollte aber sehr gut nachspülen. Alte Römertöpfe kriegt man wieder sauber, indem man sie mit einer Essig-Wassermischung in den Ofen schiebt. Hat ein Römertopf einen Sprung, sollte man mit dem Fingerknöchel draufschlagen. Klingt er nicht, dann Vorsicht, er hält nicht mehr lange.

Und noch ein letztes Wort in eigener Sache: Ja, meine Rouladen kamen ziemlich gut an.

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