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Nina Magdalena Böhmer bei der Arbeit.

© privat

Berliner Krankenpflegerin klagt an: „Euren Applaus könnt ihr euch sonstwohin stecken“

Nina Magdalena Böhmer, 28, ist Krankenpflegerin in Berlin. Hier schildert sie ihren Joballtag und erklärt, warum sie nachts nicht schlafen kann.

Von Julia Prosinger

In diesen Tagen verabreden sich Menschen auf Balkonen, um anderen wie Nina Magdalena Böhmer Applaus zu geben für ihren Einsatz in der Coronakrise. Vor einigen Tagen postete die Krankenpflegerin auf Facebook frustriert und wütend: „Euren Applaus könnt ihr euch sonstwohin stecken.“

Ich weiß, er ist als nette Geste gemeint. Aber glaubt mir: Es verändert absolut nichts. Ich bin gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin, früher sagte man Krankenschwester. Seit ich 16 bin arbeite ich in der Pflege, seit zwei Jahren auf einer peripheren Station in einer Berliner Klinik. Wie sie heißt, will ich nicht sagen, weil mein Arbeitgeber nichts für unser Gesundheitssystem kann.

Wir bereiten uns auf einen Ansturm vor

Ab nächster Woche hätte ich eigentlich Urlaub, aber ich habe mich freiwillig gemeldet, um weiterzuarbeiten. Wir bereiten uns auf einen Ansturm von Patienten vor.

Natürlich gab es auch auf meiner Station schon Patienten mit Coronaverdacht. Anfang der Woche habe ich gelesen, dass das Robert-Koch-Institut empfiehlt, die Quarantäneregelungen für medizinisches Personal zu lockern. Dass wir also arbeiten sollen, auch wenn wir Kontakt zu einem Infizierten hatten. Wir sollen jetzt die Helden sein und werden so behandelt?

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Das macht mich so wütend! Wir sind doch keine andere Gattung von Mensch, wir haben doch keine Superkräfte. Und wir können so viele andere anstecken.

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Die Entwicklungen speziell in Berlin an dieser Stelle.]

Das finde ich fahrlässig

Auf dem Weg zum Krankenhaus, beim Bäcker, zu Hause und vor allem bei der Arbeit: Wie soll ich anderthalb Meter Abstand halten, wenn ich eine Person wasche oder ihr Blut abnehme? Das finde ich fahrlässig.

Ich habe eigentlich so einen schönen Beruf. Oft gehe ich glücklich nach Hause, weil ich daran mitwirken konnte, dass es Menschen besser geht. Oft habe ich aber auch ein schlechtes Gewissen, weil ich dem nachfolgenden Dienst Arbeit übrig gelassen, einfach nicht alles geschafft habe.

Rückenschmerzen habe ich fast immer und schlaflose Nächte oft genug. Manchmal mache ich mir Sorgen um einzelne Patienten, manchmal ist es nur der Schichtdienst, der mich wachliegen lässt.

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Wir sind keine Maschinen!

Vor ein paar Wochen hat Jens Spahn entschieden, wegen Corona die Personaluntergrenzen für bestimmte Stationen aufzuheben. Natürlich ist das jetzt eine Ausnahmesituation, aber es war doch vorher schon kaum zu schaffen. Wir sind keine Maschinen!

Der Pflegenotstand ist ja seit Jahren bekannt. Es gab Berichte, Talkshowdiskussionen, passiert ist nix. Heute ist alles so schnelllebig, die Buschbrände in Australien sind auch erst ein paar Wochen her. Insofern bin ich mir nicht so sicher, ob sich durch die Coronakrise für meinen Berufsgruppe langfristig was ändert.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Ich hätte gerne mehr Zeit, um meinen Patienten zuzuhören. Ich möchte nicht warten müssen, um einen übergewichtigen Mann umlagern zu können. Ich hätte gern Hilfe, wenn ich jemanden vom Bett in den Rollstuhl hebe. Ich wünsche mir, dass die Versorgung an erster Stelle steht und nicht die Fallpauschale.

Allein mit 80 Patienten

Ich finde, das Gesundheitswesen darf nicht privatisiert sein. Ich finde es absurd, dass Stationen mehr Patienten aufnehmen, als sie eigentlich Kapazität haben, weil sie sonst kein Geld verdienen.

Dass ich manchmal die einzige Fachkraft mit noch einem Pflegeschüler bin, dem ich natürlich auch gerecht werden will. Wir müssen uns dann zusammen um 40 Patienten kümmern. Und der Druck, alles zu dokumentieren, ist auch gewachsen.

Wissenswertes über den Pflegeberuf

  • Die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger dauert in der Regel drei Jahre
  • Das Einstiegsgehalt liegt zwischen 2.000 und 2.400 Brutto. Nach 13 Jahren im Beruf sind es durchschnittlich 3.200 Euro Brutto
  • Die Verweildauer im Beruf liegt bei 7,5 Jahren
  • Laut der Gewerkschaft Verdi werden in Deutschen Krankenhäusern bis zu 36 Millionen Überstunden geleistet
  • Im Schnitt muss eine Pflegekraft in Deutschland 13 Patienten gleichzeitig betreuen. Das ist einer der höchsten Werte in ganz Europa

Aber was beschwere ich mich – Freunde von mir sind als Altenpfleger manchmal mit 80 Patienten alleine. Wir haben so viel Verantwortung, es dürfen keine Fehler passieren. Aber dann klingelt schon wieder ein Patient und schwupps hat man vergessen, was man sich gerade aufschreiben wollte.

Toll wäre es, ich hätte nur zehn oder sogar fünf Patienten, für die ich zuständig wäre. Dann hätte ich Spaß an der Arbeit.

[Das Coronavirus in Deutschland: Alle Zahlen finden Sie hier im Überblick.]

Das ist für keine Seite hygienisch

Inzwischen haben wir in unserer Klinik wieder Mundschutz und auch Desinfektionsmittel. Aber die letzten zwei Wochen musste ich häufig einen Mundschutz und Schutzkittel für mehrere Patienten benutzen. Und die werden ja nass, wenn man atmet und spricht. Das ist für keine Seite besonders hygienisch.

Wie in fast allen Krankenhäusern wurde auch bei uns Material geklaut. FFP-2-Filtermasken gab es sowieso nur für die Rettungssanitäter.

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Von Freunden höre ich jetzt, dass einige Krankenhäuser dazu übergegangen sind, selbst Mundschutz zu nähen. In anderen Krankenhäusern gibt es keine Handschuhe mehr.

Ich hörte auch, Jens Spahn will die Pflege attraktiver machen. Das ist gut. Aber anders als er sich das so vorstellt, gehört dazu sehr wohl auch Geld.

Eigentlich sollten genau jetzt alle Pflegekräfte kündigen

Gerade habe ich in einer Studie des DIW gelesen, dass der Bruttostundenlohn in systemrelevanten Berufen wie meinem um 15 bis 20 Prozent niedriger liegt als in nicht systemrelevanten Berufen. Wir wollen auch mal reisen, uns etwas ansparen.

Eigentlich sollten genau jetzt alle Pflegekräfte ihren Job kündigen! Aber natürlich bauen alle darauf, dass wir sowieso nicht streiken, weil es bei unseren Patienten um Leben und Tod geht.

Geht für uns auf die Straße

Wenn ihr uns helfen wollt, dann klatscht nicht, singt nicht, unterschreibt lieber eine Online-Petitionen und wählt Parteien, die sich für uns einsetzen. Ich verrate nur so viel: Jens Spahn ist es nicht.

Und wenn das alles vorbei ist, freu ich mich, wenn ihr für uns auf die Straße geht.

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