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In der Regel zieht es Reinhard Grindel direkt dorthin, wo Kameras stehen und Scheinwerfer leuchten.

© Boris Roessler/dpa

Grindels Rücktritt als DFB-Präsident: Es ging um mehr als die Luxusuhr

Er wollte mehr Transparenz. Nun ist er "fassungslos" über den Fehler, der ihm unterlief. Zum Verhängnis wird Reinhard Grindel nicht nur eine Armbanduhr.

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Am Montagabend sitzt Reinhard Grindel noch einmal in der ersten Reihe. Bei der Eröffnung der Hall of Fame des deutschen Fußballs hat der 57-Jährige zwischen Weltmeister Philipp Lahm und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet Platz genommen. Auf der Bühne des Saals im Deutschen Fußballmuseum werden die besten Spieler aller Zeiten gekürt – nacheinander treten Legenden wie Beckenbauer, Seeler oder Netzer auf, angekündigt und gepriesen von Laudatoren wie Thomas Gottschalk oder Popstar Mark Forster. Heino ist auch da. Der Fußball gibt sich selbst zu Ehren eine große Party.

Normalerweise feiert Reinhard Grindel bei diesen Anlässen gerne mit. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) liebt es, im Mittelpunkt zu stehen, in der Regel zieht es ihn direkt dorthin, wo die Kameras stehen und die Scheinwerfer leuchten. Am Montag begnügt er sich mit einem kurzen Auftritt gegen Ende der Gala. Den Kameraleuten und Reportern ist er zuvor sogar ganz aus dem Weg gegangen: Statt wie die anderen Stars und Offiziellen über den Roten Teppich zu schreiten, hat Grindel das Gebäude über einen Seiteneingang betreten, auf diesem Weg verlässt er die Feier auch wieder.

"Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht geldgierig bin"

Es war Grindels Versuch, vielen unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Fragen nach nicht öffentlich gemachten Einkünften und einer Luxus-Uhr, Geschenk eines ukrainischen Oligarchen. Fragen nach der Zukunft der Nationalmannschaft. Bereits am Montagabend steht jedoch fest, dass Grindel sich zu einer viel grundsätzlicheren Frage äußern muss: Ist er noch der richtige, um als DFB-Präsident den größten deutschen Sportfachverband und seine rund sieben Millionen Mitglieder zu führen?

Am frühen Dienstagnachmittag teilt der Verband mit, Grindel habe das Präsidium in einer Telefonkonferenz darüber informiert, dass er mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurücktritt.

Äußerlich gefasst und mit kräftiger Stimme verliest Grindel in der Verbandszentrale in Frankfurt am Main eine knappe Erklärung, in der es nahezu ausschließlich um die geschenkte Luxusuhr geht. „Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht geldgierig und seit Jahren mit Compliance-Fragen befasst bin“, sagt er. „Sie können mir glauben, dass ich seit dem Wochenende fassungslos bin über den Fehler, der mir da unterlaufen ist.“

Doch das Ende der knapp dreijährigen Ära Grindel beim DFB auf eine Armbanduhr zu reduzieren, wäre zu einfach.

Es ist rund ein halbes Jahr her, dass sich Grindel zuletzt für seine Arbeit feiern lassen konnte. Im September wird dem DFB in der Zentrale des Europäischen Fußballverbands Uefa in Nyon die Ausrichtung der Europameisterschaft 2024 zugesprochen. Allerdings heißt es damals schon: Die Deutschen hätten das Turnier nicht wegen, sondern trotz Grindel erhalten.

Rückhalt? Mit diesem Gefühl stand er allein

Das Gesicht der deutschen Kampagne ist Philipp Lahm, vor den Kameras in den Uefa-Fluren baut sich aber zuerst der massige, fast zwei Meter große Grindel auf, strahlt vor Freude. Er sagt: „Ich spüre großen Rückhalt beim DFB.“

Schon damals ist Reinhard Grindel mit diesem Gefühl weitgehend allein.

Die Liste der unglücklichen Aussagen und Fehltritte in seiner Amtszeit ist lang. Die Vorwürfe, die ihn nun zum Rücktritt bewegt haben, stammen aber aus den vergangenen Tagen. Zunächst hatte der „Spiegel“ berichtet, Grindel habe Vergütungen in Höhe von 78.000 Euro aus den Jahren 2016 und 2017 nicht publik gemacht, die er als Aufsichtsratschef der DFB-Medien Verwaltungs-Gesellschaft ausgezahlt bekommen hat.

Dann schrieb die „Bild“-Zeitung, der DFB-Präsident habe zu seinem Geburtstag vor eineinhalb Jahren eine Luxus-Uhr als Geschenk angenommen – vom ukrainischen Oligarchen und Fußball-Funktionär Grigori Surkis, der in der Vergangenheit bereits versucht haben soll, Schiedsrichter zu bestechen. Grindel soll die Uhr gegen den Rat von Mitarbeitern angenommen und in der DFB-Zentrale stolz herumgezeigt haben.

Der Vorfall belastet Grindel besonders schwer, weil er versprochen hatte, für mehr Transparenz einzutreten. Immerhin hatte Wolfgang Niersbach, sein Vorgänger als DFB-Präsident, wegen der Verstrickung in die Korruptionsaffäre um die Vergabe der WM 2006 zurücktreten müssen. Seit 2017 ist Grindel außerdem Vorsitzender der Governance- und Compliance- Kommission der Uefa.

Eine Uhr: Inbegriff des käuflichen Funktionärs

Diesen Posten und weitere Funktionärsämter bei der Uefa und dem Weltverband Fifa, entlohnt mit rund einer halben Million Euro pro Jahr, wird Grindel nach dem Rücktritt behalten. Sie sind an seine Person gebunden, nicht an das Amt des DFB-Präsidenten. Bis zum Bundestag des DFB im September in Frankfurt werden die Vizepräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball vorübergehend die Führung des Verbandes übernehmen. Dann wird ein neuer Präsident gewählt. Ein überzeugender Kandidat ist nicht in Sicht.

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Es ist absurd, dass Grindel, der den DFB gegen Korruption immunisieren wollte, ausgerechnet über das Geschenk eines Oligarchen stürzt. Eine Uhr – Inbegriff des käuflichen und in Statussymbole verliebten Funktionärs. In der Vergangenheit waren Fußballoffizielle immer wieder wegen teurer Uhren in die Schlagzeilen geraten. Zuletzt hatte Brasiliens Verband während der WM 2014 großzügig Geschenke an hochrangige Funktionäre der Fifa verteilt. Grindel gibt am Dienstag zu, er habe durch sein „wenig vorbildliches Handeln“ Vorurteile bestätigt.

Dennoch: 78.000 Euro, eine teure Uhr – allein darüber hätte Grindel nicht stolpern müssen. Seine Position im Verband hat er jedoch immer wieder selbst geschwächt. Zum Beispiel im Vorfeld der WM 2018, als es Grindel nicht gelang, zu einem Foto des Nationalspielers Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan eindeutig Stellung zu beziehen. Zunächst hatte Grindel versucht, die Affäre herunterzuspielen, dann sagte er lange gar nichts, nach dem WM-Aus gab er Özil indirekt die Mitschuld am Ausscheiden. Als Özil kurz darauf aus der Nationalmannschaft zurücktrat, attackierte er Grindel und warf dem DFB-Präsidenten Rassismus vor.

Die Instinkte verloren

Oder mit dem Testspiel gegen Peru im vergangenen September. Das hatte Grindel eigenmächtig von Frankfurt nach Sinsheim verlegt – der harte Kern der Frankfurter gilt als problematisch und Grindel wollte negative Bilder etwa durch Feuerwerkskörper kurz vor der EM-Vergabe vermeiden. Schließlich mit Äußerungen zu einem möglichen Abschiedsspiel für Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng. Der DFB hat derartige Veranstaltungen längst abgeschafft. Einmal mehr musste Grindel zurückrudern.

Schon lange schien Reinhard Grindel jene Instinkte verloren zu haben, die ihm 2016 zu seinem Amt verholfen hatten.

Damals stand der DFB nach Niersbachs Rücktritt ohne Präsident da – und ohne logischen Nachfolger. Grindel brachte sich geschickt als Kandidat ins Gespräch. Mit Erfolg: Die beiden großen Lager im Verband – die Profiklubs und die Basis der Amateurvereine und Regionalverbände – einigten sich auf den damaligen Schatzmeister und CDU-Bundestagsabgeordneten als neuen Verbandschef. Dabei hat er keine klassische Funktionärslaufbahn absolviert, spielte nie hochklassig, arbeitete früher gerade einmal ehrenamtlich als Pressewart des Rotenburger SV.

Erst während der WM 2006 kommt er mit dem DFB-Kosmos in Kontakt. Im niedersächsischen Rotenburg, seinem Heimatort, residiert während des Turniers die Nationalmannschaft von Trinidad und Tobago. Darüber kommt Grindel mit niedersächsischen Verbandsvertretern stärker ins Gespräch, sein Aufstieg bis an die DFB-Spitze beginnt.

Auf eine echte Hausmacht kann sich der neue Präsident schon damals nicht stützen. Weder im einen noch im anderen Lager, geschweige denn im Weltfußball ist Grindel gut vernetzt. Die Bundesliga akzeptiert ihn 2016 auch, weil er auf die Profimanager wie ein schwacher Kandidat wirkt, von dem sie nur wenig zu befürchten haben.

Überall versuchte er mitzureden

Dafür verbringt der neue Präsident viel Zeit in der Zentrale des DFB in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise. Grindel versucht, überall mitzureden, mitzuentscheiden, fast alles soll über seinen Schreibtisch laufen. Sein schroffer und bisweilen cholerischer Führungsstil steht im krassen Gegensatz zum Charme seines Vorgängers Niersbach. Nach innen agiert Grindel mit einer Härte, die ihm eigen ist, in der Öffentlichkeit tritt er bisweilen auf wie der oberste Fan der deutschen Nationalspieler.

Vor der Europameisterschaft 2016 in Frankreich, seinem ersten Turnier als DFB-Chef, reist Grindel mit der Mannschaft ins Trainingslager nach Evian an den Genfer See. Wenn die deutschen Spieler trainieren, die Kameras laufen und die Reporter sich versammeln, taucht auch Grindel am Fußballplatz auf. Nach 15 Minuten müssen die Pressevertreter das Trainingsgelände verlassen, dann zieht sich auch Grindel meist in sein Hotelzimmer zurück.

Grindel suchte früh die Nähe zu Bundestrainer Joachim Löw. Auch weil er nicht an ein WM-Debakel glaubte.
Grindel suchte früh die Nähe zu Bundestrainer Joachim Löw. Auch weil er nicht an ein WM-Debakel glaubte.

© imago images / Jan Huebner

Früh sucht Grindel die Nähe zu Bundestrainer Joachim Löw, der zu diesem Zeitpunkt noch der strahlende Weltmeistercoach ist, das vom WM-Skandal unbelastete Gesicht des DFB. „Alle wissen, dass ich ein gutes Verhältnis zu Jogi Löw habe – weil ich ihm seine Ruhe lasse“, sagt Grindel einmal. „Ich laufe nicht rum und bringe alles durcheinander.“

Vor der WM in Russland verlängert der DFB-Präsident vorzeitig Löws Vertrag – und nimmt sich selbst damit jeglichen Handlungsspielraum. Er bindet sich wohl auch deshalb so stark an den Trainer, weil er sich nicht vorstellen kann, dass das Turnier im Debakel endet. Nach dem blamablen Vorrundenaus stellt er sich weiter hinter Joachim Löw, sogar ohne dessen Analyse abzuwarten. Spätestens damals macht im DFB der Spruch die Runde, dem Bundestrainer könne doch egal sein, wer unter ihm Präsident sei.

Ein unsouveräner Auftritt

Dass Deutschland die EM 2024 ausrichten darf, verschafft Reinhard Grindel keine Ruhe. Auch weil es ihm nicht gelingt, sich selbst aus den negativen Schlagzeilen herauszuhalten. Anfang März interviewt ihn das Fernsehen der Deutschen Welle, es geht um die Kommerzialisierung des Weltfußballs, die neue Klub-WM und die Möglichkeit einer Global Nations League – alles Themen, die vielen Fußballfans am Herzen liegen.

Im Laufe des Gesprächs wird Grindel immer ungehaltener. Irgendwann blafft er den Reporter an: „Jetzt machen Sie doch vernünftige Fragen, auf die ich vernünftig antworten kann.“ Kurz darauf bricht er das Interview ab, reißt sich das Ansteckmikrofon vom Revers und wirft es auf den Boden. Mit seinem unsouveränen Auftreten macht sich der DFB-Präsident zum Gespött – dabei müsste er als langjähriger ZDF-Fernsehredakteur wissen, dass der Abbruch eines Fernsehinterviews einer publizistischen Todsünde gleichkommt.

„Am Ende frage ich mich: Warum ist das passiert?“, sagt Grindel am Dienstag. „Ich kann es mir nur so erklären, dass ich zutiefst davon überzeugt war, dass ich nichts Unrechtes tue und im Stress des Amtes einfach zu wenig hinterfragt habe.“ Er sei traurig, bittet noch um „eine faire Beurteilung meiner am Ende leider nur dreijährigen Amtszeit“. Dann steht er auf und geht. Nachfragen lässt er keine zu.

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