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Kostprobe von Youtube-Kommentaren.

© s:TSP

Im Visier von Reichsbürgern: "Sie müssen sich für Ihre Taten verantworten"

Seit einer Woche wird unser Autor von Reichsbürgern angefeindet. Dabei hat er jede Menge gelernt.

Auf seiner Festplatte hat Rüdiger Hoffmann einen Ordner für mich angelegt. Darin sammelt er Fotos, die zeigen, wie ich auf der Dachterrasse des Tagesspiegels stehe, in einem Café sitze oder im Urlaub einen Hund streichle. In diesem Ordner speichert Hoffmann aber auch Informationen über meinen beruflichen Werdegang und aktuellen Wohnort. Die Fotos und Fakten präsentiert er seinen Anhängern dann in Filmen auf Youtube, wieder und wieder. Manche dauern zehn Minuten, andere mehr als 50. Dazu macht Rüdiger Hoffmann deutliche Ansagen, zum Beispiel, dass ich mich für meine "Taten" verantworten müsse.

Mit meinen "Taten“ meint Hoffmann den Artikel, in dem ich vor drei Wochen im Tagesspiegel beschrieb, wie Reichsbürger die deutsche Gelbwesten-Bewegung unterwandern. Also Menschen, die glauben, Deutschland sei von fremden Mächten besetzt, die Bundesrepublik nur eine Firma. Rüdiger Hoffmann kommt dabei eine besondere Rolle zu, er betreibt eine Internetseite, auf der er seine Anhänger auffordert, die Handlungsfähigkeit des deutschen Reichs wiederherzustellen. Der Verfassungsschutz beobachtet ihn seit Jahren. Früher war Hoffmann bei der NPD, er saß bereits wegen versuchten Mordes im Gefängnis.

Es hagelt Beleidigungen, Drohungen und gute Ratschläge

Seit seinem ersten Youtube-Video erhalte ich nun Beleidigungen und Drohungen übers Internet, aber auch Ratschläge wie "Herr Leber, wachen Sie auf". Im Büro bekomme ich unschöne Anrufe. Ein Mann mit starkem saarländischen Dialekt schrie mich an, ich solle endlich aufhören, das deutsche Volk auszurotten, zudem sei ich ein „dreckiger Gender-Faschist“, dann legte er auf.

19.000 Reichsbürger gibt es jüngsten Zahlen zufolge in Deutschland, Tendenz steigend. Die Szene ist heterogen. Die Leute, die mich aktuell anmailen und anrufen, scheinen immerhin nicht allzu materialistisch zu sein. Die letzten Reichsbürger, über die ich schrieb, wollten mich anschließend gleich auf Zahlung von „mindestens 9000 Feinunzen Gold“ verklagen, zum Glück bloß vor ihrem eigenen Fantasiegericht, sie nannten es "das Höchste Gericht der geeinten deutschen Völker und Stämme". Die Menge Gold entsprach damals umgerechnet etwa 9,6 Millionen Euro. Ich fand die Summe übertrieben.

Danke für Ihre journalistische Arbeit, Herr Leber! Sie ist wichtig, deckt sie doch das Treiben einer viel zu lange unterschätzen Szene auf. Eine Szene, die an den Grundfesten unserer Gesellschaftsordnung sägt.

schreibt NutzerIn Dragonfighter

Wurde der Autor vielleicht nur rekrutiert?

In seinen Videos beschwert sich Rüdiger Hoffmann, mein Artikel über die Reichsbürger in gelben Westen sei ein „nationalsozialistischer Hetzbeitrag“, ich wende außerdem eine „psychische Kriegsführungsmethode“ an. Wobei mich allerdings, wenn ich es richtig verstehe, nicht die volle Schuld treffe, denn ich sei "rekrutiert worden" und werde also missbraucht. Dahinter stecke Größeres: „Der Tagesspiegel macht eine Kampagne, um regimekritische Inhalte niederzudrücken."

Hoffmanns Beweisführung ist, freundlich ausgedrückt, unorthodox. Es geht in seinen Filmen drunter und drüber wie bei einem Diavortrag, bei dem der Vortragende kurz vor Beginn ausgerutscht ist und alle Dias wild durcheinander auf den Boden flogen. Hoffmann präsentiert das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, dann ein Foto vom Kanzleramt, Zitate von Goebbels, dann Ausschnitte aus der Bundespressekonferenz, das Reichsbürgergesetz von 1935, irgendwas mit Kardinal Woelki und zwischendrin das Foto, auf dem ich im Urlaub einen Hund streichle.

"Typisch Relotius"

Als Journalist ist man gewohnt, im Internet beschimpft zu werden. Oft geht es dabei um Äußerlichkeiten. In meinem Fall spotten die Aufgebrachten meist über meinen dämlichen Nachnamen oder meine Frisur, das ist im Vergleich zu dem, was etwa Frauen und Nichtweiße täglich im Internet erleben müssen, natürlich geschenkt. Gewohnt ist man als Journalist auch die Forderung nach Entlassung durch den Arbeitgeber, seit etwa vier Jahren die Schmähung als "Lügenpresse", seit Dezember "typisch Relotius" oder wie mir ein Anhänger Hoffmanns schrieb: "typisch Pistorius". Das ist normal.

Beschimpfungen durch die Klientel, der ich aktuell ausgesetzt bin, bedeuten allerdings eine neue, durchaus reizvolle Erfahrung. Rüdiger Hoffmann nennt mich eine "Hure des tiefen Staats", also einen Handlanger geheimer Mächte, möglicherweise würde ich mit "terroristischen Internetkreisen" zusammenarbeiten und durch meine "propagandistische Meinungsmache den Nationalsozialisten Konrad Adenauer" unterstützen. Andere bezeichnen mich als Freimaurer, V-Mann oder Agenten einer faschistischen Organisation namens "Europäische Union".

Was Eric Cantona sagt

In den vergangenen Tagen habe ich versucht, einige der Nachrichten zu beantworten. Es hat sich bestätigt, was ich schon bei früheren Gesprächsversuchen erleben musste - als mir ein Verschwörungstheoretiker etwa weismachen wollte, die Erde werde im Geheimen von Satanisten beherrscht, aber auch von Juden, aber auch von Außerirdischen, aber auch von Chinesen, aber auch von Illuminaten. In hellen Momenten war der Mann bereit zuzugeben, dass vermutlich nicht alle Theorien gleichzeitig stimmen konnten. Doch er zog daraus keine Konsequenzen, er hatte schließlich jede einzelne Theorie im Internet gelesen, sie stimmten also. Der kluge Ex-Fußballer Eric Cantona hat einmal sinngemäß gesagt, Diskutieren mit Rassisten sei wie Schachspielen mit einer Taube: "Egal wie gut du bist, egal wie sehr du dich anstrengst, am Ende wird die Taube aufs Spielfeld kacken, alles umschmeißen und umherstolzieren, als hätte sie gewonnen."

Wer sich die Videos von Rüdiger Hoffmann ansieht, glaubt ihm sofort, dass er jeden seiner Gedanken ernst meint. Er ist ehrlich aufgebracht, wenn er etwa den Tagesspiegel-Autor dafür kritisiert, dass dieser tatsächlich bestreite, Deutschland sei von fremden Mächten besetzt. Hoffmann sagt Sätze wie „Das kann nicht wahr sein. Ich weiß nicht, was mit dem jungen Mann los ist. Ob er ein Fall für den Arzt ist? Ich kann es echt nicht sagen, weil das ist nicht normal...“

Erste Phase in der Aufwachpyramide

Rüdiger Hoffmann glaubt, ich befände mich in Phase eins einer dreistufigen sogenannten Aufwachpyramide und sei daher „ganz primitiv, in diesem Stufenprogramm ganz unten angesiedelt“. Nur wer oben an der Spitze der Pyramide ankomme, habe "alle Energievampir-Spiele und Verrücktenspiralen beendet“ und sei fähig, "etwas Lebensförderliches für Deutschland zu tun“.

Wer den Argumentationsketten Hoffmanns folgt und sich wirklich Mühe gibt, bekommt einen guten Eindruck davon, wie Verschwörungstheorien entstehen. Hoffmann hinterfragt und zweifelt nicht, fügt neue Informationen blitzschnell in sein bestehendes Weltbild ein, urteilt entschieden und merkt gar nicht, wenn er bei seinen "Recherchen" offensichtliche Fehler begeht.

Falschliegen? Kommt Hoffmann nicht in den Sinn

Ein kleines Beispiel: Beim Googeln stieß er offenbar auf ein Bild, das einen völlig anderen Menschen zeigt, der mir überhaupt nicht ähnlich sieht. Trotzdem hat Hoffmann die Datei mit meinem Namen beschriftet und im entsprechenden Ordner auf seiner Festplatte abgespeichert. Nun zeigt er das Foto ständig in seinen Youtube-Filmen und behauptet stur, das sei ich. Dass er (für jeden erkennbar) falsch liegt, kommt ihm nicht in den Sinn.

Oder anderes Beispiel: In einem Video rät Hoffmann dem Tagesspiegel, "seine redaktionelle Zusammenarbeit mit einem Sebastian Leber zu überprüfen", dabei klickt er sich durch den Wikipedia-Artikel über die Zeitung und geht kurz auf die anderen "Mitarbeiter" des Tagesspiegels ein: hier ein "Stephan-Andreas Gasshoff", da ein gewisser „Sebastian Törner" und dort "Blumencron, Mathias Müller von Blumencron, überlegen, ne, deutsche Staatsangehörigkeit, deutsche Staatsangehörigkeit war der Holocaust, damit konnte er das durchziehen..." Man möchte Rüdiger Hoffmann in den Arm nehmen und bitten, sich einmal zu sammeln, aber seine Kette von Assoziationen und Feststellungen und neuen Wahrheiten reißt nicht ab.

Die meisten Nachrichten, die ich in den vergangenen Tagen erhielt, waren sehr unangenehm. Eine tröstliche Erkenntnis gibt es dennoch: Zu einem richtigen Shitstorm – so einem, der sein Opfer schlecht schlafen oder ans Auswandern denken lässt – sind Reichsbürger offenbar noch nicht in der Lage. Die 19.000, die es in Deutschland gibt, sind untereinander wohl so zerstritten, dass sie keine gemeinsamen Aktionen und zum Glück keinen echten Druck zustande bringen. Ihre Angriffe sind gut auszuhalten.

Ihre Zerstrittenheit wiederum hat einen simplen, unfreiwillig komischen Grund. Zwar sind sie sich darin einig, dass die BRD abgeschafft werden muss. Nicht aber in der Frage, wer dann die Macht haben soll.

Die Macht beanspruchen die verschiedenen Gruppen natürlich jeweils für sich selbst. Entscheidet dann also die Kommissarische Reichsregierung (KRR) oder besser die Exilregierung Deutsches Reich aus Hannover? Gilt der Freistaat Preußen mit Sitz in Verden oder der gleichnamige Freistaat Preußen aus Niederkrüchten? Müssen Steuern an den Staat Germanitien, die Republik Freies Deutschland oder das Königreich Deutschland mit Sitz in Wittenberg gezahlt werden? Welchen Posten bekommt Rüdiger Hoffmann und welchen Einfluss hat dann das "Höchste Gericht der geeinten deutschen Völker und Stämme"?

Sollte es irgendwann ein Treffen aller Gruppen geben, um diese wichtigen Fragen auszudiskutieren: Bitte vergesst nicht, auch ein paar Journalisten einzuladen. Wir würden gern Protokoll führen.

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