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Gekränkter Ankläger. Staatsanwalt Eimterbäumer wehrt sich gegen Kritik.

© dpa

Gesellschaft: Verlierer im Auswärtsspiel

Der arme Wulff, der böse Staatsanwalt. Im Prozess gegen den früheren Bundespräsidenten steht der Angeklagte mittlerweile als Opfer da.

Selten hat sich Clemens Eimterbäumer in diesem Verfahren zu Wort gemeldet. Doch jetzt, kurz vor Schluss, spürt man seine Kränkung. Verfolgungswut? Jagdeifer? Der Ankläger wehrt sich. Er nennt die immer lauter gewordene Kritik am Korruptionsprozess gegen Christian Wulff „Prozesspropaganda“. „Ich habe die Ermittlungen ergebnisoffen und fair geführt“, sagt er bei seinem Plädoyer am Donnerstag vor dem Landgericht Hannover. Und er sei umso erstaunter, „wie leichtfertig Sie hier Unwahrheiten verbreiten“.

Hören möchten das die wenigsten. Die öffentliche Meinung über den ersten Strafprozess gegen einen früheren Bundespräsidenten hat sich längst gewandelt. Der arme Wulff, der böse Eimterbäumer, so lauten die Rollen. Eimterbäumer weiß das. Bei seinem Plädoyer sieht er sich in einem „Auswärtsspiel“.

Die Erzählung von Sieg und Niederlage erschließt sich leicht, weshalb sie für alles taugt; den Sport, wo sie hingehört, aber auch für Politik, Justiz, das öffentliche Leben. Was demnach als Heimspiel begann und für den 43 Jahre alten Oberstaatsanwalt später zur Auswärtspartie wurde, hat den Gewinner von einst, dessen Antrag auf Immunitätsaufhebung Wulff zum Rücktritt zwang, nun zum großen Verlierer werden lassen.

Hat sich Christian Wulff von seinem Kumpel, dem Filmfinanzier David Groenewold mit einem Oktoberfestausflug kaufen lassen, damit der damalige niedersächsische Ministerpräsident beim Siemens-Konzern Marketinghilfe für Groenewolds Film „John Rabe“ lockermacht? Für Wulff steht ein Freispruch auf dem Plan, Richter Frank Rosenow hat es mehrmals deutlich gemacht. Der Angeklagte, so seine lebensnahe Wertung, habe es schlicht nicht nötig gehabt. Eimterbäumer und sein Team stehen da wie welche, die einen Edelmann mit einem Hühnerdieb verwechselt haben.

Über ein Jahr hatte der Korruptionsspezialist die Ermittlungen geführt, teilweise hielt er zwei Dutzend Beamte des Landeskriminalamts auf Trab. Büros und Wohnungen ließ er filzen, Bankkonten sichten, unzählige Mails, SMS, Telefonverbindungen und Computerdateien auswerten. Ein Aufwand, als gälte es, ein internationales Drogen- oder Geldwäschekartell zu sprengen.

Unverhältnismäßig, kritisierten viele, allen voran Wulffs Anwälte, die zusammen mit ihrem Mandanten den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig als Urheber der Kampagne ausmachten. Lüttig war als Nachfolger des zum Generalbundesanwalt ernannten Harald Range 2012 auf dessen Stelle gerückt. Weil die Rochade unter der Regie des damaligen Justizministers Bernd Busemann stattfand und der von alters her in CDU-Kreisen als Wulff-Intimfeind gilt, mischten sich die Zutaten zu einem Appetithappen für Verschwörungstheoretiker.

Den Rest besorgte einprägsame Rhetorik. Bald war das Schlagwort vom „Ermittlungsexzess“ gefunden, analog zur juristischen Vokabel vom Notwehrexzess, die beschreibt, wenn sich einer in vermeintlich gerechtfertigter Lage zur Brutalität gegen einen Angreifer hinreißen lässt. Lange bevor die Anklage gegen ihn überhaupt zugelassen war, begann damit die öffentliche Umdeutung des Beschuldigten Wulff zu einem Opfer – erst einer ungebändigten Medienmeute, jetzt auch noch einer rasenden Behörde.

Ob Wulff und seine Anwälte diesen Eindruck gefällig beobachteten oder sogar förderten, bleibt offen. Immer wieder beschwerten sie sich über Lecks bei den Ermittlern, schürten den Verdacht, Journalisten würden mit kompromittierenden Details aus den Akten versorgt.

Sie selbst dürften jedoch nicht untätig gewesen sein, auch wenn sie mit Medien über Verfahrensdetails nie geredet haben wollen, wie sie auch am Donnerstag vor Gericht betonen. Es wird aber kaum der Staatsanwaltschaft anzulasten sein, dass deren Angebot zur Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage von 20 000 Euro ebenfalls umgehend und im Wortlaut an die Presse kam.

Darin, hieß es, werde die „Übernahme strafrechtlicher Verantwortung“ zur Bedingung gemacht. Sogleich wurden damals in den Medien fachkundige Stimmen reportiert, die dies als Verstoß gegen die Unschuldsvermutung zu brandmarken wussten. Wieder ein Skandal. Wieder schien es, als hätten die Beamten mit Wucht und Absicht ihren gesetzlichen Auftrag verfehlt, in gleicher Weise Be- wie Entlastendes zu ermitteln.

Die Forderung nach „Übernahme strafrechtlicher Verantwortung“ mag nicht zu den sprachlichen Usancen in solchen Fällen gehören, inhaltlich traf sie den Kern. Schließlich soll das Geld dazu dienen, das „öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen“, wie es im Gesetz heißt. Mit der Zahlung ist ein Verdacht aus der Welt, aber nicht entkräftet.

Gleichwohl nutzte Wulff die öffentliche Empörung als gelungenes Entree zur Hauptverhandlung. Nunmehr, signalisierte er, müsse er erst recht gegen eine politisch intrigante Übermacht um seinen guten Leumund kämpfen.

Schuldlos waren die Hannoveraner Ermittler an diesem verheerenden Eindruck nicht. So hatte General Lüttig mit einer Mischung aus Stolz und Trotz in Interviews seine Überzeugung zur Schau gestellt, die Beweise gegen Wulff seien erdrückend. Für den Fall, dass das Gericht sich sträubt, drohte er schon mit der nächsten Instanz. Und die Staatsanwaltschaft frohlockte in einer Presseerklärung, mit Zulassung der Anklage gegen Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker sei auch der Ex-Bundespräsident praktisch verurteilt: „Damit wurde erneut die Auffassung der Staatsanwaltschaft Hannover bestätigt, wonach es im Umfeld des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff mit hinreichender Sicherheit zu Korruptionsstraftaten gekommen ist.“ Weil Eimterbäumer und Mitanklägerin Anne Tafelski sich dazu auf Fotos gut ausgeleuchtet im Stil amerikanischer Justizserien präsentierten, sah es in der Tat so aus, als gäbe es ein Werk zu feiern.

Der Verlauf der Hauptverhandlung schien zu bestätigen, dass sich die Ankläger übernommen hatten. Es waren indes nicht nur Eimterbäumers Zeugen, sondern zunächst viele von Richter Rosenow, der – tatbestandlich korrekt – erst einmal klären wollte, ob es den für eine Vorteilsannahme zwingend nötigen Vorteil gab. Fortan ging es um Backhendl, Krautsalat und die Frage, wer aus welchen Gefäßen wie viel Schlückchen Champagner trank. Im öffentlichen Bild fügte sich die kleinteilige Beweisaufnahme in ein wirkmächtiges Klischee: Justiz als Farce, Groteske, Posse.

Dabei ist der Prozess, den Eimterbäumer führen wollte, noch gar nicht geführt worden. Er will weitere Zeugen hören und Dokumente verlesen, die belegen sollen, dass Wulff den Anschein von Käuflichkeit erweckte. „Korruption ist ein opferloses Delikt“, sagt er, Täter hätten regelmäßig ein Vertrauensverhältnis, nötig sei eine „vernetzte Gesamtschau“ auf das Geschehen. Er fühlt sich von den Angeklagten belogen und hält ihr heimliches Zusammenwirken für erwiesen – möchte aber keine Strafe beantragen, weil die Sache „nicht entscheidungsreif“ sei.

Ein Verlierer. Aber ein fairer. Schließlich wäre auch zu fragen, was passiert wäre, wenn lascher ermittelt und der Verdacht fallen gelassen worden wäre. Und später das zumindest auffällige Engagement Wulffs für Groenewolds Projekt auf andere Weise herausgekommen wäre. So war es ein beispiellos akribisch geführtes Verfahren. „Mir war immer klar, dass Sie ein Sonderopfer erbringen“, sagt Eimterbäumer zu Wulff. Er sagt es wohl auch zu sich selbst. Jost Müller-Neuhof

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