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Fakten und klare Haltung: Wie kann Wissenschaft zu mehr Nachhaltigkeit beitragen?
Forschende aus verschiedenen Disziplinen loten aus, wie die Wissenschaft in die Klimapolitik wirken kann.
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Die Fakten sind seit Jahrzehnten bekannt. Die Forschung hat eindeutig nachgewiesen, dass sich das Erdklima seit Beginn des Industriezeitalters immer weiter aufheizt. Es ist bekannt, dass dies vor allem auf den massiven Ausstoß von CO₂ und anderer Treibhausgase reicher Industrienationen zurückzuführen ist.
Und es ist bekannt, dass massive ökologische und soziale Katastrophen drohen, wenn der derzeitige Kurs nicht radikal geändert wird. Doch all das Wissen reicht offenbar nicht. Es hat den Anschein, als stünde der Kampf gegen den Klimawandel still – oder ginge sogar in die falsche Richtung.
In dieser gesellschaftlichen Lage fordert Matthias Grotkopp ein Umdenken unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. „Es reicht nicht mehr, dass wir Tatsachen erklären, unsere Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften publizieren oder Daten bereitstellen“, sagt er. „Angesichts der Klimakrise müssen wir lautstark Position beziehen und Solidarität mit der globalen Klimabewegung zeigen.“
Matthias Grotkopp ist Juniorprofessor für Filmwissenschaft am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität. Wissenschaftlich setzt er sich seit 15 Jahren mit der Klimakrise auseinander. „Als Filmwissenschaftler habe ich mich zunächst mit der Art und Weise beschäftigt, wie der Klimawandel, ein so großes und komplexes Thema, filmisch in konkrete Bilder umgesetzt wird“, sagt er.
„Ich bin damals voller Optimismus gestartet. Ich war der Überzeugung, dass wir mit den richtigen Bildern und Narrativen einen gesellschaftlichen Wandel hinbekommen“, sagt er. „Doch dann wurde mir klar, dass wir damit allein nicht weiterkommen.“
Vom Aktivismus lernen
Nun sucht Grotkopp den Schulterschluss der akademischen Welt mit Graswurzelbewegungen des Klimaaktivismus. „Wir wissen aus der sozialhistorischen Forschung, dass gesellschaftliche Fortschritte vor allem durch Protestbewegungen erkämpft wurden“, sagt er. „Ohne die globale Frauenrechtsbewegung wäre die Einführung des Frauenwahlrechts nicht gelungen.“
Eine klarere Positionierung von Forscherinnen und Forschern sei heute auch deswegen nötig, weil die institutionalisierte Wissenschaft immer stärkeren Angriffen ausgesetzt sei. „Wir sehen, dass die Wissenschaftsfreiheit durch den Aufstieg autoritärer gesellschaftlicher Kräfte und durch Mittelkürzungen weltweit unter Druck gerät“, sagt Matthias Grotkopp. „Gleichzeitig stehen Ölkonzernen weiter Milliardenbudgets für PR zur Verfügung. Da müssen wir gegenhalten.“
Um zu erkunden, wie sich die Wissenschaft angesichts dessen stärker positionieren kann, hat der Filmwissenschaftler gemeinsam mit der Germanistin und Digitalisierungsexpertin Anne Baillot und der Molekularbiologin Nana-Marie Grüning den „Scientists Responsibility Summit“ ins Leben gerufen.
Auf der heutigen Tagung kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zusammen. Interessierte können die Veranstaltung über einen Livestream verfolgen. „Die Frage, was wir alle tun können, ist drängender denn je“, sagt Matthias Grotkopp. „Und diese Frage wollen wir auf Basis des Wissenstands der Sozialwissenschaften und im Dialog mit Forschenden aus den Naturwissenschaften führen.“
Die Wissenschaft werde derzeit von einem falsch verstandenen Verständnis von Objektivität bestimmt, kritisiert Grotkopp. „Natürlich müssen wir als Forschende objektiv Fakten erheben“, sagt er. „Dies bedeutet aber nicht, dass wir uns neutral zu diesen Fakten verhalten müssen. Wir können und sollten diese Fakten vertreten und auf die Straße gehen, um ihnen in Fragen von Leben und Lebensqualität zu gesellschaftlicher Wirkung zu verhelfen.“
Wir sehen, dass die Wissenschaftsfreiheit durch den Aufstieg autoritärer gesellschaftlicher Kräfte und durch Mittelkürzungen weltweit unter Druck gerät.
Matthias Grotkopp, Juniorprofessor für Filmwissenschaft am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität
Das Verhältnis von verschiedenen gesellschaftlichen Systemen, vor allem von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit, beschäftigt Matthias Grotkopp auch in seiner Forschung, insbesondere im Rahmen des an der Freien Universität angesiedelten Sonderforschungsbereichs „Intervenierende Künste“. Seit 2022 arbeiten dort Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen an Fragen zum Verhältnis von Kunst und Politik.
In der Tanzwissenschaft forschen hierzu etwa Kirsten Maar und Sophie Schultze-Allen. „Wir erforschen Körper und wie sie choreografiert werden“, sagt Kirsten Maar, Juniorprofessorin am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität. „Und zwar nicht nur im Tanz, sondern auch in der politischen Öffentlichkeit, etwa bei Demonstrationen, oder in unserem alltäglichen Leben, wo unsere Körper durch zahlreiche Infrastrukturen koordiniert werden.“
Wir erforschen Körper nicht nur im Tanz, sondern auch in der politischen Öffentlichkeit, bei Demonstrationen und im alltäglichen Leben.
Kirsten Maar, Juniorprofessorin am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität
Sophie Schultze-Allen untersucht etwa im Rahmen einer Doktorarbeit, wie sich Kunstschaffende und Aktivisten mit ihrem Körper beschäftigen. „Meine Forschung leitet die simple Prämisse, dass wir alle einen Körper und eine subjektive Perspektive haben“, sagt Sophie Schultze-Allen. „Es geht darum, die eigene Situiertheit in diesem Körper erfahrbar zu machen. Wir alle – auch innerhalb der Wissenschaft – handeln von einer bestimmten Position aus, nicht von einem körperlosen, vermeintlich objektiven Standpunkt.“
Gesellschaftlich wirksam
Matthias Grotkopp ist überzeugt, dass die Wissenschaft von der Kunst etwas lernen kann. „Kunst wurde früher oft als autonomer, von anderen gesellschaftlichen Bereichen vollkommen abgekoppelter Bereich verstanden“, sagt er. „Heute wird stattdessen zunehmend erwartet, dass Kunst in die Gesellschaft hineinwirkt, etwa in politische Konflikte.“
Was genau Hochschulen, Forschende und Lehrende tun können, um auf neue Weise gesellschaftlich wirksam zu sein, das soll auf dem „Scientists Responsibility Summit“ mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart ausgelotet werden. Ziel der Tagung sei auch, am Ende ein gemeinsames Positionspapier zu verfassen, das Orientierung bietet und Solidarität nach innen und außen stärkt.
„Die Wissenschaft sollte zusammenstehen gegen diffamierende und diskreditierende Angriffe rechtsautoritärer Politik“, sagt Matthias Grotkopp. „Und sich gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen und Systemen öffnen, die ebenfalls von diesen Angriffen bedroht sind und für den sozialen Fortschritt kämpfen.“
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