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Klimakrise: Kann der Staat uns retten?: Wirtschaftswissenschaftler Jackson im Interview
An der Freien Universität forscht Gregory Jackson zur Rolle des Staates, Gerechtigkeit und Wirtschaftswachstum in der grünen Transformation.
Stand:
Ein Staat ist für die Menschen da. Soll er sie auch vor den Folgen des Klimawandels schützen? Unbedingt, sagt Gregory Jackson, Soziologe und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin: So, wie der Wohlfahrtsstaat die sozialen Risiken der Industrialisierung gemindert hat, müsse der „grüne“ Staat nun auf die ökologischen Risiken durch den Klimawandel reagieren.
Herr Professor Jackson, haben die Wirtschaftswissenschaften den Klimawandel „verschlafen“?
Es gab eine institutionelle Blindheit. Jahrzehntelang hat die Ökonomie auf Effizienz und Wachstum geschaut, aber nicht auf ökologische Tragfähigkeit. Das ist nicht nur ein analytisches Versäumnis, sondern auch ein ethisches. Teilweise lag das auch an den Strukturen der Disziplin: Man orientierte sich an kurzfristigen Wachstumsindikatoren, verfügte lange über kaum belastbare Daten zu ökologischen Kosten und behandelte Umweltfolgen als „externe Effekte“.
Obwohl längst klar ist, dass Klimaschäden reale Kosten verursachen, fehlen bis heute Methoden, sie systematisch zu bilanzieren. Das Bruttoinlandsprodukt etwa misst Wachstum, aber nicht, ob es auf Ressourcenzerstörung beruht. Uns fehlt ein allgemein anerkanntes Maß für nachhaltigen Wohlstand. Viele der zentralen Annahmen – etwa, dass Märkte effizient handeln oder Wirtschaftswachstum soziale Konflikte löst – greifen angesichts planetarer Grenzen nicht mehr. Wir argumentieren daher für ein Umdenken: Der Staat, die Märkte, die Wachstumslogik – all das muss neu gedacht werden, wenn wir eine nachhaltige und gerechte Transformation wollen.
Welche Rolle sollte der Staat in dieser Transformation spielen?
In unserer Publikation über „Green Transitions“ sprechen meine Ko-Autorin Başak Kuş von der Wesleyan University im US-Bundesstaat Connecticut und ich vom „grünen Staat“. Er hat drei zentrale Aufgaben: erstens die Wirtschaft zu dekarbonisieren, also deren CO₂-Ausstoß zu verringern, zweitens die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels zu bewältigen – etwa durch Hitzeschutz, Küstenschutz oder klimaresiliente Landwirtschaft. Und drittens gilt es, einen gerechten Übergang zu organisieren: Niemand darf dabei zurückbleiben; faire Lösungen sind
unabdingbar.
In Ihrem Artikel ziehen Sie eine Parallele zwischen dem grünen
Staat und dem klassischen Wohlfahrtsstaat. Was ist damit gemeint?
Der Wohlfahrtsstaat war eine Antwort auf die sozialen Risiken der Industrialisierung. Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Altersarmut wurden durch staatliche Sicherung abgefedert. Der grüne Staat steht heute vor einer ähnlichen Aufgabe: Er muss seine Bürgerinnen und Bürger vor den ökologischen Risiken des fossilen Kapitalismus schützen. Da geht es nicht nur darum, etwa eine Chemikalie zu verbieten, die das Grundwasser belastet.
Beim Wechsel vom Verbrenner zum Elektroauto etwa oder beim Kohleausstieg entstehen Risiken, die weder Unternehmen noch Arbeitnehmer allein bewältigen können. Deshalb greift der Staat erneut korrigierend in die kapitalistische Ordnung ein – damals zugunsten sozialer Sicherheit, heute zugunsten ökologischer Resilienz.
Ein starker Staat also – aber ist das politisch mehrheitsfähig?
Das ist eine Herausforderung. Der Klimawandel erzeugt neue Verteilungskonflikte: zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens, alten und jungen Menschen, Industriearbeiterinnen und Klimaschützern, Stadt- und Landbevölkerung. Diese Konflikte müssen politisch moderiert werden – es stellen sich Fragen der Finanzierung, Legitimation und Umverteilung. Wenn der Staat hier nicht glaubwürdig handelt – etwa mit Investitionen in grüne Jobs oder soziale Ausgleichsmaßnahmen –, wächst die Gefahr von Widerstand, Populismus oder politischer Polarisierung.
Müssen wir auf Wohlstand verzichten, um das Klima zu retten?
Nicht unbedingt – aber wir brauchen Alternativen zum klassischen Wachstumsparadigma. „Grünes Wachstum“, also technischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum ohne zusätzliche Umweltzerstörung, ist theoretisch möglich, aber praktisch bislang nur sehr begrenzt realisiert.
Die Alternative, nämlich „Degrowth“ – also ein gezielter, sozial abgefederter Rückbau von Konsum und Produktion –, ist für viele politisch schwer vermittelbar, aber ökologisch durchaus plausibel. Wichtig ist, diese Debatte offen und ehrlich zu führen – und dafür zu sorgen, dass der Übergang gerecht gestaltet wird. Wie entschädigen wir die Menschen, die ihre Lebensgrundlage verlieren – sei es durch Dürre, Überschwemmungen oder durch das Ende ganzer Wirtschaftszweige wie der Braunkohle oder des Verbrennungsmotors? Das Konzept der „Just Transition“ versucht, diese Fragen zu beantworten.
Wir brauchen dringend Alternativen zu rein marktbasierten Steuerungsmechanismen.
Gregory Jackson, Soziologe und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin
Was müsste sich konkret an der ökonomischen Steuerung ändern?
Wir brauchen dringend Alternativen zu rein marktbasierten Steuerungsmechanismen. CO₂-Bepreisung oder Emissionshandel haben derzeit fast keinen Effekt. Ich plädiere für eine aktive grüne Industriepolitik – mit staatlichen Investitionen, Planungskapazitäten und klaren Übergangspfaden. Ohne koordinierende Eingriffe wird der Markt die Transformation nicht rechtzeitig leisten.
Sie betonen, dass Klimapolitik stark von nationalen Institutionen abhängt. Können Sie ein Beispiel geben?
Deutschland etwa, als koordinierte Marktwirtschaft, konnte durch die Einbindung von Gewerkschaften und Industrie durchaus ambitionierte Klimaziele verfolgen – siehe Energiewende. In den USA hingegen, mit ihrer liberalen Marktstruktur, geschieht vieles über steuerliche Anreize und freiwillige Selbstverpflichtungen. Der Klimawandel schafft neue Konflikte und Koalitionen – wir müssen deshalb von unterschiedlichen Varianten grüner Transformation sprechen, die bestehende Institutionen teils als institutionelle Pfade nutzen, teils aber grundlegend verändern.
Gibt es Länder, die schon zeigen, wie es besser geht?
China ist ein interessanter Fall. Trotz autoritärer Strukturen verfolgt das Land eine relativ klar koordinierte Klimastrategie – mit langfristigen Investitionen in grüne Technologien. Das zeigt: Auch nichtdemokratische Systeme können handlungsfähig sein. Aber natürlich ist unser Ziel, eine demokratische Form der grünen Transformation zu entwickeln, mit breiter gesellschaftlicher Legitimität.
Klimawandel ist ein globales Problem. Was folgt daraus?
Dass niemand allein handeln kann. Wenn der Regenwald in Brasilien verschwindet, betrifft das auch unser Klima in Deutschland. Wenn wir hier Kohle verbrennen, schaden wir Menschen in Indonesien. Alle sind betroffen. Deshalb brauchen wir auch globale Koordination – und gerechte Lastenverteilung. Der Begriff „Carbon Colonialism“ beschreibt die Gefahr, dass reiche Länder die Verantwortung einfach auf den globalen Süden abwälzen. Das ist moralisch untragbar und führt zu politischer Instabilität.
Die Technik für CO₂-emissionsfreie Energie zu entwickeln, wird nicht ausreichen. Letztlich geht es um Verteilungsfragen, darum, dass alle Menschen auf unserer Erde ein Basiseinkommen und eine gewisse Sicherheit haben. Der Überkonsum einer Minderheit steht dem entgegen. Das ist eine politische und keine technische Frage.
Unternehmen stehen unter Wettbewerbsdruck, was oft zu Greenwashing oder rein symbolischen Maßnahmen führt.
Gregory Jackson, Soziologe und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin
Welche Rolle spielen Unternehmen?
Viele Firmen erkennen, dass Nachhaltigkeit eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist und auch Chancen für Innovation eröffnet. Gleichzeitig stehen sie unter Wettbewerbsdruck, was oft zu Greenwashing oder rein symbolischen Maßnahmen führt. Deshalb braucht es klare Regeln, verbindliche Berichtsstandards und auch Sanktionen – also eine wirksame Kontrolle durch Gesellschaft und Staat. Nur so können Unternehmen ihre Innovationskraft tatsächlich in den Dienst einer nachhaltigen Transformation stellen.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Wir wissen mehr, als wir glauben. Zum Beispiel haben wir enorme Erfahrung aus der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik – über Anreize, Übergänge, soziale Sicherungssysteme. Dieses Wissen müssen wir auf den Klimaschutz übertragen. Es braucht eine entideologisierte, faktenbasierte Debatte – und vor allem politisches Führungshandeln, das die langfristige Perspektive nicht dem kurzfristigen Profit opfert.
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