
© Ewan Trégarot
Paläoökologie-Forschung an der Freien Universität: Wie lange wird es Korallenriffe noch geben?
Forschende an der Freien Universität beschäftigen sich mit der Widerstandskraft von Korallen und loten aus, welche Lehren wir aus dem Gedächtnis der Ozeane ziehen können.
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Kleine Tiere, kaum sichtbar, die unter Wasser in Kolonien leben und Skelette aus Kalk bilden. Der Kurzsteckbrief von Steinkorallen hört sich wenig weltbewegend an, aber diese Tierchen sichern die Lebensgrundlage vieler Meeresbewohner: 25 Prozent aller Meerestiere leben in Korallenriffen.
Eine enorme Zahl, denn Korallen bewachsen weniger als ein Prozent des Meeresbodens. Auch für die Lebensgrundlage des Menschen sind Korallen entscheidend. Einerseits basiert der Fischfang auf der Vielfalt der Fische, die in Korallen ihr Zuhause finden. Und die farbenfrohen Riffe sind für die Tourismusbranche vieler Länder eine wichtige Einnahmequelle.
Andererseits sind riffbildende Korallen eine natürliche Barriere, stabilisieren Küsten und schützen den Menschen vor Stürmen und Wellen. Doch die Klimakrise und menschengemachte Umwelteinflüsse gefährden Korallen. „Das gilt mittlerweile auch für die Korallenarten, die eigentlich als besonders stressresistent gelten“, sagt Gabriel Cardoso.
Der Paläoökologe schreibt seine Doktorarbeit an der Freien Universität Berlin. Er forscht zu Korallen und ihrer Reaktion auf Umweltveränderungen. Gearbeitet hat er auch zur Siderastrea-siderea-Koralle vor der karibischen Insel Martinique. Die Siderastrea siderea ist eine massive rot-bräunliche Koralle. In Kolonien wächst sie kugelartig und kann über einen Meter groß werden. Sie gilt als widerstandsfähige Art und macht einen großen Teil des Korallenriffs vor Martinique aus.
Korallen sind gefährdet
Ein Riff besteht eigentlich aus vielen unterschiedlichen Korallenarten. Durch Verschmutzung, Krankheiten und die Erwärmung der Meere ist vor allem die Zahl sensiblerer und mit ein bis zwei Zentimetern pro Jahr schnellwachsender Korallen zurückgegangen. Aber auch die drei- bis viermal langsamer wachsende Siderastrea siderea ist bedroht.
Die Zeitreise, die wir dank Korallen machen können, ist einzigartig. Was Korallen alles erlebt haben, und wie viele unterschiedliche Tierarten an ihnen vorbeigeschwommen sein müssen.
Gabriel Cardoso, Paläoökologe
„Diese Korallenart schafft es noch zu überleben. Unsere Forschung zeigt aber, dass es ein Anpassungslimit widerstandsfähiger Korallenarten gibt“, sagt Cardoso. Während seines Forschungsaufenthalts auf Martinique habe sich ihm ein dramatisches Bild geboten. „So viele Korallen sind tot, nur vereinzelt habe ich lebende Korallenkolonien im Riff gesehen“, sagt der Doktorand. Zusammen mit einem internationalen Forschungsteam hat Gabriel Cardoso das Wachstum der Siderastrea siderea in den vergangenen 100 Jahren untersucht.
Es seien zum einen globale und zum anderen lokale Faktoren, die Korallen gefährden, erklärt er. Auf globaler Ebene sei der größte Stressfaktor für die Koralle die steigende Temperatur. Marine Hitzewellen würden dazu führen, dass Korallen sterben. Auch die Versauerung der Ozeane bedrohe Korallen. „Blicken wir auf die lokale Ebene, sind es Überfischung, Küstenverschmutzung und Korallenkrankheiten, die zum Rückgang von Riffen führen“, sagt Cardoso.
Hinzu kommen die Ausbaggerung von Häfen, Rodungen und intensive Landnutzung. Pestizide und Düngemittel, die in der Landwirtschaft eingesetzt und ins Meer gespült werden, trügen zu Küstenverschmutzung und Korallenkrankheiten bei. „Alles in allem sind es durch den Menschen verursachte Umweltveränderungen“, sagt Cardoso.
Nur durch die besondere Beschaffenheit von Korallenriffen konnte das Forschungsteam die vergangenen 100 Jahre Wachstum der Siderastrea siderea rekonstruieren. Das Kalkskelett, das Korallen produzieren und das Fundament von Riffen bildet, kann sehr alt werden.
Gedächtnis der Ozeane
„In der Karibik mehr als 600 Jahre. Riffbildung findet aber dort bereits seit vielen Millionen Jahren statt. Die Struktur des Great Barrier Reef ist sogar etwa 700.000 Jahre alt“, führt Cardoso aus. Ähnlich wie die Jahresringe bei Bäumen produzieren auch Korallen Lebenslinien. An diesen können Forschende nicht nur Alter und Wachstum pro Jahr bestimmen, sondern auch Klimaveränderungen und Wassertemperatur. Korallenriffe sind eine Art natürliches Archiv, das zuverlässig Umweltdaten speichert.
Um an diese Informationen zu kommen, tauchte das Team zu den Siderastrea-siderea-Korallen, die sechs bis 16 Meter unter der Wasseroberfläche lagen. Durch vorsichtige Bohrungen entfernten die Forschenden einen Innenteil der Koralle. In Laboren in Deutschland wurden diese Kerne geröntgt und geochemisch untersucht. „Die Zeitreise, die wir dank Korallen machen können, ist einzigartig“, sagt Gabriel Cardoso. „Was Korallen alles erlebt haben, und wie viele unterschiedliche Tierarten an ihnen vorbeigeschwommen sein müssen.“ Für die Siderastrea siderea gehören dazu derzeit die Dorade und der Buckelwal, früher auch die mittlerweile ausgestorbene Karibische Mönchsrobbe.
Was muss sich ändern?
Wie vor Martinique sind in der ganzen Karibik erhebliche Verluste von Korallen zu verzeichnen. Es müsse sich schnell etwas ändern, betont Cardoso. Da die Gefährdungen von zwei Ebenen ausgingen, müssten Gegenmaßnahmen an beiden ansetzen. Das heißt: auf globaler Ebene die Klimakrise bekämpfen. Und zusätzlich auf lokaler Ebene den Umweltschutz vorantreiben.
„Keine Fischerei während der Fortpflanzungszeit, keine Schleppnetze, die Korallenriffe zerstören, und Pestizide nicht ins Meer fließen lassen“, zählt der Forscher auf. Wichtig wäre es auch, angrenzende Ökosysteme einzubeziehen. „Wenn zum Beispiel ein Sturm auf Martinique trifft, schützt ein gesundes Korallenriff die Seegraswiesen und Mangrovenwälder hinter dem Riff“, erklärt Cardoso. Diese Schutzfunktion funktioniere beidseitig. Mangroven würden wiederum Korallen vor Sedimentablagerungen schützen, die von der Küste kommen und Korallen ersticken können.
Für ein ganzheitliches Umweltmanagement sei es unablässig, mit lokalen Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen zusammenzuarbeiten. In dem Projekt „Marine Coastal Ecosystems Biodiversity and Services in a Changing World“ (Biodiversität und Funktionen mariner Küstenökosysteme in einer sich verändernden Welt) hat Gabriel Cardoso ein Modell für die Fischerei und Regierungen entwickelt: ein leicht zu bedienendes Software-Tool, das die Effizienz von ökologischen Schutzmaßnahmen darstellt.
Beteiligt an dem von der Europäischen Union in der Linie EU Horizon 2020 geförderten Projekt waren von der Freien Universität neben Cardoso die Ko-Leiter Reinhold Leinfelder, Professor für Paläontologie und Geobiologie, und Georg Heiss, promovierter Geologe, außerdem Juan Pablo D’Olivo, Diego Kersting und Marina Vergotti.
Gabriel Cardoso würde gern nach Abschluss seiner Doktorarbeit weiter an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis arbeiten. Dabei hofft er, auch künftig zu Korallen forschen zu können: „Korallen, ihr Wachstum und ihren Schutz zu erforschen, heißt letztendlich der Frage auf den Grund zu gehen, was die Biodiversität im Meer sichert.“
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