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Milchkühe stehen in einem Stall und fressen.

© picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck

Warten auf ein Update: Was vom ehrgeizigen Tierschutzgesetz übrig ist

Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte sich viel vorgenommen. Nach 20 Jahren sollte das Tierschutzgesetz ein echtes Update bekommen. Auf den letzten Metern scheiterte das Vorhaben.

Stand:

Dass Küken nicht mehr geschreddert, Ferkel bei der Kastration betäubt und Hunde nicht mehr mit Elektroschockhalsbändern „erzogen“ werden dürfen, ist auch drei unscheinbaren Worten zu verdanken. Mit der Aufnahme von „und die Tiere“ in Artikel 20a des Grundgesetzes im Jahr 2002 hat sich der Blick auf Tiere verändert: nun gibt es eine „Verpflichtung, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten“. Der Tierschutz hat damit eine ethische Dimension. Und Verfassungsrang.

Im Alltag konkretisiert das Tierschutzgesetz und die jeweiligen Verordnungen mit Vorschriften zur Tierhaltung, zur Schlachtung, zu Eingriffen und Versuchen an Tieren sowie Regelungen zur Zucht und zum Handel mit Tieren den Paragrafen. Und betrifft somit ganz direkt rund 33,9 Millionen Haustiere – vom Kanarienvogel bis zur Dogge – und über 200 Millionen Nutztiere, wie Kühe, Mastschweine oder Masthähnchen, die in Deutschland leben. Und bei Nutztieren: am Ende auch geschlachtet werden.

Neueste Erkenntnisse

Das Tierschutzgesetz ist ein Regelwerk im Fluss. Es wird immer wieder angepasst, um neue gesellschaftliche Anforderungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und festgestellte Lücken im Schutz von Tieren zu schließen. Gerade in den letzten Jahren wurde beispielsweise viel zu den kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Nutztieren geforscht.

Angela Bergschmidt, Wissenschaftlerin am Thünen-Institut in Braunschweig, nennt Beispiele zu Forschungsarbeiten aus den letzten Jahren. So gebe es eindeutige Ergebnisse zum Schmerzempfinden von Schweinen bei der Kastration, den Erstickungsgefühlen von Schweinen bei CO₂-Betäubung vor der Schlachtung oder dem Empfindungsvermögen von Rinderföten vor der Geburt.

Angela Bergschmidt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen-Institut Braunschweig

© privat

Dass diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Änderungen im Gesetz führen, „ist kein Automatismus“, weiß die Wissenschaftlerin. Der Grund dafür: simpel. Tiergerechtere Verfahren sind häufig mit Mehrkosten verbunden. Die gelte es abzufedern. Wer also im Nutztierbereich erfolgreiche Tierschutzpolitik betreiben wolle, brauche den Dreiklang aus Gesetz, Fördermaßnahmen und marktorientierten Instrumenten, wie beispielsweise einem Haltungskennzeichen.

Den gibt es aber so nicht. Die Konsequenz: Einige Tierarten und Altersgruppen bleiben seit Jahren in der sogenannten Nutztierhalterverordnung, die regelt, welche Tiere wie gehalten werden dürfen, unter dem Radar. Vorgaben für alle Rinder über sechs Monate? Fehlanzeige. Das Gleiche gilt bei Geflügel. Hier fehlen Richtlinien für Junghennen, Junghähne, Mastputen und Enten.

Dass die von Tierschützern und natürlich auch uns Grünen sehnlichst erwartete Novelle des Tierschutzgesetzes so kurz vor der Verabschiedung an dem Zerbrechen der Regierungskoalition gescheitert ist, ist nach wie vor sehr bitter.

Zoe Mayer, agrarpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion 

Andere Vorgaben erscheinen wie aus der Zeit gefallen: 100 auf 75 Zentimeter stehen einem Schwein, das 110 Kilogramm auf die Waage bringt, zu. Zwölf DIN A4-Blätter, um zu fressen, zu trinken, sich zu bewegen, sich mit Artgenossen austauschen und zu schlafen. Die bestehenden Regelungen reichten vielfach nicht aus, „um den Tieren ein lebenswertes und gutes Leben zu ermöglichen“, kommentiert die Wissenschaftlerin Bergschmidt die Zustände.

Dass der Tierschutz in Deutschland noch nicht High-End-Level hat, sieht auch die vor wenigen Wochen von Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) ernannte Bundestierschutzbeauftragte, Silvia Breher (CDU). Der Tierschutz in Deutschland sei zwar schon recht weit, „aber auch bei uns gibt es noch Verbesserungsbedarf“, sagt die Christdemokratin auf Nachfrage. Zahlreiche Tierschutzthemen seien in den vergangenen Jahren gut gemeint angegangen, aber nie umgesetzt worden.

Silvia Breher (CDU), Bundestierschutzbeauftragte

© BMLEH

Dass das bestehende Tierschutzgesetz ein Update benötigt, darüber sind sich – bis auf die landwirtschaftlichen Interessensvertretungen – Gesellschaft, Wissenschaft und Politik einig. Doch darüber, wie weitreichend das sein sollte, gehen die Meinungen weit auseinander.

Ein kleiner Blick zurück. Mit dem Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ legte die Ampelregierung die Latte für den Tierschutz hoch. Ein ganzer Katalog an Neuerungen sollte das Tierschutzgesetz reformieren. Die umfangreichste Reform seit über 20 Jahren, schwärmte Zoe Mayer von den Grünen. Für einen ersten Entwurf brauchte das damals grün geführte Landwirtschaftsministerium zwar fast zwei Jahre. Aber der war dafür pickepackevoll mit Änderungsvorschlägen.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Zoe Mayer

© privat

So wollte man dem illegalen Tierhandel einen Riegel vorschieben, wie auch Qualzuchten. Landwirtschaftliche Praktiken wie beispielsweise das routinemäßige Kürzen von Lämmerschwänzen sollten genauso der Vergangenheit angehören, wie das betäubungslose Ausbrennen der Hornanlagen bei Kälbern und Kastration männlicher Rinder. Das Gesetzesupdate sah auch ein grundsätzliches Verbot für die Anbindehaltung nach einer zehnjährigen Übergangsfrist vor und mit einer Ausnahme für ganz kleine Betriebe. Schlachthöfe sollten aufzeichnen, was bei ihnen vor sich geht und reisende Zirkusse ihren Wildtieren für immer „Auf Wiedersehen!“ sagen. Abschreckung sollten höhere Bußgeld- und Strafkataloge bringen.

Ein weiteres Jahr verging. Mit Zank und Streit. Die einen sahen die Ausrottung des geliebten Dackels bevorstehen (Qualzuchtparagrafen), andere das Ende der Jagd (Kupierverbot für Jagdhundschwänze). Süddeutsche Milchviehbetriebe mit ganzjähriger Anbindehaltung sahen sich in ihrer Existenz bedroht.

Karten wurden neu gemischt

Doch so weit kam es nicht. Denn der Gesetzesentwurf erreichte nur den Bundestag, und den nur in erster Lesung. Weiter aber auch nicht. „Dass die von Tierschützern und natürlich auch uns Grünen sehnlichst erwartete Novelle des Tierschutzgesetzes so kurz vor der Verabschiedung an dem Zerbrechen der Regierungskoalition gescheitert ist, ist nach wie vor sehr bitter“, sagt Mayer, agrarpolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion über ihr Herzensprojekt.

Seit Mai sind die Karten neu gemischt. Laut eigenem Bekunden liegt auch dem neuen Bundeslandwirtschaftsminister Rainer der Tierschutz persönlich sehr am Herzen. Die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz sei „ein bedeutender Meilenstein gewesen“.

Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU)

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Doch den in der Schublade liegenden Gesetzesentwurf für eine Reform des Tierschutzgesetzes scheint er nicht anpacken zu wollen. Bleibt also alles beim Alten? Nicht ganz: Die Videoüberwachung in den Schlachthöfen will er gesetzlich vorschreiben lassen, sagte er in einem Interview mit Tagesspiegel Background letzte Woche. „Und wir werden gegen den illegalen Welpenhandel vorgehen – dass hier Handlungsbedarf besteht, hat auch die EU-Kommission erkannt“, so Rainer.

Und wie stehen Rainer und Breher zur Anbindehaltung? Die sei ein Auslaufmodell, betonen beide. Ein Großteil der Landwirte in Deutschland habe sich deshalb „völlig zu Recht – auf den Weg zu tierschutzkonformeren Haltungen gemacht“, sagt die Bundestierschutzbeauftragte. „Wie ein Wandel hin zu anderen Haltungsformen funktionieren kann, darüber sprechen wir mit der Landwirtschaft“. Laut Thünen-Institut verbrachten 2020 deutschlandweit noch rund 700.000 Kühe, Jungrinder, Färsen und Bullen ihr Leben ganzjährig auf einem Platz fixiert.

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