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Cancer cells can migrate to other body tissues or organs building metastasis. 3D illustration

© Getty Images

CUP-Syndrom: Die rätselhafteste aller Krebserkrankungen

Metastasen, ohne dass ein Primärtumor vorhanden wäre? Das gibt es. Von allen seltenen Krebserkrankungen ist das CUP-Syndrom für Ärzte die größte Herausforderung.

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Sie sitzen in der Leber, in der Lunge, in den Knochen oder im Gehirn: Metastasen sind bei Krebs leider nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist nur, wenn es zu den bösartigen Absiedlungen keinen Tumor gibt. Das CUP-Syndrom ist mit 10.000 Neuerkrankungen im Jahr zwar nicht die seltenste, aber mit Sicherheit die rätselhafteste aller Krebserkrankungen. CUP bedeutet „Cancer of unknown primary“, das heißt so viel wie Krebs mit unbekanntem Primärtumor. Die Krankheit fällt allein durch Metastasen auf, vom ursprünglichen Tumor fehlt jede Spur.

Die Diagnostikmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten allerdings stark verbessert. Hochauflösende Bildgebungsverfahren wie CT, MRT oder PET-CT spüren mehr Veränderungen auf als das Röntgenbild aus dem letzten Jahrhundert, so dass der Anteil des CUP-Syndroms an allen Krebsneuerkrankungen von etwa fünf Prozent auf zwei bis drei Prozent gesunken ist. Trotzdem bleibt die Suche bei einem hohen Prozentsatz nach wie vor vergeblich. Vielleicht, weil es gar nichts zu finden gibt?

Die einzige CUP-Sprechstunde Deutschlands ist in Heidelberg

„Das CUP-Syndrom wird zwar etwas seltener, trotz mittlerweile sehr sensitiver diagnostischer Möglichkeiten lässt sich aber weiterhin in vielen Fällen kein Primärtumor finden“, erläutert Prof. Alwin Krämer, der am Universitätsklinikum Heidelberg Deutschlands einzige Spezialsprechstunde für CUP-Patienten leitet und die seltene Krebserkrankung intensiv beforscht. Wissenschaftler wie er gehen davon aus, dass der Primärtumor in vielen Fällen schlichtweg nicht mehr existieren dürfte.

Entweder, weil er – im Gegensatz zu den Metastasen – erfolgreich vom Immunsystem zerstört worden ist. Oder weil der Tumor irgendwann einmal „versehentlich“ entfernt wurde, etwa ein Hautkrebs oder eine Krebsvorstufe am Gebärmutterhals, ohne dass man seinerzeit eine Metastasierung geahnt hätte. Beweisen lässt sich das alles natürlich nicht. Deshalb gibt es dazu auch keine guten Daten.

Und es gibt eine weitere Theorie, die noch rätselhafter erscheint. Die besagt, dass es einen Primärtumor nie gegeben hat. Demnach können auch gesunde Organstammzellen im Körper zirkulieren und sich in einem anderen Organ niederlassen, wo sie sich dann in bösartige Zellen verwandeln. „Noch ist das Spekulation“, ordnet der Heidelberger Onkologe den Erklärungsansatz ein. Die Wanderschaft von Organstammzellen sei inzwischen zwar durch Tierstudien belegt, sagt er. „Einen Beleg für deren Transformation an einem „fremden“ Ort gibt es aber bis dato noch nicht.“

Zu lange sollte man nicht Rätsel raten, sonst geht wertvolle Zeit verloren.

Alwin Krämer, Professor am Universitätsklinikum Heidelberg

Wodurch auch immer die Metastasen entstanden sind – Fakt ist, dass die Mehrzahl der Patienten mit CUP-Syndrom eine denkbar schlechte Prognose hat. Die mittlere Überlebenszeit liegt laut Studien unter einem Jahr. Real-World-Daten zeigen mit drei bis fünf Monaten noch schlechtere Werte. Weil das so ist, sollte die Standardbehandlung – eine platinhaltige Kombinationschemotherapie – möglichst schnell begonnen werden, meint CUP-Spezialist Krämer. „Zu lange sollte man nicht Rätsel raten, sonst geht wertvolle Zeit verloren.“

Andererseits sollte aber auch nichts übersehen werden. Denn manchmal gelingt es eben doch, den Befund einer bestimmten Krebsart zuzuordnen; etwa durch die Bildgebung oder weil der Pathologe in den Krebszellen ein bestimmtes Muster erkennen kann. Ähnelt das Muster zum Beispiel einem Mammakarzinom und erfüllt es bestimmte Kriterien, dann lautet die Diagnose „Breast-like“ CUP und die Patientin wird so behandelt, als ob sie Brustkrebs hätte, obwohl sich in solchen Fällen kein Tumor in der Brust nachweisen lässt. Patienten, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Primärtumor geschlossen werden kann, haben gemäß Krämer eine bessere Prognose.

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Bessere Überlebenschancen haben außerdem Patienten, die nur ganz wenige Metastasen haben – oder wenn nur eine Körperstelle von den Tochtergeschwülsten befallen ist. Ärzte sprechen dann von Single-site bzw. oligometastasiertem CUP. Alwin Krämer erklärt, dass diese Gruppe von Patienten nicht einmal die übliche Chemotherapie benötige, sondern mit „lokalen Maßnahmen“ wie Operation oder Bestrahlung behandelt werde. „Es sieht so aus“, betont der Arzt und Forscher, „dass wir in einigen Fällen Patienten mit Single-site/oligometastasiertem CUP sogar heilen können.“

Bis zu 15 Prozent der CUP-Patienten gehören zu den prognostisch günstigeren Subgruppen. Doch auch für die übrigen 85 Prozent zeichnen sich kleine Lichtblicke ab. In der CUPISCO-Studie hat ein Forscherteam unter Heidelberger Leitung Erbgutveränderungen der Metastasen untersucht und die Patienten anschließend mit entsprechenden zielgerichteten Medikamenten behandelt. Die Auswertung der Studiendaten zeigt, dass die zielgerichtete Therapie im Vergleich zur Standard-Chemotherapie das progressionsfreie Überleben deutlich verbessert – und wahrscheinlich auch das Gesamtüberleben, soweit man das heute schon sagen kann.

Daneben machen auch Immuncheckpoint-Inhibitoren Hoffnung. Mehrere Therapiestudien zeigen, dass etwa 20 Prozent der Patienten mit Erkrankungsrückfall nach Chemotherapie auf eine Checkpoint-Blockade ansprechen. Bei hoher Tumormutationslast sind es sogar 60 Prozent. Die Immuntherapie zögert also bei einem erheblichen Teil der Patienten das Fortschreiten der Erkrankung hinaus und verlängert insgesamt die Überlebenszeit.

Beide neuen Therapieoptionen sind noch nicht für das CUP-Syndrom zugelassen. Trotzdem werden die Medikamente schon an einigen deutschen Zentren im Off-Label-Use eingesetzt. Ärzte müssen dafür einen Antrag auf Kostenübernahme bei der jeweiligen Krankenkasse stellen. Jedenfalls noch. Alwin Krämer hofft, dass dies bald einfacher wird. Dass die Daten, die bald im „Lancet“ erscheinen werden, die Krankenkassen überzeugen werden und dass dann mehr Betroffenen in ganz Deutschland besser geholfen werden kann.

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