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Health-Experte über Innovationen aus Deutschland: „Wir müssen exzellentes Wissen besser ausschöpfen“
Vieles von dem, was in Deutschland erforscht wird, wird anderswo zu Geld gemacht. Ein Gespräch mit Christopher Baum vom Berlin Institute of Health darüber, wie sich das ändern lässt.
Stand:
Herr Baum, wie gut ist Deutschland in Forschung und Innovation?
Bei der Forschung gehören wir international zu den Top Ten. Denn die Rahmenbedingungen sind bei uns besonders gut: Die Wissenschaft ist frei, selbstbestimmt und tief verankert in unserer demokratischen Kultur, und sie wird nicht als politisches Druckmittel eingesetzt.
Bei den Innovationen allerdings müssen wir noch einen weiten Weg gehen, um im weltweiten Wettbewerb nicht durchgereicht zu werden. Hier gelingt es uns nicht gut genug, das breite Wissen, das wir haben, in wirklich skalierbare Innovationen zu überführen.
Das hat mehrere Gründe: die finanzpolitischen Rahmenbedingungen, die föderale Fragmentierung, teilweise aber auch die Kultur im eigenen Land. Dies führt dazu, dass Innovationen nicht in dem Maße aus unserem Land hervorgehen, wie man es eigentlich von der Forschungsstärke her erwarten müsste.
Schildern Sie uns einen konkreten Fall, wo es hapert.
In der Gen- und Zelltherapie oder generell bei den ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products) sind in Europa und Deutschland wesentliche innovative Entwicklungen geleistet worden, die dazu führen, dass diese Therapien in der Medizin zunehmend Realität werden. Es gibt immer mehr Patienten und Patientinnen, die davon direkt profitieren und Erkrankungen, die mit diesen Methoden behandelt werden können, auch schwere Erkrankungen.
Aber die allermeisten dieser Produkte sind nicht in Deutschland oder Europa entwickelt worden, sondern überwiegend in den USA und neuerdings auch in Asien, besonders in China. Obwohl die grundlegenden Entdeckungen oft in Europa und viele in Deutschland stattgefunden haben, kommen die Produkte am Ende des Tages nicht aus Europa. Außerdem sind sie hochpreisig. Die Wertschöpfung findet damit überwiegend im Ausland statt.
Wenn die Produkte auf den Weltmarkt kommen und durch die europäische Zulassungsbehörde EMA zugelassen sind, sind sie im Regelfall sehr schnell in Deutschland verfügbar. Deutschland rangiert im internationalen Vergleich an der Spitze bezüglich der Verfügbarkeit neuer Medikamente. Aber wir zahlen hohe Preise für Produkte, die im Ausland hergestellt wurden.
Es gibt einen therapeutischen Effekt für die Patienten, unsere technologische und ökonomische Souveränität wird jedoch zunehmend angegriffen. Ein Land, das sein Wertschöpfungspotential nicht hebt, wird im internationalen Wettbewerb schnell ins Hintertreffen geraten.
Bitte auch hier ein Beispiel für so ein Produkt.
Die Nobelpreisträgerin Emmanuelle Charpentier ist eine französische Wissenschaftlerin, die an mehreren europäischen Standorten gearbeitet hat, auch in Berlin. Ihre wichtigste Erfindung ist Crisp/Cas9-Genschere, die zunehmend in gentherapeutischen Produkten eingesetzt wird und aktuell zur Behandlung der Sichelzellanämie zugelassen wurde. Auch mit dieser wegweisenden, aus Europa stammenden Technologie findet die Wertschöpfung ganz wesentlich in den USA statt.
Ähnliches gilt für grundlegende technologische Innovationen bei anderen, weithin genutzten Gen-Verfahren wie etwa den sogenannten Retrovirus- oder AAV-Genvektoren.
Wir haben darüber gesprochen, was in Deutschland nicht funktioniert. Gibt es auch etwas, das gut funktioniert hat, also in Deutschland entwickelt und zur Anwendung gebracht wurde?
Das berühmteste Beispiel sind natürlich die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19. Das ist keine Gentherapie, aber als Nukleinsäure-basierte Impfstoffe nahe verwandt.
Die Grundlageentwicklung ist ganz wesentlich in Deutschland gelaufen und sehr bekannt. Die Erfolgsstory hinter den Covid-Impfstoffen erforderte eine große Synergie zwischen einer zu dem Zeitpunkt kleinen Firma, Biontech, und einem Weltkonzern – in diesem Fall Pfizer.
Es hätte aber auch ein deutscher Pharmakonzern sein können, der die Co-Entwicklung gemacht hätte. Prinzipiell sind in Deutschland das Know-how und die Infrastruktur für die Ausbreitung und Skalierung von pharmazeutischen und biotechnologischen Innovationen vorhanden. Und man kann, wenn alle zusammenarbeiten, sehr schnell agieren. Im Falle der mRNA-Impfstoffe hat auch die regulatorische Begleitung durch die Zulassungsbehörden exzellent agiert.
Es braucht also eine Pandemie, damit es klappt in Deutschland? Der Druck muss so hoch sein?
Ja, das muss er, damit die Barrieren zwischen den Akteuren überwunden werden. Wir haben in Deutschland eine starke Fragmentierung der Innovationslandschaft. Da sind die öffentlich finanzierten akademischen Akteure, die privaten Produktentwickler und -hersteller, die Regulatoren und die Finanzwelt.
Mindestens diese vier müssen zusammenkommen, damit eine Entwicklung von der Entdeckung bis in die breite Anwendung getragen werden kann. Zu selten wird die Produktentwicklung schon von Anfang an mit dem vollen Know-how gefahren, das aus allen vier Bereichen notwendig ist, um zum Erfolg zu kommen.
Was muss geschehen, um diese Zusammenarbeit zu verbessern?
Man muss die Akteure zusammen- und in ein gemeinsames Handeln bringen, Ziele definieren und Formate finden, in denen sie sich regelmäßig austauschen, auch den Nachwuchs so aus- und weiterbilden, dass er die Grenzen zwischen den Bereichen überwindet. Allgemein: Die Attraktion der Zusammenarbeit erhöhen. Genau da setzen wir an. Mit der Nationalen Strategie für Gen- und zellbasierte Therapien haben wir bereits mehrere Maßnahmen in der Umsetzung, die das erreichen.
In den USA sieht man gut, dass es in den großen Entwicklungshubs wie Boston oder Silicon Valley eine sehr starke Durchmischung von drei Bereichen gibt, nämlich von Wissenschaft, Industrie und Finanzwelt.
Christopher Baum, Wissenschaftlicher Direktor des Berlin Institute of Health
Die Fragmentierung, die sie erwähnten: Existiert die auch in anderen Ländern, in Frankreich, in den USA?
In den USA sieht man gut, dass es in den großen Entwicklungshubs wie Boston oder Silicon Valley eine sehr starke Durchmischung von drei dieser Bereiche gibt, nämlich von Wissenschaft, Industrie und Finanzwelt. Die Regulatorik als vierter Bereich ist dort separiert, aber im Regelfall sehr innovationsfreundlich. Die FDA (Food and Drug Administration) ist weltweit der maßgebliche Regulator.
In Deutschland und am BIH versuchen wir jetzt, etwas neu zu machen, indem wir einerseits die Regulatorik früh schon in die akademische Produktentwicklung hineinnehmen. Wir bieten dafür entsprechende Beratungsleistungen an. Andererseits integrieren wir landesweit, also nicht nur an einzelnen Standorten, Wissen aus den vier Bereichen, um möglichst früh eine aussichtsreiche Produktentwicklung zu ermöglichen.
Wir setzen Wissen und Wirtschaftspolitik nicht als Machtinstrument ein und können nur hoffen, dass uns diese Kultur erhalten bleibt.
Christopher Baum
Sie erwähnten die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland. Gerade in den USA ist die ja gerade stark gefährdet.
Eindeutig. Das ist ein großes Problem, wie auch generell das Vorgehen, Wissen und Wirtschaftspolitik als Machtpolitik einzusetzen. Das kann sich negativ auf den Innovationsbereich auswirken. Wir haben in dieser Hinsicht eine grundlegend bessere Kultur und können nur hoffen, dass sie uns erhalten bleibt.
Der europäische Weg ist: Wissenschaft und Innovation sind keine Machtinstrumente, um einzelnen politischen Führern oder anderen Machtinteressen des Staates einen Vorteil zu verschaffen. Sie dienen den Menschen, in unserem Fall den Patienten. Der Nutzen für die Menschen in der Gesellschaft ist das höchste Gut.
Diese sehr wichtige Wertsetzung ist in Deutschland und auch in Europa zum Glück immer noch vorrangig. Das ist ein Riesenvorteil des europäischen Wegs. Auch in China bleibt ungewiss, ob die beeindruckenden Innovationsambitionen des Staates den Menschen dienen oder eher dem Staat und seiner Wirtschaft.
Trotzdem sind Wissen und Innovation natürlich immer auch ein Wirtschaftsfaktor, auch in Europa. Es muss Geld damit verdient werden.
Ja, das ist ein Gebot der Nachhaltigkeit. Wir können nicht bestehen, wenn wir uns nicht technologisch souverän aufstellen und keine erfolgreichen Produkte im Weltmarkt haben. Gesundheitsprodukte, die bei wirklich schweren Erkrankungen wirken, stehen in einem globalen Wettbewerb. Sie werden auch international zugelassen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit betrifft grundlegende Eigenschaften wie Wirksamkeit, Sicherheit und Preis.
Wir müssen Produkte entwickeln, die bestmöglich helfen und dabei für öffentlich finanzierte oder mit öffentlichen Ressourcen stark gestützte Gesundheitssysteme nachhaltig finanzierbar sind. Der Preis darf die Verfügbarkeit nicht einschränken.
Wie realistisch ist es, dass wir wieder eine europäische Antibiotika-Produktion haben werden?
Die Vertreter der Pharmaindustrie würde Ihnen sagen: Das ist nur eine Frage des Preises, dann ist alles darstellbar. Sobald die Produktion und der Vertrieb wirtschaftlich sind, wäre das in jedem Fall technologisch überhaupt kein Problem, eine europäische Antibiotika-Produktion zu realisieren. Das ist ganz wesentlich eine Frage der Wirtschaftlichkeit.
Bei den Gen- und Zelltherapeutika ist der Produktionsweg sehr viel aufwändiger. Da braucht es tatsächlich Handarbeit im wahrsten Sinne des Wortes, um im Verlauf mehrerer Tage bis Wochen ein sehr komplexes Therapieprodukt herzustellen. Das Know-how ist in den klassischen Industrienationen gut vorhanden, aber die Herstellungskosten wachsen beträchtlich. Und das führt dazu, dass auch die Therapiekosten sehr hoch werden.
Wir werden allerdings technologische Innovationen erleben über Robotik und automatisierte Verfahren. Das wird wesentlich aus den großen Industrienationen kommen. Deutschland hat hier eine hervorragende Ausgangssituation, weil wir eine sehr starke Mittelstandslandschaft haben im Bereich Herstellungstechnologien und Maschinenbau, auch bei modernen robotikgetriebenen, automatisierten Herstellungsprozessen. Solche Qualitäten werden dazu führen, dass der Standort sich international wettbewerbsfähig aufstellen kann.

© imago/Jürgen Ritter
Nochmal zu den Antibiotika: Der Staat müsste die Produktion also subventionieren, wenn sie zurückkommen soll?
Wenn Medikamente betroffen sind, die für die Daseinsfürsorge notwendig sind, die aber unter den Bedingungen hier nicht wirtschaftlich herstellbar wären, dann würde sich diese Frage tatsächlich stellen.
Bei den Gen- und Zelltherapien können Sie sich auch Szenarien vorstellen, in denen die Produktion in Folge von Protektionismus der Märkte nicht mehr möglich ist. Dann werden wir gezwungen sein, in Deutschland sogenannte Bio-Similars anzubieten. Wir müssten also ähnliche Produkte herstellen und verfügbar machen, die sonst nur in einem Markt erhältlich sind, der aufgrund isolationistischer Politik nicht mehr offen ist.
Wenn wir den Forschungs- und Innovationsstandort lokal auf Berlin beziehen: Wo sehen Sie in der Stadt das meiste Forschungs- und Entwicklungspotential?
Im Bereich Biotech und Pharma sind wir sehr stark aufgestellt. Wir haben eine starke Biotechlandschaft in Berlin und Brandenburg, eine etablierte Pharmaindustrie inklusive eines DAX-Konzerns, hervorragende Grundlagen- und angewandte Forschung außeruniversitär und universitär, und mit der Charité eine bärenstarke Universitätsmedizin. Dazu eine weltoffene Stadt mit einer starken Start-up-Landschaft.
Es sind also alle Zutaten vorhanden für einen national und international sichtbaren Exzellenzhub in Berlin, der im Moment auch konsequent weiter ausgebaut wird. Die Charité setzt mit Bayer eine Public-Private-Partnership auf, um ein Translationszentrum für Gen- und Zelltherapien zu bauen.
Die Universitäten, das Max Delbrück Center, die Max-Planck-Institute, das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum, wir vom BIH und viele weitere stärken das Wissenschaftsumfeld, so dass Berlin die beste Ausgangsposition hat, um national und international eine starke Rolle zu spielen – solange das Land daran mitwirkt, die Rahmenbedingungen konsequent zu verbessern.
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