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Angelika Dietz, eine von 70 Personen, die sich um den Waldgarten kümmern. Die 71-Jährige kommt auch bei Wind und Wetter.

© Hella Kaiser

Langer Tag der Stadtnatur: Täglich ein anderes Kraut

Im Waldgarten Britz darf genascht und geerntet werden. Rund 70 Vereinsmitglieder kümmern sich gemeinsam um Pflanzen und Sträucher. Neue Interessenten sind willkommen.

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Es gibt ja reichlich Natur in Berlin. Wälder zum Verlaufen, rund 430.000 Straßenbäume und viele Schrebergärten. Nun aber setzt man in Britz noch einen drauf. Hier kann man zuschauen, wie ein Waldgarten entsteht. Ein Waldgarten? Was soll das denn sein?

Das Konzept ahmt die Natur des Waldes nach, in dem Bäume und Sträucher in allen nur denkbaren Höhen existieren. Entsprechend wird in einem Waldgarten gleichsam „in Etagen“ gepflanzt. So entsteht eine ökologische Mischkultur. Nach diesem Muster wurde in den Tropen seit Menschengedenken Landwirtschaft betrieben. Bis im 19. Jahrhundert die Kolonialherren kamen und den Plantagenanbau einführten. Monokulturen entstanden – mit all ihren negativen Folgen.

Dennoch hielt sich die Tradition. Auch in Europa interessierte man sich dafür. Der Engländer Robert Hart (1913-2000) etwa experimentierte als einer der ersten mit ähnlichen Anbaumethoden. Als Vorbild diente ihm der britische Laubwald, den er in sieben Schichten analysierte, von hohen Bäumen über Kletterpflanzen und Sträucher bis hin zu Bodendeckern und Wurzeln.

Auf Dünger kann verzichtet werden

Er fand heraus, dass diese Vielfalt an Vegetationsschichten unterschiedlicher Höhe eine optimale Lichtausbeute gewährleistet und reiche Ernte auf relativ kleinem Raum erzeugt. Hart kombinierte alle möglichen Nutzpflanzen in einem sich selbst erhaltenden mehrjährigen System. Auf Dünger konnte er komplett verzichten.  

Die Landschaftsplanerin Jennifer Schulz koordiniert das Projekt „Urbaner Waldgarten“ in Britz.

© Hella Kaiser

Das Konzept ist genial. Kein Wunder, dass europaweit immer mehr Waldgärten entstehen. Auf dem Land mag das funktionieren, aber mitten in einer Metropole? Jennifer Schulz vom Institut für Umweltwissenschaften und Geographie der Universität Potsdam war vom Erfolg überzeugt. Die Landschaftsplanerin hob das Projekt 2018 quasi aus der Taufe und koordiniert es seitdem.     

Zunächst musste ein geeigneter Ort gefunden werden. Eine Brache südlich des Britzer Gartens am Leonberger Ring erwies sich als ideal.

Im Außenbereich dürfen alle mal naschen

Auf einer Fläche von rund vier Fußballfeldern ist nun nicht nur Platz für den Waldgarten, sondern auch noch für privat genutzte Parzellen, die allerdings, anders als in Schrebergärten, ohne Zäune auskommen. Im äußeren Bereich gibt es noch eine öffentliche Grünfläche mit Obstbäumen und Beerensträuchern, von denen jeder Spaziergänger naschen darf.   

Die Schildchen verraten nicht nur den Namen der jeweiligen Pflanzenart. Hier sieht man auch, wann geerntet werden kann.

© Hella Kaiser

Im Waldgarten selbst kümmern sich die Vereinsmitglieder um die Pflanzenpflege. Erstaunlich viel kommt da bereits aus der Erde. „200 verschiedene Arten wurden gepflanzt, 40 haben sich von selbst angesiedelt“, sagt Schulz. Viele der Pflanzen sind „beschildert“ – und das ist gut so. Himbeere, Haselnuss oder Zitronenmelisse kennt wohl jeder, aber hier finden sich auch seltenere Arten.  Die Patagonische Fuchsie etwa, der Chinesische Surenbaum oder der Flache Kaukasus-Beinwell. Auf den Schildchen stehen jeweils die Erntemonate, aber auch, ob Blätter oder Früchte verzehrt werden können.

Überall summt und brummt es. Auch der Berliner „Wildbienenpapst“ Christoph Saure hat hier schon vorbeigeschaut. Und war begeistert. „78 Wildbienenarten hat er gefunden“, erzählt Schulz. Mehr hatte er nur in Düppel zählen können. .  

Inzwischen habe ich schon 30 Kräuter in der Küche benutzt, die ich vorher gar nicht kannte.

Waldgärtnerin in Britz

Angelika Dietz, eine von rund 70 aktiven Mitgliedern des Vereins Waldgarten Berlin-Britz e.V., geht mit einer großen Gießkanne herum. Denn, auch wenn die Pflanzen von allein wachsen, etwas Wasser brauchen sie dann doch. Die 71-Jährige hat auch eine eigene Parzelle, auf der sie Kartoffeln oder Möhren anbaut. Eher langweilig im Vergleich zum Waldgarten. „Ich habe inzwischen schon 30 Kräuter in der Küche benutzt, die ich vorher gar nicht kannte“, sagt eine andere „Waldgärtnerin“. Und einer, weiß Schulz, wolle aufgrund der erworbenen Pflanzenkunde nun vegan werden.  

Alles wird hier basisdemokratisch diskutiert und organisiert. Aber natürlich muss es Regeln geben. Wie etwa soll man mit Hunden umgehen? Die haben in einem Essbaren Garten nichts zu suchen, aber sind sie angeleint erlaubt? Und wie beugt man etwaigem Vandalismus vor? Hohe Zäune möchte man schließlich vermeiden.

„Bisher war alles in Ordnung“, sagt Schulz zufrieden. Selbst an einem lauschigen Platz, wie geschaffen zum Chillen, liegen weder leere Bierflaschen noch Kippen herum.

Die Struktur des Vereins ist gemischt. Familien mit Kindern sind ebenso dabei wie Singles, das älteste Mitglied ist 82. „Was ein bisschen fehlt, sind die Jugendlichen“, sagt Schulz bedauernd. Aber das wird sich womöglich entwickeln, denn der Waldgarten arbeitet im Rahmen der Umweltbildung auch mit Schulen zusammen. 

Neue Mitglieder sind übrigens willkommen. Und es dürfen durchaus Laien sein. „In der Gemeinschaft lernt man dazu“ sagt Angelika Dietz.

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