
© Katharina Noemi Metschl für Den Tagesspiegel
Auflösung des Weihnachtsrätsels: Diese Ausgegrenzten wurden gesucht
Menschen sind verschieden. Manche wollten in der Masse untertauchen, andere stellten sich bewusst ins Abseits. Nicht wenige wurden gegen ihren Willen dorthin geschubst.
Stand:
1 Eleanor Roosevelt (1884–1962)
Zwölf Jahre lang war sie First Lady Amerikas – und dann „First Lady of the World“, so der Ehrentitel der Menschenrechtlerin Eleanor Roosevelt. Aufgewachsen als Kind der High Society, kämpfte die 1,80 Meter große Dame gegen die Diskriminierung von Frauen, Schwarzen und Armen.
Kaum war sie mit ihrem untreuen Gatten Franklin D. Roosevelt ins Weiße Haus gezogen, hielt sie die erste ihrer rund 350 Pressekonferenzen, zu der nur Journalistinnen eingeladen war.

© Al Fenn
Als „Roosevelts Augen, Ohren und Beine“ reiste sie durch die Welt. Wie der linke Demokrat Adlai Stevenson nach ihrem Tod sagte: Statt die Dunkelheit zu verfluchen, hat sie lieber Kerzen angezündet.
2 Peter Sodann (1936–2024)

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Als Kommissar Bruno Ehrlicher zog er fünfzehn Jahre lang seine Bahnen, knurrig, anständig, eigensinnig. 45 Folgen lang, von 1992 bis 2007. Dann wurde der gute Ostler aus dem Programm genommen. Anfang der 1960er-Jahre saß er im Gefängnis in der DDR. Sein Kabarettprogramm war als „konterrevolutionär“ gegeißelt worden.
Aus der SED ausgeschlossen, parteilos geblieben, aber nach 1989 für die Linke/PDS engagiert. Seine Bibliothek mit geretteter DDR-Literatur überlebt ihn mit seinem Namen.
3 Fasia Jansen (1929–1997)

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Sie kam in Hamburg zur Welt und wuchs bei ihrer deutschen Mutter auf. Ihr Vater, ein liberianischer Diplomat, hatte die Familie früh verlassen. Aufgrund ihrer Hautfarbe wurde Fasia diskriminiert, die Ausbildung an einer Tanzschule musste sie abbrechen. Ein Jahr vor Kriegsende wurde sie zur Küchenarbeit für das KZ Neuengamme verpflichtet.
Später engagierte sie sich in der Friedensbewegung, machte sich einen Namen als Folksängerin und stand in den 60er-Jahren sogar mit Joan Baez auf der Bühne. 1991 erhielt sie das Verdienstkreuz am Bande.
4 Ludwig Viktor von Österreich (1842–1919)

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Er war der jüngste Bruder von Kaiser Franz Joseph I. Der Einzelgänger galt als exzentrischer Lebemann, war bekannt für rauschende Feste in seinem Palais in Wien. Die Sommer verbrachte er meist in der Nähe von Salzburg, wo man ihn als generösen Förderer der Kunst schätzte.
Die Familie nannte ihn „Luziwuzi“. Seine Homosexualität wurde innerhalb der Familie nicht thematisiert und toleriert, bis ein Offizier ihn in einer Badeanstalt nach einem „Annäherungsversuch“ ohrfeigte. Danach verbannte ihn der Kaiser nach Salzburg.
5 Janis Joplin (1943–1970)

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Hört man sie in alten Aufnahmen schreien und brüllen und weinen und wüten, liegt darin all der Schmerz und die Verachtung, die sie aus der US-amerikanischen Provinz mit sich trug. Als Blues- und Rocksängerin wurde sie weltberühmt, Verletzungen aus Jugendjahren wurde sie trotzdem nie los.
Der deutsche Schriftsteller John von Düffel hat in seinem letzten Buch an sie als Beispiel einer Außenseiterin erinnert. In ihren Songs drückte sie ihre „Botschaft dagegen“ aus, heißt es darin.
6 Anton Bruckner (1824–1896)

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Der Komponist mit der Stoppelfrisur und der unvorteilhaften Kleidung musste sich in Wien mit einer krassen Außenseiterposition begnügen. Doch das focht ihn nicht an: Konsequent und eigensinnig ging der tiefgläubige Katholik, der seit seinen Schülertagen im Stift St. Florian auch ein leidenschaftlicher Organist war, seinen Weg.
Er schrieb geistliche Musik und vor allem Symphonien, die musikalischen Kathedralen gleichen und heute Höhepunkte eines jeden Konzertprogramms sind. Zu denen, die Bruckner schon als Zeitgenossen geschätzt haben, gehörte Richard Wagner.
7 Petra Kelly (1947–1992)

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Sie war eine Lichtgestalt, überragte mit Intellekt, Ungeduld, Kompromisslosigkeit. Aus der freien Welt – die Familie war mit der zwölfjährigen Tochter in die USA gezogen – war sie 1970 ins dumpfe Deutschtum gekommen. Als Weltbürgerin wurde sie zur Außenseiterin.
Mittelmäßige, angepasste, kompromissbereite Politfunktionäre verschmähten Eigensinn und Idealismus. Sie verkörperte die reine Lehre der Grünen, unbedingten Pazifismus und Internationalismus. Heute erinnert man in der Partei ungern an frühe Überzeugungen. Ihr Tod wirft bis heute Fragen auf.
8 Gretel Bergmann (1914–2017)

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Für diese Deutsche musste die Latte besonders hoch gelegt werden. Und doch sollte die Ausnahmesportlerin bei den Olympischen Spielen 1936 nicht antreten. Sie war Jüdin. Weil die Amerikaner mit Boykott drohten, holte man Bergmann, mittlerweile als erfolgreiche Hochspringerin in England lebend, zurück.
Und versagte ihr perfiderweise die Teilnahme, nachdem das Schiff der US-Mannschaft in Amerika abgelegt hatte. Sie emigrierte in die USA und erhielt 1942 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Im Alter von 103 Jahren starb sie in New York.
9 Henry David Thoreau (1817–1862)

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Sein Vater, ein Bleistiftfabrikant in Massachusetts, finanzierte dem Sohn eine ausgezeichnete Ausbildung. Der vielseitig begabte Henry David studierte an der Harvard University und arbeitete zunächst als Lehrer. Wegen seiner Weigerung, Schüler körperlich zu züchtigen, quittierte er den Schuldienst.
Er predigte zivilen Ungehorsam und probierte ein Leben abseits der Zivilisation. Sein Werk „Walden. Oder das Leben in den Wäldern“ wurde ein Bestseller. Von seiner am See gebauten Blockhütte sind nur noch Fundamente übrig. Massen pilgern dorthin, „um Einsamkeit zu erleben“.
10 Lucius Quinctius Cincinnatus (um 519 v. Chr. – 430 v. Chr.)

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Der Patrizier diente der römischen Republik als Konsul, bevorzugte aber das Leben eines Bauern in Trastevere, damals vor der Stadt Rom gelegen. Als Rom durch benachbarte Stämme bedroht wurde, holten sie ihn als Führer zurück. Er errang einen raschen Sieg und gab sein Amt nach nur 16 Tagen wieder ab.
Angeblich soll er keine Bezahlung für seine Dienste bekommen haben. Viele Römer sahen in ihm ein Musterbeispiel für republikanische Tugenden. In seiner Abschiedsrede als Premier bezog sich Boris Johnson auf Cincinnatus und sagte, er werde nun „zu seinem Pflug zurückkehren“.
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