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Szene aus der Produktion „Misspiece“

© Klaudyna Schubert

Von Zugvögeln und Migranten: Ein Festival in Neukölln erkundet zeitgenössisches Musiktheater

Zum vierten Mal findet im November das „BAM!“ statt. Jenseits der drei großen staatlichen Häuser will es herausfinden, was Oper heute sein kann.

Stand:

„Where do we go from here?“ – das fragt in diesem Jahr das Berliner Festival für aktuelles Musiktheater, kurz BAM!. Zum ersten Mal haben die Festivalmacher ein Motto gewählt. Und gleich ein besonders vieldeutiges. In welche Richtung steuern wir, wie geht es weiter? Das lässt sich als Kommentar zur ungewissen politischen Weltlage lesen. Aber auch zur Situation der freien Szene in Berlin. „Wie können wir weiterhin Räume schaffen für unsere Kunst?“, fragt Annalisa Derossi.

Und Roland Quitt ergänzt: „‘Where do we go from here‘ ist außerdem der Titel eines berühmten Aufsatzes von John Cage, dem Vater der Performing Arts – darin ging es um die Zukunft der Musik.“

Der Heimathafen in der Neuköllner Karl-Marx-Straße ist einer der Spielorte des Festivals.

© imago

Derossi und Quitt leiten gemeinsam die vierte Ausgabe des BAM! Die Pianistin und Tänzerin ist neu dabei, sie kannte das Festival bisher nur als teilnehmende Künstlerin. Der Kurator und Dramaturg Quitt zählt zu den BAM!-Mitgründern. Beide sind außerdem im Vorstand des Vereins Zeitgenössisches Musiktheater Berlin (ZMB), der als Veranstalter hinter dem Festival steht.

Das BAM! kommt aus der Szene und wird von der Szene getragen.

Roland Quitt, Kurator und Dramaturg

„Das BAM! kommt aus der Szene und wird von der Szene getragen“, erklärt Quitt. Über das Programm entscheidet ein Auswahlgremium, dem neben den beiden noch drei weitere Juroren aus dem freien Musiktheater angehören. Eins der Ziele des Festivals ist es, die Vielfalt und die Internationalität all dessen abzubilden, was freies Musiktheater heute in Berlin ist und sein kann.

Neukölln ist weniger gentrifiziert

Die ersten drei Festival-Ausgaben fanden ab 2018 in Mitte statt – an ganz verschiedenen Orten, zwischen Volksbühne und eigens erschlossenem Kohlenkeller. Jetzt zieht das BAM! um, „ins weniger gentrifizierte Neukölln“, so Quitt. Über das Festival soll schließlich auch die Stadt erkundet werden, da liegt es nahe, sich nicht dauerhaft auf ein Viertel zu beschränken. Zudem bot der neue künstlerische Leiter der Neuköllner Oper, Rainer Simon, dem BAM! an, sein Haus zu öffnen. „Also dachten wir: Versuchen wir an dieser Stelle etwas Neues“, erzählt Quitt.

Die Produktion „Weltenwandern“ von DieOrdnungDerDinge ist beim Festival BAM! zu sehen.

© Paul Holdsworth

„Auf unsere Ausschreibung kamen über 100 Bewerbungen von Künstlerinnen, Künstlern und Gruppen. Das hat uns noch einmal gezeigt: Die Szene ist riesig – und es gibt mehr denn je Bedarf“, so Derossi. An vier Tagen sind 16 Produktionen zu erleben – nicht nur in der Neuköllner Oper, sondern auch im Heimathafen, im Thespis oder im Cank, dem ehemaligen C&A-Kaufhaus an der Karl-Marx-Straße mit seinen riesigen leeren Flächen.

Hier wird zum Beispiel die Produktion „B-Ebene. Underground-Stories Neukölln“ des Komponisten Hannes Seidl zu erleben sein – entstanden in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern des Albert-Einstein-Gymnasiums zwischen zwölf und 18 Jahren. Sie sind zusammen auf Exkursion in die U-Bahn-Station Hermannplatz gegangen, haben dort Beobachtungen gemacht und daraus ein Stück über Tagtägliches, Absurdes und Träume von einer besseren Zukunft entwickelt.

Aufgeführt wird „B-Ebene“ von der Manufaktur für aktuelle Musik und dem Neuköllner Kinder- und Jugendchor „Vokalhelden“, beteiligte Schülerinnen und Schüler stehen selbst auf der Bühne.

Auch bei der Gruppe „Sounding Situations“ geht es um Stadtraumerkundungen: „War Whispers“ führt das Publikum hinaus auf die Straßen Neuköllns – auf den Spuren eines Textes der verstorbenen libanesischen Schriftstellerin Etel Adnan. Es geht um den Krieg, der plötzlich nahe gerückt ist. Um die Frage, wie und wo man ihn sieht und hört.

Das Musiktheaterexperiment „Papuče Pantofi Power“ von Lisa Marie Stojčev und Eli Simić-Prošić lädt dagegen die Besucher im Puppentheater-Museum dazu ein, ihre Hausschuhe mitzubringen – und sich gemeinsam über Heimat und Zuhause Gedanken zu machen. Mit „Weltenwandern“ von DieOrdnungDerDinge ist erstmals eine Arbeit speziell für junges Publikum zu sehen. Die erzählt von Zugvögeln. Und von menschlichen Migrationsbewegungen.

Allein an diesen Beispielen wird die Bandbreite der Themen, Formen und Ästhetiken deutlich, von der Derossi und Quitt sprechen. Und die sie weiter fördern möchten. Zum Festival gehört diesmal außerdem ein Programm für Produzentinnen und Festivalmacher aus verschiedenen Ländern, die mit der Berliner Szene bekannt gemacht werden und idealerweise Arbeiten zu sich einladen sollen.

Quitt betont: „Wir versuchen, die Produktionsbedingungen für freies Musiktheater in Berlin zu verbessern, indem wir für Vernetzung sorgen“.

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