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Vier Männer in Berlin angeklagt: Wer steckt hinter mutmaßlichen Hamas-Terrorplänen in Europa?
Deutschland bleibt im Fadenkreuz der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Auch iranischer Staatsterrorismus gilt als Gefahr. Doch was hat es mit den mutmaßlichen Anschlagsplänen der Hamas auf sich?
Stand:
„Ich weiß, es war dumm und naiv von mir – ich bereue es sehr“, sagt der Angeklagte, als er berichtet, wie er im August 2023 erneut nach Bulgarien fuhr. Er habe dort nur Fotos gemacht, beteuert er. Fotos von der Stelle, zu der ihn Chalil al-Charras, den er als erfolgreichen Geschäftsmann mit guten Kontakten im Libanon kannte, bereits 2019 gelotst habe.
Zunächst habe er im Juni und Juli 2023 Ausreden gesucht, um dessen Wunsch abzulehnen, sagt der Angeklagte, der mit leichtem arabischem Akzent spricht. Doch er habe Schulden bei dem Mann gehabt und sei dann schließlich doch nach Bulgarien gefahren. Stundenlang liest der im Libanon geborene Beschuldigte im Hochsicherheitssaal des Berliner Gerichts, hinter einer dicken Glasscheibe sitzend, handschriftliche Notizen vor. Es ist die letzte Sitzung des Jahres im sogenannten Hamas-Verfahren des Kammergerichts.
Fortsetzungstermine sind aktuell bis März 2026 vorgesehen. Denn das Beziehungsgeflecht der Beschuldigten und ihrer Kontaktleute im Ausland zu entwirren, ist nicht einfach. Neben dem Hamas-Verdacht gilt es auch Hinweise auf etwaige andere kriminelle Machenschaften – Drogenhandel, Schleusung von Migranten – richtig zu deuten.
Den insgesamt vier Angeschuldigten in dem Verfahren wird die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zur Last gelegt. Ob ihnen eine Mitgliedschaft in der islamistischen Palästinenserorganisation am Ende nachgewiesen werden kann, ist allerdings noch offen. Denn es gab wohl auch andere Faktoren, wie Verwandtschaft, Geschäfte und persönliche Abhängigkeiten, die sie mit ihrem mutmaßlichen Auftraggeber aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Al-Raschidija im Libanon verbanden.
Geschäfte mit Mobiltelefonen und Zubehör
Er sei damals für Al-Charras nach Bulgarien gefahren, nicht für die Hamas, sagt der Angeklagte aus. Ihm sei zwar klar gewesen, dass der Mann, der im Libanon Handys aus China verkauft und ihm bei der Beschaffung von Dokumenten geholfen habe, zur Hamas gehörte oder zumindest gute Beziehungen in die Bewegung hatte.
Dass der Palästinenser, den das israelische Militär am 21. November 2023 im Südlibanon tötete, eine herausgehobene Position beim militärischen Arm der Hamas, den Kassam-Brigaden, innehatte, sei für ihn aber, als ihn die Nachricht von seinem Tod erreichte, neu gewesen. Die Europäische Union stuft die Kassam-Brigaden, wie die Hamas selbst, als Terrororganisation ein.
Auch von angeblichen Anschlagsplänen der Hamas in Europa will der Angeklagte nichts gewusst haben. Vor seiner Festnahme im Dezember 2023 arbeitete er in einem Berliner Restaurant und träumte nach eigener Aussage von einem besseren Leben mit Freizeit am Wochenende und lukrativen Geschäften mit Modulhäusern oder venezolanischem Öl.

© dpa/Paul Zinken
Haben Anhänger der Hamas, wie die Bundesanwaltschaft vermutet, Waffen für Terroranschläge in Deutschland und anderen europäischen Staaten beschafft? Und wenn ja, wer gab dafür den Befehl? Die Hamas veröffentlichte kurz nach den ersten Festnahmen eine Erklärung, in der sie jede Verbindung zu den Beschuldigten bestritt – doch das muss nichts heißen.
Den Fragen nach dem wer und warum geht nicht nur der 1. Strafsenat des Kammergerichts nach. In einem weiteren Ermittlungsverfahren wurden zwischen Anfang Oktober und Mitte November dieses Jahres insgesamt sechs Männer festgenommen, davon einer in London. Sie stehen ebenfalls im Verdacht, von Deutschland aus für die Hamas Schusswaffen und Munition beschafft zu haben.
Die Waffen sollten demnach – so teilte der Generalbundesanwalt nach den Festnahmen mit – mutmaßlich für Mordanschläge auf israelische oder jüdische Einrichtungen in Deutschland dienen. Gefunden wurden bei der Festnahme der drei Männer am 1. Oktober dieses Jahres in Berlin diverse Waffen, darunter ein Sturmgewehr sowie mehrere Pistolen und Munition in erheblichem Umfang. Auch hier wird eine Verbindung zu einem Hintermann im Libanon vermutet, womöglich sogar in dem gleichen Flüchtlingslager, in die auch schon die Spur im ersten Verfahren führt.
Um eine Verurteilung nicht nur wegen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, sondern auch wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu erreichen, müsste allerdings auch in diesem Verfahren eine Zugehörigkeit zur Hamas nachgewiesen werden – und geklärt werden, wer zu welchem Zweck den Auftrag für die Beschaffung der Waffen gegeben hat.
Vergrabene Waffen entdeckt
Erstaunlich ist: Über Kontakte zwischen den Verdächtigen in diesem Verfahren und den vier Männern, die im Dezember 2023 in Berlin und Rotterdam festgenommen würden, ist bisher nichts bekannt. Keine Erkenntnisse gibt es wohl bislang auch zu möglichen Verbindungen der insgesamt zehn Beschuldigten zu Menschen in Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen, die den deutschen Sicherheitsbehörden als mutmaßliche Hamas-Sympathisanten bekannt sind.
Die vier Männer, die jetzt in Berlin vor Gericht stehen, sollen spätestens ab dem Frühjahr 2023 in Polen versucht haben, ein Depot mit vergrabenen Waffen ausfindig zu machen, das dort vor längerer Zeit angelegt wurde. Fündig wurden sie dort allerdings nach Erkenntnissen der Ermittler nicht.
Der Angeklagte, der an diesem sonnigen Dezembertag in dem fensterlosen Berliner Gerichtssaal ausführlich vorträgt, soll an dem Ort in Bulgarien, wo er die Fotos gemacht hat, laut Anklage 2019 ein Waffendepot angelegt haben, was er bestreitet. Die bulgarischen Behörden stellten dort später mehrere Schusswaffen sicher, darunter ein Sturmgewehr.
Bislang galt Deutschland für die im Bundesgebiet ansässigen rund 500 Hamas-Mitglieder nach Einschätzung des Verfassungsschutzes als Rückzugsort, an dem höchstens versucht wurde, Propaganda zu betreiben und Spenden zu sammeln. Um auch dies zu unterbinden, waren in den Jahren 2002 und 2005 zwei der Hamas nahestehende Vereine verboten worden.
Seit 2001 auf EU-Terrorliste
Im November 2023, kurz nach dem terroristischen Überfall der Hamas und anderer Gruppen in Israel am 7. Oktober und dem anschließenden Gaza-Krieg, erließ die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zudem ein Betätigungsverbot für die Hamas, was etwa polizeiliche Maßnahmen bei Kundgebungen erleichtern sollte. Auf der EU-Terrorliste steht die aus der palästinensischen Muslimbruderschaft entstandene Bewegung, die einen militärischen Arm und eine teils im Ausland lebende politische Führung hat, bereits seit 2001.
Dass die verbliebenen Hamas-Führungspersonen im Gazastreifen oder Anführer der Bewegung in Katar hinter den mutmaßlichen Anschlagsplänen und verschiedenen Bemühungen zur Beschaffung von Waffen aus Deutschland heraus stecken, ist nach jetzigem Kenntnisstand wohl weniger plausibel, als dass Hamas-Kommandeure im Libanon den Auftrag gaben.
Auch auf die Frage, was die islamistische Bewegung, die sich bislang auf den Kampf gegen Israel fokussiert hat, zu einem Strategiewechsel und der Planung von Anschlägen in Europa bewogen haben könnte, gibt es bisher nur Theorien und keine Antworten. Vergeltung für den Krieg im Gazastreifen, dem neben Hamas-Kämpfern auch Zehntausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind? Eine Machtdemonstration, um zu zeigen, dass die Organisation auch nach der Tötung zahlreicher Anführer durch Israel weiter handlungsfähig ist?
Nicht ausschließen wollen deutsche Sicherheitsbehörden auch, dass die mutmaßlichen Pläne im Kontext der sogenannten Achse des Widerstands zu sehen sind. Sie hat mit dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad vor gut einem Jahr eine wichtige Stütze verloren. Aktuell zählen neben dem Iran noch die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah, die Huthi-Rebellen im Jemen, der palästinensische Islamische Dschihad und die sunnitische Hamas dazu. (dpa)
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