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Ein Mitarbeiter bei Siemens Power Generation . Berlin , Deutschland . Emplyee at Siemens Power Generation . Berlin , Germany . 19.10.2007 , , , Berlin Deutschland PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xLiesaxJohannssenx

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© imago/photothek/Liesa Johannssen

Voll ausgelastet bei Siemens: Belegschaft ächzt unter Auftragsflut

Der Konzern erwirtschaftet erstmals mehr als zehn Milliarden Euro Gewinn und wächst enorm. Die Betriebsratschefin klagt über fehlendes Personal.

Stand:

Die Rezession in Deutschland betrifft nicht alle. Und die Abschwächung der Weltwirtschaft bremst auch nicht zwingend jeden Weltkonzerne. Siemens zum Beispiel hat für das abgelaufene Geschäftsjahr (zum 30.9.) gerade eben einen Bruttorekordgewinn von gut zehn Milliarden Euro gemeldet. Das gab es noch nie. Das Geschäft in den drei Sparten Digitale Industrien, Smarte Infrastruktur und Mobilität (Schienenverkehrstechnik und Züge) läuft wie geschmiert - und bringt spezielle Probleme mit sich. „Der Auftragseingang ist enorm, überall fehlt Personal“, berichtet die Betriebsratschefin Birgit Steinborn. „Die hohe Arbeitsbelastung brennt den Leuten besonders unter den Nägeln.“

Mit rund 350 Betriebsräten aus 65 Siemens-Standorten hat Steinborn in dieser Woche bei einem Treffen in Berlin die aktuelle Situation im Konzern diskutiert. Seit Februar 2021 gibt Roland Busch als Vorstandsvorsitzender die Richtung vor und den Ton an. Busch folgte auf Joe Kaeser, mit dessen Portfoliomanagement, der Ausgliederung und dem Verkauf von Konzerteilen, die Arbeitnehmervertreter viel gehadert haben. „Die Stimmung im Unternehmen ist mit dem Vorstandsvorsitzenden Roland Busch sehr viel besser geworden“, sagte Steinborn im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Pioniergeist, Zusammenhalt und Verantwortung – das sind die Werte, die wir mit unserem Next Siemens verbinden.“ Das gelte im Großen und Ganzen auch für Busch.

Birgit Steinborn führt seit 2014 den Gesamtbetriebsrat von Siemens. Seit 2015 vertritt sie die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Siemens AG.

© Tsp/Thilo Rückeis

Der Ingenieur Busch kommt bei der Belegschaft viel besser an als der Kaufmann Kaeser mit seiner ausgeprägten Kapitalmarktorientierung und Kostensenkungsprogrammen. Bereits zu Kaersers Zeit hatten die Betriebsräte einen mit 100 Millionen Euro ausgestatteten Weiterbildungsfonds durchgesetzt, aus dem noch immer geschöpft wird. „Durch unseren Zukunftsfonds werden Beschäftigte für die Veränderungen der Digitalisierung qualifiziert“, erläutert Steinborn, die seit 2014 und als erste Frau den Gesamtbetriebsrat führt. „Der Weiterbildungsfonds hat hinsichtlich der Beteiligung der Belegschaften und Qualifizierung einen Schub gebracht.“

55.000
Beschäftigte hat die Siemens AG in Deutschland

In der Siemens AG beschäftigt der Konzern hierzulande noch rund 55.000 Mitarbeitende, zuzüglich der Beteiligungsunternehmen wie die an der Börse notierte Siemens Healthineers sind es etwa 85.000. In Berlin, dem Gründungsort und größtem Produktionsstandort, zählt der Konzern derzeit 10.500 Mitarbeitende. „Was im Konzern noch immer fehlt, ist eine Deutschlandstrategie für mehr Beschäftigung“, sagt Betriebsratschefin Steinborn im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Denn durch Portfoliomaßnahmen und Ausgliederungen nehmen die Beschäftigtenzahlen des Konzerns im Deutschland weiter ab.“ Aktuell erwägt der Vorstand die Ausgliederung von drei Bereichen, darunter das Geschäft mit großen Motoren. 14.000 Mitarbeitende wären weltweit betroffen, davon 3200 in Deutschland und 400 im Berliner Dynamowerk.

„Wir können die Pläne nicht nachvollziehen“, sagt Steinborn dazu. Siemens produziere „die effizientesten und nachhaltigsten Motoren überhaupt“. „Wir fordern, dass die Bereiche im Konzern bleiben: Statt Umbau und Ausgliederungen brauchen wir sichere Zukunftsperspektiven für die Beschäftigten.“ Grundsätzlich traut die Betriebsrätin dass dem Vorstand zu. Die traditionellen Werte des Konzerns, der 1847 in Berlin gegründet wurde, spielte heute jedenfalls eine größere Rolle als noch vor zwei, drei Jahren. Neben dem Pioniergeist gehören für Steinborn Innovationsstärke und soziale Verantwortung dazu. „Den Fokus des Vorstands auf Mitarbeitende und Innovationen begrüßen wir.“

Veränderungen, und die Transformation ist im vollen Gange, funktionieren nicht ohne die Belegschaften. „Wenn man die Menschen gewinnen will, dann muss man sie einbinden“, sagt Steinborn. Information und Partizipation sind die Leitmotive jeder Betriebsratsarbeit. Und die Personalentwicklung. Im Moment hakt es, weil die Leute bis zum Anschlag arbeiten. „Es fehlen nicht nur Software-Entwickler, sondern auch Servicemitarbeitende und gewerbliche Fachkräfte“, berichtet Steinborn über die Zustände in den Siemens-Fabriken. Für die Älteren hat das bisweilen bittere Folgen: Sie wollen in Altersteilzeit gehen, für die es konzernweit eine Regelung gibt, doch der Arbeitgeber sperrt sich, weil die Kolleginnen und Kollegen gebraucht werden und deren Plätze kaum nachbesetzt werden können

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„Die Entwicklung der Beschäftigtenzahl in Deutschland spiegelt nicht wider, dass wir ein Wachstumsunternehmen sind“, ärgert sich Steinborn und fordert größere Anstrengungen in der beruflichen Ausbildung. Neben der aktuellen Belastung und der allgegenwärtigen Transformation beschäftigten sich die Siemens-Betriebsräte bei ihrer Berliner Tagung mit dem Thema Nachhaltigkeit. Der Konzern hatte die Möglichkeiten zum kostenlosen Laden der privaten E-Autos von Siemens-Mitarbeitenden auf den jeweiligen Werksgeländen abgeschafft. Das gab Ärger.

Der Vorstand gibt nach

„Nachhaltigkeit muss an den Standorten erfahrbar sein“, sagt Steinborn dazu. „Vor Ort brauchen wir sichtbare Veränderungen wie zum Beispiel e-Ladestationen oder das Solarpanel auf dem Dach.“ Der Vorstand reagierte schnell, die Beschäftigten dürfen ihre Autos weiter auf Konzernkosten aufladen. Auch das ist ein Beispiel für ganz spezielle Probleme, die andere Konzerne in diesem Herbst gerne hätte.

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