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Camae Ayewa alias Moor Mother tritt als Spoken-Word- Berserkerin auf.

© Bob Sweeney

Vom Clubsound bis zum Fagott-Drone: Das XJazz-Festival für jungen Berliner Jazz

In seiner zwölften Ausgabe entfernt sich das Kreuzberger Festival mehr als je zuvor von traditionellen Klängen und öffnet sich für Hip-Hop, Electronica, Soul, Pop und anderes. Ein Ausblick.

Stand:

Naturgemäß überschreitet ein Genre, bei dem die künstlerische Freiheit als Weg zur gesellschaftlichen Befreiung gewissermaßen in die Grundstatuten eingeschrieben ist, seine eigenen Grenzen. Und werden Grenzen weit genug überschritten, ist im Blick zurück kaum noch auszumachen, woher man eigentlich kommt.

Ein bisschen so könnte man beim Blick ins diesjährige Programm auch das XJazz Festival denken. Groß und stolz mag der Jazz hier im Namen stehen, mag er auch in den Biografien vieler der Musikschaffenden eine Rolle spielen.

Wer hier allerdings Trio- und Quartettsettings mit trockenem Instrumentalsound und virtuosen Soli von Bass und Schlagzeug erwartet, wird größtenteils enttäuscht. Mehr noch als in den Vorjahren sitzt der Fokus dieses Jahr irgendwo zwischen Hip-Hop, Electronica, Soul und Pop und weiter weg von angejazzten Spielarten der Neuen Musik, dem Free Jazz und anderen Avantgarden. Ebenso wie von traditionell populären Formen des Jazz, von Swing über Bebop zum seicht dahinplätschernden Fahrstuhlhintergrund.

Jazz für ein junges Publikum

Der, wenn man vom Festivalnamen eine Genrebezeichnung ableitete, XJazz will ein junger Jazz sein, einer, der einer Billie Eilish oder Tirzah hörenden Jugend auf Anhieb verständlich macht, was es mit der Jazz-DNS auf sich hat. So etwa mit der gebürtigen New Yorkerin und Wahlberlinerin Sorvina, die noch im ersten Track ihrer aktuellen Platte, „enjoy right now forever here today“ eine bluesig klingende, wunderbar Lo-Fi-produzierte Stahlsaitengitarre in Septakkorden zupft, um nach kurzem Zwischenspiel im Song „Running“ den Dancefloor zu beschwören. Dass auf der Platte ein fetter „Explicit-Content“-Sticker prangt, der Eltern zur freiwilligen Selbstkontrolle der Songtexte mahnt, die der Nachwuchs da hört, verleiht dem Ganzen natürlich besonderen Charme.

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Und, auch wenn dem musikalischen Spektrum des XJazz also auf den ersten Blick ein recht enger Fokus gesetzt zu sein scheint, auf diese eine Grenze von Jazz zu Pop und Avant-Pop, liegen zwischen Sorvinas Clubsound-untermalten Hip-Hop-Lyrics und den glasklaren Drones und Ambient-Palästen der Fagottistin(!) Joy Guidry doch Welten. Letztere übrigens vom Free Jazz kommend – aber, wie hat Bertolt Brecht noch gesagt: von etwas zu kommen bedeutet, es hinter sich zu lassen.

Und in diesen Zwischenwelten liegen tanzbare Acts wie das Duo Yukimi, das ähnlich wie Sorvina Hip-Hop mit Clubjazz verknüpft oder das Oktett The Ruffcats mit ihrem kreolisch geprägten Funk-Soul-Jazz. Andere, wie Jono McLeery oder Musclecars, verlieren sich dagegen in entspannter Elektro-Lounge- bis Emo-Pop-Manier auch mal in melancholischen Quintfallsequenzen.

Auch das Politische des Jazz findet hier statt

Die einmalige Kombination des neuseeländischen Pianisten Aron Ottignon mit dem senegalesischen Perkussionisten Bakane Seck dürfte das nordeuropäische Ohr auf weite Reisen schicken, während die beiden US-Spoken-Word-Giganten Lonnie Holley und Moor Mother sicher den ein oder anderen gesellschaftlichen Abgrund aufreißen werden – Wutklagen gegen Rassismus, Polizeigewalt, Diskriminierung und Ungleichheit jeglicher Art finden sich seit jeher in beider Wortkunst. Womit also auch das Politische des Jazz, das in seine Grundstatuten eingeschriebene, bei aller Grenzüberschreitung auch hier mit an Bord wäre.

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Sind die letztgenannten beiden längst weltweit anerkannte Institutionen – Holley Jahrgang 1950, Moor Mother 1976 – sind viele der Acts des XJazz, wie schon in den Vorjahren seit Gründung des Festivals 2014, in Berlin ansässig, jünger und entsprechend eher klein und unbekannt. Zumindest noch!

In so intimem, man will sagen, jazzigem Setting wird man einige davon in Zukunft womöglich nur noch selten erleben – zumal die, die mit ihrer Musik offenkundig eher die größeren, glamouröseren Popbühnen ansteuern als den versteckten Grassroots-Jazzclub, in dem die Gage, wie so oft, via Spendenbüchse eingesammelt wird.

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