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Geheimnisvoll. Die Mischung macht’s beim Porzellan…

© Volkmar Heinz

Thüringen: Ein paar Scherben zum Glück

Auf der Leuchtenburg, am Fuße der thüringischen Stadt Kahla, kann man jetzt Geschichte und Faszination des Porzellans erleben.

Gäbe es ein Ranking der sehenswertesten Herrentoilette – die im Besucherzentrum der Leuchtenburg würde ganz vorn mitmischen. Durch eine riesige Scheibe schauen die dort Geschäftigen über die grünen Weiten Thüringens. Der komplette Rundumblick bietet sich dem Besucher allerdings erst vom Bergfried aus, bis Rudolstadt und manchmal bis Weimar lässt sich schauen. Am Fuße des Berges dehnt sich die Porzellanstadt Kahla, und unmittelbar an der Burgmauer entlang zieht sich der Panoramaweg. Wer nicht von den Ausblicken beeindruckt ist, den interessieren vielleicht die Tafeln am Wegesrand, die von den vor 100 Jahren hier campierenden Wandervögeln erzählen, von teilweise nackt durch die Natur tanzenden Jugendgruppen. Leise klingen deren Wanderlieder aus Lautsprechern.

Auf dem Burghof hingegen tönt ein Duett für Bohrmaschine und Dudelsack. Der Dudelsack tutet, weil die Spielleute Balthasar und Almring nach jenen Winkeln zwischen den alten Mauern suchen, an denen ihre Instrumente am besten klingen. Hier und da sind auch noch Bauleute zugange. Zwar war am 3. April ein Etappenziel erreicht, nämlich die Eröffnung der ersten vier der „Porzellanwelten“. Doch die neue ständige Ausstellung wird einmal sieben haben.

Das soll die Rettung für die Leuchtenburg sein. Zwar gehörte sie nie zu jenen vielbesungenen alten Gemäuern an der Saale hellem Strande, wo die Dächer zerfallen waren und der Wind durch die Hallen strich. Aber ein Sehnsuchtsort für die Promis des Mittelalters oder der Romantik war sie auch nie. „Wir hatten keine Elisabeth, keinen Luther“, konstatiert die Direktorin Ulrike Kaiser. „Und auch Goethe machte einen Bogen um uns.“ Über die Jahrhunderte baute jeder der Burgherren um und an, so wie es ihm für seinen jeweiligen Verwendungszweck notwendig erschien: Befestigungsanlagen, Unterkünfte für die Wachmannschaften und ein Arbeitshaus für die Häftlinge des Zuchthauses, ein Hotel, eine Jugendherberge…

8,5 Millionen Euro fließen in den Leuchtenburg

Als dann 1997 die marode Jugendherberge geschlossen wurde und das Heimatmuseum immer weniger Besucher anzog, herrschte Tristesse auf dem Berg. 2007 sollte die gesamte Anlage, die im Besitz des Freistaates Thüringen war, versteigert werden. „Da tippelte gelegentlich eine Interessentin mit High Heels über das Pflaster“, erinnert sich die Direktorin, „und war verstört, dass sie nicht sofort mit ihrer Beautyfarm hier einziehen konnte.“

Doch schließlich meldete Sven-Erik Hitzer – Gastronom und schon damals Wirt der Burgschänke, Veranstaltungsprofi und Geschichtsfreak – sein Interesse an. In Rekordzeit schuf er eine gemeinnützige Stiftung, in der so mancher ehrenamtlich mitwirkte, der heute auf der Burg sein Brot verdient. Die Stiftung konnte die Anlage erwerben und bastelte ein neues Nutzungs- und Ausstellungskonzept. Für dessen Realisierung kam ideeller Rückenwind und reales Geld vom Land Thüringen.

Die Leuchtenburg, „Königin des Saaletals“, weithin sichtbar auf einer Anhöhe.
Die Leuchtenburg, „Königin des Saaletals“, weithin sichtbar auf einer Anhöhe.

© pa

„Und weil es hier oben zur Tradition gehört, dass jeder Burgherr Gebäudeteile hinzufügt“, sagt Ulrike Kaiser, „durften wir das auch.“ Mit dem Besucherzentrum auf dem Burgvorplatz ist seit 150 Jahren wieder mal ein Neubau entstanden. Allerdings richtet sich sein Grundriss brav nach dem des einstigen Zeughauses. Wo der ehemalige Pferdestall auf der Burgmauer klebte, ist inzwischen zusätzlicher Raum für die Ausstellung gewachsen und auch die moderne Technik versteckt sich hinter wohlproportionierten neuen Wänden. Die historischen Gebäudeteile sind saniert. Rund 8,5 Millionen Euro wurden und werden noch auf der Leuchtenburg investiert.

Dort, wo vor drei Tagen die Ausstellung öffnete, steht der Besucher dem Phänomen Porzellan bereits gegenüber. Zuerst begegnet ihm das Material als „Das Fremde“. In dieser Welt – ebenso wie „Das Alltägliche“ von der Berliner Agentur Triad gestaltet – führt ihn ein Schattentheater ins ferne China, und er findet als besondere Kostbarkeiten Stücke des auf einer Schiffsreise 1558 versunkenen und jüngst geborgenen Ming-Porzellans.

In der Ausstellung ist vieles zu begreifen

In der zweiten Welt, „Das Rätsel“, geht es um die Irrwege und Erfolge der Forscher beim Erfinden des europäischen Porzellans. Dort schaut der Besucher beispielsweise in einen Brennofen. Das heißt, auf einen Bildschirm im Modell solch eines Ofens. Aber die Glut reguliert er nicht etwa per Computer, sondern mit einem riesigen Blasebalg aus Holz und Leder, an dessen Griff er aus Leibeskräften ziehen muss. Nicht zu wenig, sonst härtet die Vase nicht ausreichend; nicht zu viel, sonst zerfällt die Kostbarkeit zu Asche.

Auch höfische Tischkultur wird in den „Porzellanwelten“ ausgestellt.
Auch höfische Tischkultur wird in den „Porzellanwelten“ ausgestellt.

© Volkmar Heinz

In der Ausstellung ist vieles im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen: Im Alchimistenlabor Zutaten für die Porzellanmasse abwiegen, durch ein Fernrohr die Handelsreisen der chinesischen Seefahrer nachverfolgen… Alles in allem eine moderne Präsentation, aber ohne überbordende Multimediamätzchen. Das weiße Gold als Kunstwerk wird beleuchtet, ohne jedoch seine Rolle als profanes Werkstück und profitable Ware im Schatten zu lassen. Man muss auch nicht verzückter Porzellannarr sein, um von der Ausstellung gefangen genommen zu sein. Interesse an Technik, an Historie, an Thüringens Wirtschaftsgeschichte genügen auch.

Und die Burg verändert sich noch weiter: „Der Prolog“ und „Das Archiv der Wünsche“ erweitern demnächst die Porzellanwelten; eine Backstube im Torhaus entsteht neu, und eine Lounge in der Ausstellung ergänzt die Burgschänke. Später wird die ehemalige Kirche mit sakraler Porzellankunst ausgestaltet und wieder geweiht. Der „Steg der Wünsche“, ein 20 Meter langer Skywalk, soll sich demnächst von der Burgmauer ins Tal hinausrecken. An dessen Spitze darf jeder in der Hoffnung auf glückbringende Scherben Porzellan in die Tiefe fallenlassen. Was die Direktorin dann vor dem Hinabwerfen auf ihren Teller schreibt? „Mindestens 150 000 Besucher im Jahr“, also dreimal so viele wie Ende der Neunziger.

Gezählt wird im Besucherzentrum, wo es – neben dem eingangs beschriebenen Ausblick – Einblicke in die „Porzellanwelten“ gibt. Und wer einkaufen möchte: 13 Thüringer Manufakturen bieten ihre Kreationen an. Das Sortiment reicht vom Fingerhut für 6 bis zur Vase für 1360 Euro. Porzellanwelten halt.

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