zum Hauptinhalt
Fränzi Kühne ist Gründerin der Digitalagentur (TLGG) und Mitglied im Aufsichtsrat der Freenet AG.

© Kai-Uwe Heinrich

Franzi Kühne, Gründerin und Aufsichtsrätin: „Ich hatte nie das Gefühl, nur die Quotenfrau zu sein“

Franzi Kühne ist bei der Freenet AG Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin. Im Interview spricht sie über ihre Gründerinnen-Erfahrung, Sensoren in Mülltonnen und den Vorwurf, eine Rabenmutter zu sein.

Frau Kühne, Sie sind Mutter, Chefin einer Digitalagentur, Aufsichtsrätin. Wäre Ihr Leben nach Plan verlaufen, wären Sie Kriminalkommissarin.

Ich wurde nach dem Einstellungstest abgelehnt, weil ich angeblich zu stressresistent sei. Ich musste beim Bundeskriminalamt einen Psychotest zum Ankreuzen machen, und in manchen Szenarien hätte ich zu wenig Adrenalin ausgeschüttet. In gefährlichen Momenten würde ich zu langsam reagieren, hieß es.

Enttäuscht, dass Sie nun keine spektakulären Mordfälle lösen werden?

Ich hatte damals keine konkrete Vorstellung, was ich später machen möchte. Zum BKA wollte ich, weil ich beim „Tatort“-Gucken immer die Erste war, die den Täter erraten hat. Mit Anfang 20 war das ein „Ich probier’s mal“

Sie haben Jura studiert, aber hingeschmissen, weil Sie 2008 die Digitalagentur „Torben, Lucie und die gelbe Gefahr“ gegründet haben. War das wieder so ein naiver Einfall?

Ich würde es idealistisch nennen, und ich hab die Entscheidung nie bereut. Während meines Studiums lernte ich meine Mitgründer Christoph Bornschein und Boontham Temaismithi kennen. Wir haben bei dem Online-Gaming-Unternehmen Frogster gearbeitet und dort das Marketing aufgebaut. Irgendwann dachten wir: Was wir hier machen, können wir auch selbst probieren, mit eigenen Kunden.

Und so gründeten Sie mit 25 zu dritt ein Unternehmen. Ohne viel Ahnung.

Ich wusste nicht, was eine GmbH ist, oder dass man zum Notar gehen muss, damit der den Namen der Agentur beglaubigt. Aber wir hatten Glück, das Timing war perfekt, es hat funktioniert.

Hat sich der Notar über Ihren Namen gewundert?

Der Notar sagte, das sei der lustigste Firmenname, den er seit „Apollo 13 GmbH“ gehört hätte. Die Namen Torben und Lucie standen auf zwei Eierbechern, die Christoph und ich für unsere Studenten-WG gekauft hatten. Falls jemand mal einbrechen sollte, wollten wir, dass die Diebe wenigstens denken, sie hätten Torben und Lucie beklaut. Mit der gelben Gefahr ist Boontham gemeint. Er ist Asiate und fand das lustig.

Heute erklären Sie Bundesministerien und Dax-Konzernen die digitale Welt.

Als wir sahen, wie Facebook wuchs, wussten wir: Was da passiert, wird die Welt verändern. Und wir machen mit. Heute sind wir Kreativagentur und Unternehmensberatung. Wir helfen zum Beispiel der Deutschen Bahn, sich in den sozialen Netzwerken als Arbeitgeber aufzustellen. Junge Menschen erreichen Sie nicht mehr über Fernsehspots oder Werbetafeln.

Mit der Verantwortung für eine Tochter und 190 Mitarbeiter: Immer noch zu stressresistent?

Ich würde sagen, ja, aber ich habe mir auch Techniken angeeignet, die helfen. Ich bin immer sehr bei dem, was ich im Moment mache. Wenn ich mit meinem Kind zusammen bin, gucke ich nicht ständig auf mein Smartphone und lese keine E-Mails.

Auf der Arbeitgeberplattform „kununu“ bekommt Ihre Agentur vier von fünf Sternen. Ein Ex-Mitarbeiter war aber gar nicht zufrieden. Er schreibt von einer Klischee-Agentur, in der er unzählige Überstunden leisten musste.

Es gibt Pitchphasen, wo auch bei uns mal bis Mitternacht gearbeitet wird, aber die Überstunden werden danach mit freien oder kürzeren Arbeitstagen ausgeglichen. Keiner profitiert von einem Kollegen, der sich nach einem Zwölf-Stunden-Pitchtag am nächsten Morgen in die Agentur schleppt. In der Regel ist hier um 19 Uhr Schluss.

Hätten Sie sich selbst gern als Chefin?

Ich denke, ja. Ich bin strukturiert, verlange das auch von meinen Mitarbeitern. Dafür bin ich nicht sonderlich bossy oder eitel. Wenn 100 Leute in einem Raum sind, ist es wohl niemandem so egal wie mir, was die anderen über mich denken. Allerdings ist es für mich manchmal schwer, empathisch zu sein. Wenn Mitarbeiter mit beruflichen Problemen oder privaten Sorgen kommen, will ich sachliche Lösungen.

Vor einem Jahr wurden Sie beim Telekommunikationsunternehmen Freenet Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin. Ein Titel, der langsam nervt?

Überhaupt nicht. Ich habe die Position angenommen, um Vorbild zu sein. Um Frauen zu zeigen, dass sie in jungen Jahren genauso viel erreichen können wie Männer. Und es macht mir Spaß, pedantisch Geschäftsberichte zu prüfen.

„Als ich sagte, dass ich ein Kind bekomme, war das ein riesiges Drama“

Kind oder Karriere? Viele Frauen wollen beides.
Kind oder Karriere? Viele Frauen wollen beides.

© imago/Wolfgang Zwanzger

Sie bekamen den Posten auch wegen der Frauenquote. Seit 2016 müssen deutsche Konzerne das Gremium so besetzen, dass mindestens 30 Prozent der Mitglieder weiblich sind.

Die Frauenquote ist eine gute Sache, leider. Sonst ändert sich nichts. Ich hatte bisher aber nie das Gefühl, nur die Quotenfrau zu sein.

Haben Sie einen Moment gezögert und überlegt, ob das mit Ihrer Agentur und Familie zu viel wird?

Als Freenet anrief und fragte, ob ich mich für das Amt bewerben möchte, habe ich Rückfragen zu meiner Rolle und den Aufgaben gestellt. Dann habe ich zehn Minuten überlegt und zugesagt.

Bestimmt haben Sie das kurz mit Ihrem Lebenspartner abgesprochen.

Nein. Berufliche Entscheidungen treffe ich allein.

Ein Jahr in einem Aufsichtsrat: Wie war es?

Absolut aufregend, weil ich noch nie in einem Konzern gearbeitet habe. In der ersten Phase bin ich jede Woche an einem anderen Standort in Deutschland gewesen, um Freenet kennenzulernen. Dass man nicht einfach irgendwohin fahren kann, wusste ich nicht. Jeder Aufsichtsrat muss dieselben Informationen haben. Vier Mal im Jahr waren die offiziellen Sitzungen. Dazu kamen Meetings mit dem Vorstand, mit Abteilungen, die mich um Rat gefragt haben, und die Hauptversammlung. Das war im vergangenen Jahr ein extremer Tag. Ich stehe ungern im Mittelpunkt, hatte selten vor Gruppen geredet. Schon bei zehn Zuhörern fiel mir das schwer – und da sahen mich plötzlich 600 an.

Sie hatten mit einer Zustimmung von 99,72 Prozent am Ende das beste Ergebnis.

Ausschlaggebend war wahrscheinlich nicht meine Performance, sondern dass die Aktionäre mein Thema – die digitale Welt – neu und deswegen spannend fanden.

Weitere Aufgaben als Aufsichtsrätin bedeuten weniger Zeit in der Agentur und zu Hause.

Daheim haben wir im vergangenen Dezember eine Nanny engagiert. In der Agentur habe ich mehr Verantwortung an die Führungskräfte unter mir abgegeben, zwei Personen neu eingestellt, und bin nicht mehr so im Alltagsgeschäft drin.

Haben Sie etwas verändert?

Da darf ich nicht ins Detail gehen. Ich habe bei allem, was Digitalisierung betrifft, Tipps gegeben. Es ist toll, alte Strukturen aufzubrechen, Vorständen zu erzählen, wie die Zukunft aussehen wird. Das beginnt mit so banalen Themen wie der Möglichkeit, dass die Mülltonne geleert wird, wenn sie wirklich voll ist, weil sie das dem Abfallunternehmen über Sensoren meldet. Als Chefin, die Vorbild sein will, könnten Sie mehr tun. Zum Beispiel Frauen fördern. In unserer Agentur nicht nötig. Da arbeiten mehr Frauen, auch in den Führungspositionen, und wir bezahlen Frauen und Männer gleich. Wir haben kein formalisiertes Diversity-Konzept oder eine Frauen-Zuerst-Regel. Unser Gründungsteam ist gemischt – und das zieht sich durch die gesamte Mitarbeiterstruktur. In Unternehmen, wo nur Männer an der Spitze sind, werden oft Männer befördert.

Es muss doch Unterschiede geben!

Unterschiede gibt es auch bei uns noch. Zum Beispiel in Verhandlungsgesprächen. Männer sind dreister. Frauen gehen mit niedrigeren Gehaltsvorstellungen rein, sind nicht so hartnäckig, ziehen selten Pseudojoker wie „Ich habe da noch ein anderes Angebot“. In der nächsten Generation ändert sich aber was. Die jungen Frauen treten viel stärker auf.

Haben Sie in Ihrer eigenen Karriere mal gedacht: Einem Mann wird es leichter gemacht?

Ich fühlte mich nie benachteiligt. Es gab nur diesen Schwangerschaftsmoment. Als ich sagte, dass ich ein Kind bekomme, war das ein riesiges Drama. Meine Kollegen sahen die Agentur am Ende. „Willst du uns ruinieren?“, haben sie gefragt. Sie bereuen das mittlerweile. Weil sie sehen, dass es geht.

Die Schriftstellerin Eva Corini wirbt in ihrem Buch „Das Nacheinander-Prinzip“ dafür, nicht alles auf einmal zu wollen: beruflich durchstarten und eine Familie gründen. Sie haben sich auch entschieden, erst Karriere zu machen und dann ein Kind zu kriegen.

Nicht bewusst. Das ist ein Bauchgefühl, ob ein Kind gerade in das eigene Leben passt. Das hatte ich viele Jahre verneint.

Weil Ihnen die Arbeit wichtiger war.

Mein Partner und ich haben vor drei Jahren genau besprochen, wie das werden soll, wenn das Kind da ist. Wer welche Prioritäten hat. Für mich war klar, dass ich schnell wieder arbeiten möchte. „Torben, Lucie und die gelbe Gefahr“ steht bei mir ziemlich weit oben. Ich dachte damals sogar, dass die Agentur über meinem Kind stehen würde, aber das ist nicht so. Die Agentur ist meine Nummer zwei.

Und Ihr Partner die Nummer drei.

Nein, ich stehe auf Platz drei. Nur wenn es mir gut geht, kann ich auch eine gute Beziehung führen.

„Viele Eltern haben Angst vor den neuen Medien“

Nicht einfach nur rumdaddeln. Mit dem iPad können Kinder spielerisch Coden lernen.
Nicht einfach nur rumdaddeln. Mit dem iPad können Kinder spielerisch Coden lernen.

© pa/Rolf Vennenbernd/dpa

Wie lange haben Sie in der Agentur ausgesetzt?

Bis eine Woche vor der Geburt habe ich gearbeitet. Zurück wollte ich nach drei Monaten, bin aber schon nach zwei Wochen hin und wieder mal vorbeigekommen. Von Bekannten musste ich mir anhören: Du bist eine ganz schöne Rabenmutter.

Wie viel Zeit haben Sie für Ihre Tochter?

Morgens bringen mein Partner oder ich sie zur Kita. Er ist selbstständig und kann sich seine Zeit frei einteilen. Bei mir ist der Dienstag zum Abholen fix. Da gehen wir nachmittags zum Babyschwimmen. An den übrigen Tagen holt wer anders sie ab. Ich plane meine Mama, die Nanny, meinen Partner und mich in feste Schichten ein, die ich auf meinem Handy in einem Kalender speichere. Ist viel Logistik, nur so funktioniert es.

Zwei von drei Eltern gaben in einer repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid 2017 an, dass sie Probleme haben, Familie und Arbeit gerecht zu werden.

Was mir hilft: Einmal in der Woche kommt ein Putzmann. Seit einem Jahr bringe ich die gesamte Wäsche kiloweise in die Reinigung. Vielleicht klingt das versnobt, doch wenn ich abends und am Wochenende Zeit für meine Familie habe, will ich keine Wäsche aufhängen.

Eine Nanny, eine Putzfrau, eine Mutter in der Nähe, ein Mann, der mit anpackt. Eine Alleinerziehende hat im Zweifel nichts von alldem.

Vor Alleinerziehenden habe ich enormen Respekt. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie sie das hinkriegen! Für mich wäre es schon der Super-Gau gewesen, zu wissen, dass das mit dem Kitaplatz nicht rechtzeitig klappt.

Sie leben nicht im hippen Kreuzberg, sondern haben ein Haus weiter außerhalb, in Biesdorf.

In Kreuzberg zu arbeiten, reicht mir völlig, das Trubelige, die Touristen. Zum Feierabend fahre ich gern raus in mein Spießerparadies.

Bei der Arbeit denken Sie den ganzen Tag digital. Leben Sie dort dann analog?

Was ich da analog mache, ist Tagebuchschreiben und lesen. Gern Bücher und Zeitschriften, ich brauche das Haptische.

Ihre Tochter auch, oder wischt sie nur über das iPad?

Meine Tochter hat noch ganz normale Bücher aus Papier, sie kriegt das iPad unter der Woche jeden Tag für eine Viertelstunde und kann mit Apps spielen. Viele Eltern haben Angst vor den neuen Medien, das ist nicht zeitgemäß. Wichtig ist, dass es klare Regeln gibt, sonst würde sie es den ganzen Tag haben wollen. Ständig blinkt was bunt, bewegt sich, macht Geräusche. Ein Ritual ist, dass sie vor dem Schlafengehen in der App „Schlaf gut“ Tiere auf einem Bauernhof ins Bett bringt. Da freut sie sich jeden Abend drauf, und danach weiß sie: Jetzt geht es für mich ins Bett.

Sie wollen mit Ihrer Tochter früh programmieren.

Ein Coding-Set habe ich schon, aber leider geht das erst, wenn sie vier ist. Wir bauen dann eine Armbanduhr aus Plastik und Sensoren zusammen und senden ihr über ein Computerprogramm Befehle wie: Wenn meine Tochter hüpft, blink grün!

Die britische Gesundheitsorganisation hat auf der Basis etlicher Studien davor gewarnt, dass soziale Netzwerke das Seelenleben von Kindern negativ beeinflussen. Haben Sie Angst vor dem Tag, wenn Ihre Tochter nur noch auf ihr Smartphone starrt?

Man muss unterscheiden, was sie auf ihrem Smartphone macht. Natürlich möchte ich nicht, dass sie die ganze Zeit rumdaddelt und Videos anschaut. Nutzt sie Apps, die ihre Kreativität fördern, unterstütze ich das. Ich werde ihr auch ganz viel Selbstbewusstsein vermitteln, wie meine Eltern das taten, damit sie sich nicht von dieser perfekt inszenierten Welt in den sozialen Netzwerken beeinflussen lässt. Das wird für mich trotz meiner Arbeit aber eine Herausforderung, weil ich ja auch ohne Handy aufgewachsen bin.

Zur Startseite