
© Estate Will McBride/Shawn McBride
Will McBrides Berlin-Fotos : Die Euphorie des Aufbruchs
Will McBride machte vor dem Mauerbau in Berlin Bilder, die vor Lebenslust fast zu platzen scheinen. Das Bröhan-Museum zeigt sie in einer großen Ausstellung.
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Gemeinhin gelten die fünfziger Jahre im damals bereits geteilten, aber noch nicht von einer Mauer durchtrennten Berlin als graue Übergangszeit. Eine Ära zwischen dem Wiederaufbauwillen der Trümmerfrauen und der Rebellion der Studenten. Ausgerechnet in diesen Jahren hat Will McBride die Euphorie des Aufbruchs entdeckt.
Er fotografierte junge Menschen in allen Stadien der Ausgelassenheit. Fröhlich winkend bei einer Dampferfahrt mit Ragtime-Jazz. Selbstvergessen rauchend und Popcorn essend im Strandbad Wannsee. Sie tragen Bikinis und knappe Badehosen. Ein Junge sonnt sich auf dem Asphalt. Kinder in Karohemden bestaunen einen amerikanischen Panzer. Die Bilder sind schwarzweiß und scheinen vor Lebenslust beinahe zu platzen.
Abbilder von Erfahrungen
„Will McBride – Die Berliner Jahre“ heißt die beeindruckende Ausstellung im Bröhan-Museum, die den Fotografen aus Anlass seines zehnten Todestages würdigt. McBride, 1931 in Saint Louis geboren, war nach seinem in Würzburg absolvierten Wehrdienst bei der U.S. Army nach Berlin gezogen. „Ich ging nach Berlin, um nach dem Leben zu greifen, um ein Stück Erfahrung zu fassen“, erinnerte er sich später.
Die Menschen, die er aufnahm, fand McBride im eigenen Freundeskreis, darunter auch seine spätere Ehefrau Barbara. Seine Bildreihen fügen sich zu einer Art visuellen Tagebuch. Er arbeitete mit einer Kleinbildkamera, benutzte kein Teleobjektiv, suchte immer die Nähe. Ausstellungskurator Hans-Michael Koetzle vergleicht McBrides Werk mit dem von Nan Goldin. Nur, dass es McBride „nicht um Absturz, sondern Aufbruch“ gehe.

© Estate Will McBride/Shawn McBride
An der Stirnwand des ersten Ausstellungsraums hängt ein großformatiges Bild, auf dem die hochschwangere Barbara McBride in Jeans und Pullover ihren Babybauch präsentiert. Das Foto, veröffentlicht in der Zeitschrift „twen“, sorgte 1960 für einen Skandal, in den sich sogar die Bundesprüfstellung zur Verhinderung jugendgefährdender Schriften einschaltete.
McBride stieg zum prägenden Fotografen des ästhetisch avantgardistischen Jugend-Magazins „twen“ auf und lieferte noch intimere Bilder. Er zeigt Barbara im Kreißsaal bei der Geburt ihres gemeinsamen Sohns Shawn, Barbara und sich beim Sex. Selbst den Auszug seiner drei Söhne, die nach der Ehescheidung aus seinem Leben verschwinden, hält er fest.
Fotos als visuelles Tagebuch
Der spätere Fotograf hatte in den USA Malerei studiert und Privatunterricht beim berühmten Illustrator Norman Rockwell bekommen. Er war Existenzialist, „ohne Sartre gelesen zu haben“, wie Koetzle vermutet, und forderte vom Künstler, er solle mit seinen Bildern „nur eine einzige Sache ausdrücken (…): sein ganzes Selbst“. Fotografien verstand er in erster Linie als „Abbilder von Erfahrungen“.

© Estate Will McBride/Shawn McBride
Erfahrungen, die McBride dann lieber nicht mehr in Berlin sammeln wollte. Mit dem Mauerbau 1961 hatte der Ort für ihn alle Unbeschwertheit verloren. „Ich habe einen Blick auf die Mauer getan, bekam es mit der Angst und ging.“ McBride ließ sich in München, später in Frankfurt am Main nieder.
Die Illustrierte „Quick“, die sich zeitweise als Konkurrenz zum „Stern“ sah, schickte ihn 1963 nach Berlin zurück, um den Kennedy-Besuch zu begleiten. Er nahm John F. Kennedy, Konrad Adenauer und Willy Brandt vor dem vermauerten Brandenburger Tor auf. Adenauer guckt nussknackerhaft, Kennedys Präsidentenhaar wird von einem Windstoß dramatisch hochgewirbelt.
Kurator Koetzle war mit McBride befreundet, kaufte viele Fotos von ihm. Fast alle der mehr als hundert Ausstellungsstücke stammen aus seiner Sammlung. Dazu gehören neben Vintage-Abzügen auch viele Originalausgaben von Zeitschriften wie der „twen“. Auch eine Geschichte aus dem katholischen Jugendblatt „kontraste“ hat er aufgespürt. McBrides Bild dazu zeigt drei Jugendliche, die engumschlungen ihren Rausch ausschlafen.
Um die Jahrtausendwende kehrte Will McBride nach Berlin zurück. Da er inzwischen kaum noch Fotoaufträge erhielt, malte er Bilder, schuf Skulpturen und arbeitete an einem monumentalen, nie fertig werdenden „No War!-Monument“. In die Stadt gekommen war McBride einst, weil sie für ihn ein „fabelhafter Ort zum Leben“ war. Und auch, weil er dort „ungestört als Außenseiter leben“ konnte.
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