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Von der Stange weg. Mit Videoüberwachung versuchen die Händler Täter abzuschrecken.

© picture alliance / dpa

Alles nur geklaut: Ladendiebe verursachen Milliardenschaden

3,5 Milliarden Euro kostet der Ladendiebstahl die Händler im Jahr. Die Täter sind oft in Banden unterwegs.

Von Carla Neuhaus

Bei der Drogeriekette Rossmann lassen sie besonders gerne Rasierklingen und Hornhauthobel mitgehen. Beim Discounter Aldi sind Kaffee, Lachs und Spirituosen die Lieblingsprodukte der Diebe. Alles, was etwas teurer ist, und schnell in der Tasche verschwindet, wird eingesteckt. Und das trotz guter Konjunktur und geringer Arbeitslosigkeit. 3,5 Milliarden Euro: So groß ist der Schaden, der dem deutschen Einzelhandel allein im vergangenen Jahr durch Ladendiebstahl entstanden ist, zeigt jetzt eine Studie des Forschungsinstituts EHI aus Köln. Gegenüber dem Vorjahr ist das erneut ein leichter Anstieg des Schadens.

Dabei tun die Händler inzwischen einiges, um Waren und Mitarbeiter vor den Langfingern zu schützen. Spirituosen und Rasierklingen werden weggesperrt, Kleidung mit Sicherungen versehen, Detektive angestellt. 1,3 Milliarden Euro geben die Firmen dafür im Jahr aus. „Der Aufwand der Einzelhändler bei der Bekämpfung des Ladendiebstahls erhöht sich regelmäßig“, sagt Stefan Hertel, Sprecher des Handelsverbands HDE. Bringen würde das aber wenig, denn die Täter würden ihre Taktik einfach anpassen – vor allem die professionellen Diebe. Und genau die sind das große Problem.

Es sind viele Banden unterwegs

„Mit Jugendlichen, die als Mutprobe eine  Packung Zigaretten klauen oder Abhängigen, bei denen es um Beschaffungskriminalität geht, hatten wir schon immer zu tun“, sagt Günter Päts, der die Interessen der Einzelhändler in Berlin und Brandenburg vertritt. „Inzwischen sind aber immer mehr Banden unterwegs, die hochprofessionell vorgehen.“ Meist kommen sie zu mehreren in den Laden. Während die einen die Mitarbeiter in Gespräche verwickeln und sie so ablenken, räumen die anderen die Regale leer, berichtet Päts über die Erfahrungen.

Seine Schilderungen decken sich mit den Zahlen der Kriminalstatistik. Danach ist die Zahl der jährlichen Anzeigen wegen schweren Ladendiebstahls in den letzten zehn Jahren von 8.200 auf 20.100 gestiegen: Gemeint sind damit Fälle, in denen die Täter in Gruppen unterwegs sind, Vitrinen aufbrechen und Mitarbeiter bedrohen. Gemessen am entstandenen Schaden der Händler machen die Diebstähle, die von Banden verübt werden, laut EHI ein Viertel aus.

In Sekundenschnelle ist das Regal leer

Auch Cord Wöhlke, Geschäftsführer der Hamburger Drogeriekette Budnikowsky, hat mit dieser organisierten Kriminalität bereits Erfahrungen gemacht. „Da werden ganze Verkaufstheken mit Kosmetika oder anderen Produkten von mehreren Kriminellen in Sekundenschnelle abgeräumt“, zitierte ihn kürzlich das „Hamburger Abendblatt“. Die Mitarbeiter könnten kaum etwas tun – und das sollten sie auch nicht, schließlich wolle man sie nicht gefährden. Der Schaden sei derweil immens. „Da geht es um Waren im Wert von 1000 Euro oder mehr.“ Insgesamt gingen ihm auf diese Weise zwei Millionen Euro im Jahr verloren. Wöhlke fordert deshalb, die Polizei solle eine Sonderkommission gründen, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Wie er fühlen sich viele Händler von den Beamten im Stich gelassen. Die Täter würden viel zu schnell wieder laufen gelassen, meint Päts. „Da halten Händler die Diebe so lange fest, bis die Polizei kommt. Die Beamten nehmen sie mit – aber dann stehen die Täter zwei Stunden später wieder im Laden und bedrohen die Mitarbeiter.“ Frustrierend sei das. Zumal viele auch später nicht verurteilt würden oder mit Geldstrafen davon kämen. Päts hält das für fatal. „Wir müssen klar machen, dass Ladendiebstahl kein Kavaliersdelikt ist“, sagt er. Vor allem für schweren Diebstahl – wenn eine Bande unterwegs ist oder der Täter die Beschäftigten bedroht – müsste es Haftstrafen geben. Dabei werden die meisten Verdächtigen im Fall des Ladendiebstahls häufig gar nicht erst verurteilt. 380.000 Anzeigen wegen Diebstahls stehen 136.000 Urteile gegenüber.

Viele Händler verzichten auf die Anzeige

Die Folge: Viele Händler machen sich oft gar nicht mehr die Mühe, Anzeige zu erstatten, wenn sie einen Dieb auf frischer Tat ertappen. Das koste nur Zeit, ändere aber nichts, argumentieren sie. Beim Handelsverband rechnet man deshalb mit einer Dunkelziffer von 98 Prozent. Mit anderen Worten: Gerade einmal zwei Prozent der Ladendiebstähle werden zur Anzeige gebracht. Dabei entsteht nicht nur den Händlern ein Schaden sondern auch dem Staat – zumindest wenn man davon ausgeht, dass die Produkte ansonsten regulär verkauft worden wären. Das EHI-Institut schätzt, dass dem Fiskus auf diese Weise Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe von 475  Millionen Euro im Jahr entgehen.

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