Wirtschaft: Am Puls der Zeit
Mehr IT, mehr Technik, mehr Dienstleistungen: Die Arbeitswelt hat sich gewaltig verändert – und mit ihr auch die Wege in den Job
Manche Beruf haben sich aus dem Alltag verabschiedet. Wer bräuchte ihn heute noch, den Flößer, der gefällte Bäume zusammenbindet und sie auf Flüssen zu ihrem Bestimmungsort treibt. Oder den Siebmacher, der Küchengeräte herstellt. Auch Stubenmädchen gibt es nicht mehr. Raumpfleger heißen sie heute, oder spezieller noch: Fensterreiniger.
Mit der Technologisierung der Arbeitswelt, dem immer größer werdenden Angebot an Dienstleistungen und den immer mehr den Alltag bestimmenden Informationstechnologien, entstehen neue Berufe, andere verändern sich – oder fallen ganz weg. Und das ist naturgemäß auch mit den Ausbildungen so.
Zuständig dafür, dass die Ausbildungen auf dem neuesten Stand der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen sind, ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb). Im Auftrag der Bundesregierung passt das Institut gemeinsam mit Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und den Bundesländern die Lehre dem Bedarf an.
Dabei wartet viel Arbeit auf die Berufsveränderer. In Deutschland gibt es etwa 350 duale Ausbildungen, die im Betrieb und parallel in der Berufschule erlernt werden. In den vergangenen 15 Jahren wurden davon 82 Berufe neu entwickelt und weitere 230 modernisiert. Allein in diesem Sommer gehen wieder bis zu elf grundsätzlich veränderte Ausbildungen an den Start. Neu ist etwa die Lehre zum Milchtechnologen, zum Pferdewirt, Geomatiker und Technischen Konfektionär.
In den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik werde es in Zukunft den größten Bedarf geben, sagt die Leiterin der Abteilung Ordnung der Berufsbildung beim Bibb, Irmgard Frank. Sie empfiehlt daher jungen Menschen, besonders Frauen, sich hier umzuschauen.
MOTORRÄDER BAUEN
Eine Branche, die sich durch den Einsatz von Computersystemen sehr gewandelt hat, ist die Kfz- und Fahrzeugtechnik. Das hat auch die Ausbildung von Victoria Zimmer sehr verändert. Die 21-Jährige wird Kraftfahrzeugmechatronikerin. Sie ist im dritten Lehrjahr und arbeitet im BMW-Werk in Spandau. Wahrscheinlich hätte sie sich auch beworben, wenn die Ausbildung nicht vor ein paar Jahren modernisiert worden und noch unter der alten Bezeichnung „Kraftfahrzeugmechaniker“ angeboten worden wäre. „Mein Hobby sind Motorräder“, sagt sie.
Bis vor kurzem hat in der Ausbildung Elektronik kaum eine Rolle gespielt. Mit der Weiterentwicklung von Autos und Motorrädern, zum Beispiel durch Fahrassistenzsysteme, wurden die Anforderungen aber immer komplexer. Die strikte Trennung von Mechaniker und Elektroniker war in der Praxis nicht mehr aufrechtzuerhalten – und die beiden Berufsbilder wurden in einem neuen vereint. Für Victoria Zimmer ist das ein klarer Vorteil. Der Beruf ist durch das größere Aufgabengebiet für sie viel interessanter geworden. Sie lernt nicht nur, den Motor von Zweirädern auszubauen, sondern auch, wie man mit einem elektronischen Diagnosegerät auf Fehlersuche geht.
Zwei Wochen arbeitet die angehende Mechatronikerin von 6.30 Uhr morgens bis 14.30 Uhr im Werk, eine Woche ist sie in der Berufschule. Wer den Kraftfahrzeugmechatroniker als typischen Männerberuf sieht, liegt bei Zimmers Jahrgang völlig falsch. Fünf Azubis sind im dritten Lehrjahr, vier davon sind Frauen.
Wer in den Beruf einsteigen will, hat gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz. In Berlin werden regelmäßig Stellen in der Fahrzeugtechnik ausgeschrieben, sagt Christian Ruch vom Arbeitgeberservice der Arbeitagentur in Pankow. Die Anwärter sollten allerdings die mittlere Reife haben und gute Noten mitbringen. Meist werde sogar Abitur gefordert.
SOFTWARE ENTWICKELN
Auch in den IT-Berufen hat sich einiges geändert. Neben der Ausbildung an Schulen und Universitäten gibt es in diesem Bereich inzwischen vier neue Ausbildungsberufe. Und Azubis sind gesucht. Bei den Arbeitsagenturen sind Plätze zum Beispiel für mathematisch-technischer Softwareentwickler gemeldet. Diese seien jedoch oft schwer zu besetzten, da die gestellten Anforderungen in der Regel hoch seien: Abitur, in Mathe mindestens eine Zwei und entsprechende IT-Kenntnisse, sagt Ruch.
PERSONAL VERMITTELN
Aber auch in anderen Branchen gibt es neue und modernisierte Ausbildungen – und freie Ausbildungsplätze. Gesucht sind etwa junge Menschen, die bei Zeitarbeits-Agenturen einsteigen und als Personaldienstleistungskaufmann Mitarbeiter an Unternehmen vermitteln. Der Beruf wurde durch Zeitarbeitsfirmen wie Randstad und Manpower nachgefragt und deshalb 2008 neu geschaffen.
Sylvana Dopke hat sich nach ihrem Fachabitur für einen Beruf in der Metallindustrie entschieden. Die heute 20-Jährige stieß im Internet auf den Beruf Zerspanungsmechanikerin, bewarb sich um eine Stelle im Gasturbinenwerk von Siemens und wurde eingestellt. Dreieinhalb Jahre dauert die im Jahr 2007 modernisierte Ausbildung. Traditionell musste man in dem Beruf eher einfache Tätigkeiten ausüben. Heute sei der Anspruch hoch. „Die Aufgaben reichen an ingenieurnahe Bereiche heran“, erklärt Norbert Giesen vom Siemens-Ausbildungszentrum in Berlin. Der Konzern hat für 2010 noch Ausbildungsplätze frei.
Sylvana Dopke ist jetzt im zweiten Lehrjahr. Bisher hat sie die meiste Zeit im Ausbildungszentrum verbracht, sie lernt an hochmodernen, computergesteuerten Fräs- und Drehmaschinen, Metallstücke zu bearbeiten. Nach ihren Entwürfen am Rechner entstehen in den Maschinen die Bauteile. Dopke schätzt an ihrer Arbeit, dass sie am Abend sieht, was sie geschaffen hat. Dabei braucht sie heute vor allem technischen Sachverstand – und nicht viel Kraft, so wie früher.
Svenja Markert