Wirtschaft: Autoindustrie sucht ein neues Profil
Branche will in der Klimadebatte wieder in die Offensive gehen/VDA-Kongress in Sindelfingen
Stand:
Branche will in der Klimadebatte wieder in die Offensive gehen/VDA-Kongress in Sindelfingen
Sindelfingen - Die deutsche Automobilindustrie versucht, beim Thema Klimaschutz aus der Defensive zu kommen. Zugleich kritisiert sie die Zielvorgaben der EU zur CO2-Reduzierung als zu ambitioniert. „Der Klimawandel ist keine Science-Fiction, sondern unbequeme Wahrheit“, sagte Daimler-Chrysler-Chef Dieter Zetsche am Mittwoch auf einem technischen Kongress des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) in Sindelfingen. Die Autoindustrie sei sich ihrer Verantwortung bewusst und nehme diese sehr ernst. „Wir sind gut beraten, zuerst vor der eigenen Tür zu kehren.“ Die deutsche Autobranche und insbesondere die Premiumhersteller stünden allerdings wegen ihrer Verbrauchs- und Emissionswerte zu Unrecht am Pranger, kritisierte Zetsche, der auch VDA-Vizepräsident ist. Der Industrieverband hatte am Montag Ex-Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) zu seinem neuen Präsidenten gewählt. Vorgänger Bernd Gottschalk war wegen seiner defensiven Strategie in der Klimadebatte in die Kritik geraten und vor drei Wochen zurückgetreten.
Die deutschen Hersteller befürworteten bei der Reduzierung der CO2-Emissionen „klare und auch ambitionierte Ziele“, sagte Zetsche. Pauschale Grenzwerte, wie sie die EU fordere, seien aber nicht sinnvoll. Der Energiebedarf von Autos sei so unterschiedlich wie die Mobilitätsbedürfnisse der Kunden. „Auch der Reichstag verbraucht mehr Energie als ein Reihenhaus“, sagte Zetsche. VDA-Geschäftsführer Thomas Schlick nannte die Klimaschutzziele der EU „mehr als ambitioniert“. Laut EU-Vorschrift darf der Kohlendioxidausstoß von Neuwagen ab 2012 den Wert von 130 Gramm pro Kilometer nicht übersteigen. Deutsche Hersteller wie BMW (192 Gramm), Mercedes-Benz (185 Gramm) oder Audi (177 Gramm) überschreiten mit ihren Fahrzeugflotten diesen angestrebten Grenzwert noch deutlich. Die EU gehe weit über das hinaus, was in den USA, China oder Japan geplant sei, kritisierte Schlick. „Ein einzelner Grenzwert für alle Fahrzeuge, gleich welcher Größe und Kategorie, wäre der falsche Weg.“
Ungeachtet der Fortschritte der Autohersteller bei der Reduzierung von Verbrauch und Emissionen appellierte der Europachef von Ford, John Fleming, an seine Branchenkollegen, „radikal anders zu denken“ und stärker als bisher die Initiative zu ergreifen. „Der Druck wächst“, warnte Fleming. „Klimaschutz wird zu einer Frage des Überlebens der gesamten Industrie.“ Er plädierte für eine Strategie, die neben optimierten Fahrzeugen auch neue Kraftstoffe in die Betrachtung einbeziehe. „Wir müssen enger mit den Mineralölfirmen kooperieren.“ Außerdem müsse die Industrie offensiver ihre technischen Lösungen kommunizieren.
Daimler-Chef Zetsche verwies auf den jährlichen Forschungs- und Entwicklungsetat der deutschen Autoindustrie in Höhe von 16 Milliarden Euro. Innovative Technik habe den Kraftstoffverbrauch von Neufahrzeugen in den letzten 30 Jahren um 40 Prozent gesenkt, jeder zweite Pkw in Deutschland verbrauche heute weniger als 6,5 Liter. „Beim CO2-Wert pro Tonne Fahrzeuggewicht liegen die Deutschen mit 121 Gramm pro Kilometer insgesamt deutlich unter den Wettbewerbern aus Japan und Korea.“ In der Pflicht stünden aber nicht nur die Hersteller, sondern auch die Autofahrer und der Staat. „Eine umweltbewusste Fahrweise spart mehr CO2 als ein generelles Tempolimit von 120“, sagte Zetsche.
Günther Oettinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, verwies darauf, dass Pkw nur zu zwölf Prozent am gesamten CO2-Ausstoß in Deutschland beteiligt seien, mehr als 40 Prozent stammten aus der Energieerzeugung. Der CDU-Politiker bekräftigte seine Forderung, die Verkürzung der Laufzeiten für Kernkraftwerke müsse zurückgenommen werden. „Deutschland darf seine Abhängigkeit bei der Energieversorgung nicht noch weiter ausbauen.“ Mit Blick auf die im September stattfindende Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) empfahl Oettinger den Konzernchefs, den Schwerpunkt in diesem Jahr auf die guten Verbrauchswerte zu legen. „Ich rate Ihnen, nicht die PS-Stärke deutscher Autos in den Mittelpunkt zu stellen.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: