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2020 wurden in Deutschland 8,7 Milliarden Liter Bier abgesetzt – ein Rekordtief.

© Imago/photothek

Update

„Die Lage ist für die Brauer dramatisch“: Bierabsatz sinkt in Coronakrise auf Rekordtief

Die Kneipen sind zu in der Pandemie, Fußball findet vor leeren Rängen statt. Die Bierbrauer leiden darunter. Der Brauer-Bund warnt vor einem Brauereisterben.

Es war eine verzweifelte Aktion, mit der Warsteiner den Zorn der Konkurrenz auf sich zog. Um der Absatzflaute durch Corona zu trotzen, schenkte die Brauerei in einer Sonderaktion Kunden, die zwei Kästen Bier kauften, kurzerhand einen weiteren Kasten. Die Branche war empört. Warsteiner verramsche Bier, hieß es. Manch einer befürchtete, ebenfalls mit den Preisen heruntergehen zu müssen.

Spielraum haben die meisten Brauer nämlich nicht mehr. Die Coronakrise hat sie schwer getroffen. Im vergangenen Jahr sank der Bierabsatz auf den historisch niedrigen Wert von 8,7 Milliarden Liter, teilte das Statistische Bundesamt am Montag mit. Es war der niedrigste Wert seit der Neufassung des Biersteuergesetzes im Jahr 1993, das die Grundlage der Statistik bildet. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Menge um 5,5 Prozent.

Tatsächlich ist die Lage aber noch viel dramatischer als es die Absatzzahlen vermuten ließen, betont Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes. Einer Verbandsumfrage zufolge haben die Brauereien im vergangenen Jahr einen Umsatzeinbruch von durchschnittlich 23 Prozent erlitten. „Die Situation der deutschen Brauwirtschaft ist dramatisch und in der Nachkriegszeit ohne Beispiel“, sagt Eichele.

Ein letztes Glas im Stehen: Die Einschränkungen in der Gastronomie machen den Brauern zu schaffen.
Ein letztes Glas im Stehen: Die Einschränkungen in der Gastronomie machen den Brauern zu schaffen.

© dpa

Probleme haben vor allem die Unternehmen, die viel Fassbier verkaufen. Sie leiden nicht nur darunter, dass Kneipen und Restaurants geschlossen waren und niemand weiß, wie lange der aktuelle Lockdown noch anhält. Auch Volksfeste, Konzerte, Kongresse oder Fußballspiele, bei denen gern Bier getrunken wird, fanden beziehungsweise finden nicht statt. Oder sie gehen ohne Publikum über die Bühne.

Auch die Reiseflaute drückt aufs Geschäft. Dienstreisen fallen aus, Kreuzfahrtschiffe sind bestenfalls sporadisch unterwegs. In normalen Zeiten nehmen allein die Dampfer so viel Bier ab wie eine kleine Brauerei im Jahr produziert.

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Flaschenbier geht, Fassbier nicht

Während Unternehmen, die vor allem Flaschenbier brauen wie Oettinger oder die Brauerei Sternburg („Sterni“) vergleichsweise gut durch das Corona-Jahr gekommen sind, sieht es bei Brauern wie Warsteiner oder Bitburger, die stark im Geschäft mit Fassbier sind, schlechter aus. Was das Problem verschärft: Fassbier wirft höhere Margen ab als Flaschenbier, dessen Abfüllung und Vertrieb aufwändiger ist.

„Mit mehr als 50.000 Partnerbetrieben in der Gastronomie und Bitburger als Gastromarke Nummer eins in Deutschland hatten und haben die pandemiebedingten Schließungen der Gastronomie und das fast vollständige Erliegen des Veranstaltungs- und Festbereichs natürlich gravierende Folgen für unsere Unternehmensgruppe“, sagte Axel Dahm, Sprecher der Geschäftsführung der Bitburger Braugruppe, dem Tagesspiegel. Zahlen veröffentlicht das Unternehmen erst Anfang März. Nach Informationen des Fachportals „Inside“ hat Warsteiner im vergangenen Jahr aber über 16 Prozent weniger abgesetzt, während Veltins mit einem Absatzminus von 3,5 Prozent und Oettinger mit minus 1,5 Prozent glimpflicher davon gekommen sind.

Enorme Einbußen: Oliver Lemke, Chef von "Lemke-Bräu", setzt jetzt auf den Internethandel.
Enorme Einbußen: Oliver Lemke, Chef von "Lemke-Bräu", setzt jetzt auf den Internethandel.

© Thilo Rückeis

Auch der Berliner Brauer Oliver Lemke sagt, dass die neuen Zahlen des Statistikamtes nicht die ganze Wahrheit abbilden. Erst jetzt kommen nämlich die Rücklieferungen aus der Gastronomie bei den Brauern an. „Wir bekommen das Bier zurück, das im Oktober und November nicht verkauft werden konnte“, berichtet Lemke. Verkaufen kann man das nicht mehr. Vor der Coronakrise hatte Lemke einen Fassbieranteil von 70 Prozent, im vergangenen Jahr setzte die Berliner Brauerei 50 Prozent weniger Bier ab, obwohl mehr an den Handel ging.

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Brauer hoffen jetzt mehr auf den Handel

Unterkriegen lässt sich der Berliner aber nicht: „Wir bauen jetzt unser E-Commerce-Geschäft aus“, sagt Lemke. Weil Berlin als Marke zieht, sieht der Unternehmer auch Chancen im Ausland. Zudem hofft er auf die staatlichen Hilfen. Nach einer Änderung der Antragsvoraussetzungen kann er sich nun Hoffnung auf die November- und Dezemberhilfen machen.

Auch Bitburger baut auf den Handel. Man habe dort im vergangenen Jahr „deutliche Umsatz- und Absatzsteigerungen sowie Marktanteilsgewinne verzeichnen“ können, betont Dahm. Das wolle man in 2021 fortsetzen. Bitburger sehe sich „trotz der nach wie vor schwierigen Zeit“ für die Herausforderungen „gut vorbereitet.“

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Allerdings drücken die Händler die Preise. Im Edeka-Markt Brehm in Berlin-Zehlendorf kostet der Kasten Oettinger gerade einmal 6,49 Euro, Veltins gibt es für 9,99 Euro. Und auch Warsteiner ist günstig zu haben: Getränke Hoffmann verkauft den Kasten derzeit für 9,99 Euro. Große Sprünge sind bei diesen Preisen nicht drin,

Aber vor allem für viele kleinere Brauereien könnte es in diesem Jahr wirklich eng werden. Denn sie leben meist von der Belieferung der Gaststätten in der Region und von Volksfesten. Eine Pleitewelle ist bisher ausgeblieben, sagt Eichele. Aber das kann sich ändern: Spätestens dann, wenn die derzeit gelockerten Regeln für die Beantragung von Insolvenzen auslaufen oder das Kurzarbeitergeld nicht mehr so fließt wie bisher.

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