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Wirtschaft: Billig, pünktlich – aber eine Niete gezogen

Protokoll einer Reise von Berlin-Schönefeld nach London-Stansted

Es war ein Experiment: zwei Erwachsene mit Ryanair von Berlin nach London. Vergangenen Freitag hat die irische Fluglinie den Autor und seine Frau für zusammen 80,40 Euro zumindest in die Nähe geflogen, nach Stansted, 52 Kilometer nördlich von London. Sie hatten zweieinhalb Monate vorher gebucht, jeweils nur ein Stück Handgepäck dabei und online am Vorabend eingecheckt. Hier das Protokoll des Fluges FR 8543 von Berlin-Schönefeld nach London-Stansted.

8.55 Uhr. Die Sicherheitskontrolle passiert, weiter den einzigen Weg durch die dunstige Burger-King-Filiale hindurch, an der Passkontrolle vorbei am Abflugschalter angekommen. Die gerade gelandete Maschine aus London erreicht ihre Parkposition. Eine Boeing 737-800 mit 189 Sitzplätzen.

9.10 Uhr. Boarding. Die Maschine ist fast ausgebucht. Während die Passagiere einsteigen und sich einen Sitzplatz ihrer Wahl suchen, schallt aus den Lautsprechern Mozart. Ein Steward greift zum Mikrofon und ruft auf Englisch: „Bitte machen Sie den Gang frei, suchen Sie sich einen Platz.“ Dann wieder Mozart, Sekunden später unterbrochen durch eine Werbung vom Band: „Gin, Rum, Wodka, Whiskey, Cognac – buy one, get one free.“ Ryanair verkauft Schnaps in Tüten, kleine Plastikbeutel mit 25 Millilitern für 4,50 Euro das Stück. Einen zweiten Beutel gibt es gratis dazu – auf Wunsch auch im Pappbecher.

9.20 Uhr. Neue Ansage des Stewards: Gepäck unter dem Sitz des Vordermannes verstauen. Dann wird Mozart unterbrochen vom Band: „Dieser Flug wird Ihnen präsentiert von J2O und Ryanair.“ J2O ist ein Softdrink, der Orange und Passionsfrucht enthalten soll.

9.24 Uhr. Ein Kind schreit. Dazu schrille Werbung: „Starfish Telecom. Telefonieren Sie im Wert von 40 Euro für nur zehn Euro, fragen Sie das Kabinenpersonal.“ Das verteilt gerade Speise- und Getränkekarte: Ein Bier für 4,50 Euro, Merlot oder Chardonnay für 5,59, Piccolo Sekt für sieben, Wasser, Kaffee oder Tee (mit Fair- Trade-Siegel) gibt es für drei Euro.

9.30 Uhr. Der Steward kündigt an: Auf dem Flug wird es Rubbellose für zwei Euro zu kaufen geben. Möglicher Gewinn: ein Luxusauto nach Wahl im Wert von 40 000 Euro oder Bargeld.

9.35 Uhr. Auf die Minute pünktlich schließen die Türen, die Piloten stellen sich vor. Die Maschine rollt gen Startbahn. Den obligatorischen Sicherheitsinstruktionen durch das Bordpersonal folgt eine deutsche Ansage vom Band, offenbar von einer Osteuropäerin eingesprochen: „Bitte vergewissern Sie sich, wo sich die Schwimmweste tatsächlich befindet.“ Während man rätselt, wo die Weste wohl stecken mag, fügt die Stimme streng hinzu: „Mutwilliges Beschädigen oder Entfernen der Sicherheitsausstattung kann zur Strafverfolgung führen.“

9.40 Uhr. Die Triebwerke heulen auf, die Lautsprecher verstummen, der Flieger hebt ab.

9.55 Uhr. Im Bordmagazin ist eine Anzeige für das Rubbellos-Gewinnspiel. Im Kleingedruckten heißt es: Die Lose dürften nur im internationalen Luftraum verkauft werden. Zudem müsse ein möglicher Gewinner seinen Anspruch vor der Landung anzeigen und später für Promo-Aktionen zur Verfügung stehen.

10.07 Uhr. Der Steward sagt, dass gleich auch rauchfreie Zigaretten für sechs Euro angeboten werden. Die seien geprüft und „perfectly harmless“. Einige Passagiere greifen zu.

10.15 Uhr. Jetzt kündigt er Düfte an. Dior, Estée Lauder. Die seien „unwiderstehlich für die Ladys“, sagt der Steward. Und zu haben für 28,90 Euro unter dem regulären Preis.

10:49 Uhr. Jetzt die Rubbellose. Der Steward erklärt, Ryanair fördere mit dem Verkauf die „Jack & Jill“-Stiftung, die die Heimbetreuung geistig behinderter Kinder unterstütze, und die Blindenmission Orbis, an die man 2008 mehr als 905 000 Euro überwiesen habe.

10:52 Uhr. Rubbellos gekauft, Niete gezogen. Der Sinkflug beginnt.

11:05 Uhr. Die Maschine setzt auf. Während sie ausrollt, ertönt eine Fanfare. „Wieder ein pünktlicher Flug“, heißt es. Überpünktlich sogar. Im vergangenen Jahr seien 90 Prozent aller Flüge pünktlich gelandet, damit sei Ryanair „Europas führende Airline“. Kevin P. Hoffmann

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