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Ein dunkelhäutiger Mann hantiert mit einer Brille

© dpa (Martin Aufmuth / EinDollarBrille)

Brille für fast jede Sehschwäche: Das Ziel: Durchblick für alle

Eine innovative Brille aus den Niederlanden ist auf fast alle Stärken einstellbar. In der Entwicklungshilfe könnte diese Erfindung Großes bewirken.

Zenebework Haile-Michael trägt eine Brille. In den Niederlanden, wo sie seit gut 30 Jahren lebt, fällt das natürlich nicht weiter auf. In ihrer alten Heimat war sie damit eine Rarität. Sie konnte nur sehen, weil sie wohlhabende Eltern hatte. Äthiopien ist eines der Länder auf der Welt, wo überdurchschnittlich viele Menschen an einer Sehschwäche leiden. Brillen aber, die sieht man kaum. Und das würde Zenebework Haile-Michael gerne ändern. „Sozial erblindet“, sagt sie, seien viele Menschen dort. Was das heißt? Es dringt zwar noch Licht in ihre Augen, sie sind aber vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, können an der Tafel in der Schule nichts erkennen, lernen weniger und finden letztlich auch keine Arbeit. Für 80 Millionen Einwohner gibt es gerade hundert Optiker, auf dem Land fast gar keine. Weltweit, so die Schätzungen, brauchen mehr als eine Milliarde Menschen eine Brille, könne sich aber keine leisten. Deshalb ist Zenebework Haile-Michael nach Veghel gekommen, dessen Industriegebiet an der Autobahn zwischen Eindhoven und Nijmegen klebt.

Ein weißhaariger Mann mit kräftiger Brille
Jan in't Veld hat eine Million Euro in die Entwicklung der Brille investiert. Sein Stiefsohn hat sie erfunden.

© Christopher Ziedler

Die Behindertenwerkstatt eine Brillenfabrik zu nennen, wäre eine Übertreibung. Es handelt sich um eine einzige Maschine, mit der Gestell und Gläser zusammengepresst werden. Das Produkt ist umso verblüffender: Mit Drehknöpfen an beiden Bügeln lassen sich auf jeder Seite zwei übereinander liegende Gläser so verschieben, dass die Sehstärke individuell eingestellt werden kann. Das Ganze basiert auf den Erkenntnis von Luis Alvarez, der dafür 1964 den Physik-Nobelpreis erhielt. Zwei Modelle sind verfügbar, eins für Kurzsichtige bis minus fünf Dioptrien und eins für Weitsichtige bis plus viereinhalb Dioptrien. In diesem Bereich liegen 93 Prozent aller Sehschwächen.

Zuerst wollte keiner die Brille bauen

Die Idee dazu kam Frederik Asbeek im Jahr 2002. Er machte nach seinem Bachelor Urlaub in Tansania, spielte Fußball und wurde sich plötzlich bewusst, dass auf dem Platz außer ihm niemand eine Brille trug. Zurück an der Universität von Delft machte der Designstudent die Entwicklung einer billigen Brille für alle zu seiner Masterarbeit. Die Professoren jedoch hielten nur die Idee für gut, bauen wollte sie niemand mit ihm. Wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung veklagten sie später seinen Stiefvater Jan in’t Veld, als der versuchte, die Brille zu realisieren.

Der führt den Gast mit den äthiopischen Wurzeln in die Werkstatt. Der Rentner, der einst als Manager in der Stahlindustrie gut verdiente, hat gut eine Million Euro in die Entwicklung der Brille gesteckt und die Organisation „Focus on Vision“ gegründet. Seit 2008 wird produziert – für rund fünf Euro das Stück. Bei höheren Zahlen könnten die Kosten auf drei sinken. „Schon jetzt“, sagt Jan in’t Veld, „tragen 250 000 Menschen in 39 Ländern unsere Brille.“

Ihre Vorteile liegen auf der Hand. Es braucht keinen Optiker, die Stärke wird einfach selbst eingestellt. Zur Not reicht ein Exemplar für eine ganze Familie. Viele der 13 Mitarbeiter der kleinen Freiwilligenorganisation berichten von bewegenden Aha-Erlebnissen beim ersten Anprobieren.

Trotz der guten Sache: Optiker fürchten die Konkurrenz

Jan in’t Veld setzt ein braunrotes Modell auf und lässt sich fotografieren. Die Optik ist nicht die allercoolste, durch die Doppelverglasung scheinen die Augen ein wenig seltsam. Wichtiger ist der Vertrieb. „Focus on Vision“ tritt an Regierungen, Entwicklungshelfer, aber auch Handelsketten heran, die die Brille einfach ins Sortiment nehmen könnten. Doch die billige Konkurrenz gefällt manchen nicht – selbst wenn es um eine gute Sache geht. Viele Optikerverbände sind zurückhaltend.

Zenebework Haile-Michael wird ein paar Brillen mitnehmen und sie an Schulen in Äthiopien verteilen. Das Spenden gebrauchter Brillen für Afrika hält sie schon lange für Quatsch. „Um eine passende zu finden, musst Du mindestens zehn andere wegwerfen. Das ist extrem aufwendig.“ Das gilt aber auch für die Maßanfertigung, die sie mit ihrer kleinen Organisation in der Hauptstadt Addis Abeba betreibt. Zwischen fünf und 14 Euro kosten diese Brillen dann, doch die Stückzahlen sind sehr klein. Da kommt die verstellbare Brille für alle gerade recht. Zenebework Haile-Michael fragt, ob die Produktion auch in Äthiopien stattfinden können. „Wir könnten ein Joint-Venture beginnen“, schlägt der alte Jan in’t Veld vor.

Nähere Informationen unter www.focus-on-vision.org (auf Englisch). Dort kann man spenden oder auch selbst eine Brille kaufen. In Europa kostet sie im Einzelverkauf allerdings noch 29,95 Euro.

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