zum Hauptinhalt
Vorsitzende von zwei Millionen IG-Metall-Mitgliedern: Christiane Benner.

© Imago/Sepp Spiegl

Die IG Metall schlägt Alarm: „Wir müssen einigen Feuer unterm Hintern machen“

Die IG Metall vermisst „beherzte Entscheidungen“ in der Politik. Zudem beklagt die Gewerkschaft einen „Epochenbruch“: Viele Unternehmen hätten sich aus der sozialen Verantwortung verabschiedet.

Stand:

Seit der Energiekrise 2022 schlägt sich die deutsche Industrie mit zunehmend schlechteren Geschäftsbedingungen herum. Neben der teuren Energie belasten seit einem halben Jahr die Trumpschen Zölle die Exportwirtschaft. Dabei tritt das verarbeitende Gewerbe bereits seit 2019 auf der Stelle, und nun könnte sich der Arbeitsplatzabbau beschleunigen.

„Die Welle liegt noch vor uns“, sagt jedenfalls Jörg Köhlinger, IG-Metall-Bezirksleiter von Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Saarland.

Mit einer zweitägigen Konferenz unter dem Motto „Deutschland muss Industrieland bleiben“ versucht die IG Metall in dieser Woche in Berlin, einen Impuls zu setzen im von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausgerufenen Herbst der Reformen. „Wir müssen einigen Feuer untern Hintern machen“, sagte die Gewerkschaftsvorsitzende Christiane Benner. „Es werden zu wenig beherzte Entscheidungen getroffen.“

Einsatz für Industriearbeitsplätze ist auch Einsatz für Demokratie.

Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall

Die IG Metall fordert seit Langem einen Industriestrompreis von fünf Cent pro Kilowattstunde und Local-Content-Klauseln. Als Maßnahmen gegen die USA und China „brauchen wir Handelsschutz“, begründete Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall, die Klauseln. „Wenn jemand in Europa Industriegüter verkaufen will, dann muss ein Teil der Wertschöpfung in Europa stattfinden.“

Dazu ist die Bundesregierung ebenso wie beim Thema Industriestrompreis mit Brüssel im Gespräch, erläuterte Wirtschaftsstaatssekretär Frank Wetzel. Anfang kommenden Jahres könne die Industrie mit günstigeren Preisen rechnen, kündigte der Politiker an.

Im vergangenen Jahr sind in der Industrie 114.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, in der Regel gut bezahlte Jobs. Kerner schlug einen Bogen von der Industriekrise zum Erfolg der AfD. „Einsatz für Industriearbeitsplätze ist auch Einsatz für Demokratie“, sagte Kerner, der gleichzeitig eine höhere Konfliktbereitschaft der IG Metall gegenüber den Arbeitgebern ankündigte.

Verhalten der Arbeitgeber sei ein „Epochenbruch“

Was die Gewerkschaft zunehmend ärgert, ist der Umgang mit der Krise. „Die Aufkündigung von Sozialpartnerschaft in vielen Unternehmen hat eine neue Dimension erreicht“, sagt Bezirksleiter Köhlinger im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Bei Bosch, ZF oder anderen Zulieferern und Stahlherstellern wie Buderus Edelstahl erleben wir einen Epochenbruch.“

In den Coronajahren 2020 bis 2022 und auch in der Finanzkrise 2008/09 habe es das gemeinsame Ziel gegeben, Massenentlassungen zu vermeiden. „Das hat uns ermöglicht, nach der Bankenkrise 2010 wie Phönix aus der Asche aufzusteigen. Dieses Commitment gibt es aktuell nicht“, sagte der IG-Metall-Bezirksleiter zu den Abbauplänen der Autobranche.

Abschied vom Verbrenner-Aus 2035

Auf Verbandsebene dagegen funktioniert die Zusammenarbeit noch immer. Kürzlich hat die IG Metall gemeinsam mit dem Verband der Autoindustrie (VDA) in einem Positionspapier die Politik zu Korrekturen in der Regulatorik aufgefordert und für einen „pragmatischen Umgang“ mit Hybridfahrzeugen und „erneuerbaren Kraftstoffen“ geworben.

Das bislang in der EU vorgesehene Verbot der Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor von 2035 an wird damit implizit als nicht (mehr) erreichbar angesehen.

Bislang war die größte deutsche Gewerkschaft klar auf Kurs Elektromobilität gewesen. „Wenn wir versuchen, den Wandel zu verlangsamen oder sogar anzuhalten, gefährdet das den Industriestandort und Arbeitsplätze“, hatte Benner noch Anfang des Jahres im Gespräch mit dem Tagesspiegel gesagt.

Ähnlich äußert sich jetzt Köhlinger. „Wer Investitionen in den Elektrostrang vernachlässigt, der bekommt perspektivisch ein Problem.“ Für den Bezirksleiter ist die Gewerkschaft nach wie vor „strategisch konsistent: Wir haben immer gesagt, dass der elektrische Antrieb die Zukunft ist.“

Von zentraler Bedeutung ist der Aufbau einer resilienten und wettbewerbsfähigen Batteriewertschöpfungskette in Deutschland und Europa.

Aus einem Positionspapier vom Verband der Autoindustrie und der IG Metall

Die gemeinsame Erklärung von IG Metall und VDA widmet sich auch einem anderen Thema. „Von zentraler Bedeutung“ für die Autoindustrie sei „der Aufbau einer resilienten und wettbewerbsfähigen Batteriewertschöpfungskette in Deutschland und Europa“. Plädiert wird „insbesondere“ für eine Förderung der Batteriezellfertigung.

Eine solche Förderung mit vielen Milliarden Euro hat es indes nicht nur unter der Ampel-Regierung, sondern bereits durch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (2018 bis 2021, CDU) gegeben. Mit einem ernüchternden Ergebnis: Firmen wie Customcells, Varta, Northvolt oder SVolt, um nur einige zu nennen, strauchelten in die Insolvenz oder gaben ihre Batteriezellenpläne in Europa auf. Derweil vergrößert sich der Vorsprung der Unternehmen aus China und Südkorea.

Der chinesische Weltmarktführer CATL ist „die einzige große Batteriezellenfertigung in Deutschland, die auch deutsche Kunden beliefert“, berichtet Gewerkschafter Köhlinger über die Fabrik im thüringischen Arnstadt mit rund 1700 Beschäftigten.

Bei der Betriebsratswahl im CATL-Werk gewannen die IG-Metall-Vertreter zehn von 15 Mandaten. „Alles in allem ist das viel besser gelaufen als bei Tesla, wo das aggressive Verhalten gegenüber der IG Metall beispiellos ist“, erzählt Köhlinger. Die Chinesen seien zwar skeptisch gegenüber der deutschen Mitbestimmung, hielten sich aber an die Gesetze.

In diesem Jahr wollte ursprünglich ACC die Zellenfertigung in Kaiserslautern beginnen. Das Gemeinschaftsunternehmen von TotalEnergies, Stellantis und Mercedes hatte eine Förderzusage über 437 Millionen Euro bekommen für den Aufbau einer Fabrik am früheren Opel-Standort. Doch enorme Anlaufprobleme mit Ausschussraten über 50 Prozent in der ACC-Pilotfertigung in Frankreich haben die Investitionsbereitschaft der drei Partner schwinden lassen.

„Das Projekt ist noch nicht tot“, glaubt Köhlinger und hofft auf politische Initiativen. „Wir müssen alles tun, um Batteriezellenfertigungen in der EU aufzubauen.“ Angesichts der „geopolitischen Verwerfungen wäre es unverantwortlich, sich komplett von asiatischen Lieferanten abhängig zu machen“, sagt der Gewerkschafter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })