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Der frühere Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) hat unter anderem mit Peer Steinbrück Vorschläge für eine Staatsreform erarbeitet.

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Die Not ist groß, die Hoffnung auch: Ostdeutsche Konferenz diskutiert die Rolle des Staates

SPD-Vizekanzler Klingbeil und Ex-Minister de Maizière (CDU) sind sich einig: Ohne Bürokratierückbau, Digitalisierung und Investitionen kommt das Land nicht aus der Krise.

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Was kann der Staat, was kann er nicht? Was sollte er können und wo hält er sich besser raus? Auf diese großen Fragen hat Thomas de Maizière eine einfache Antwort: „Das, was der Staat kann, muss er können.“ Doch er kann es derzeit nicht, meint jedenfalls der frühere CDU-Bundesminister (Verteidigung und Inneres). Zu sorglos bei der Sicherheit, zu langsam bei der Digitalisierung, zu kompliziert die Zuständigkeiten im Föderalismus – Deutschland steckt fest.

Am dritten Tag des diesjährigen Ostdeutschen Wirtschaftsforums befassten sich die Teilnehmenden am Dienstag in Bad Saarow mit staatlichem Handeln als Standortfaktor, also weniger Bürokratie, schnellere Genehmigungen, digitalisierte Prozesse. „Deutschland braucht weniger Verwalter und mehr Möglichmacher“, sagte der neue Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil.

Wenn wir es nicht hinbekommen, das Leben einfacher zu machen, dann kommen die mit der Kettensäge und der Axt.

Lars Klingbeil, Bundesfinanzminister und Vizekanzler (SPD)

Der Sozialdemokrat bekräftigte das Ziel der neuen Regierung, in den kommenden drei Jahren die Bürokratiekosten um 25 Prozent zu reduzieren. Das entspricht Klingbeil zufolge zehn Milliarden Euro. „Wenn wir es nicht hinbekommen, das Leben einfacher zu machen, dann kommen die mit der Kettensäge und der Axt“, sagte Klingbeil mit Blick auf Elon Musk und Javier Milei und deren Sympathisanten in der AfD.

Der ehemalige Kirchentagspräsident de Maizière schöpft Hoffnung aus der Not: „Ich bin optimistisch, weil die Lage so schlecht ist.“ Mit einem Bild aus Alltag illustrierte er die Situation des Landes. Der Keller sei derartig voll gestellt mit Gerümpel, dass jetzt aufgeräumt werden müsse.

De Maizière hatte vor ein paar Monaten mit dem SPD-Kollegen Peer Steinbrück sowie der Medienmanagerin Julia Jäkel und dem ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle Vorschläge für einen effizienteren Staat vorgelegt, die sich teilweise im Koalitionsvertrag wiederfinden.

Der Druck ist jetzt so groß, dass wir gar nicht mehr anders können, als alte Zöpfe abzuschneiden.

Sven Schulze, CDU-Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt

Der „Wechsel von der Missbrauchs- zur Vertrauenskultur“ sei ein Kernelement, erläuterte de Maizière. Dazu gehörten Experimentierklauseln und Abweichungsregeln, um Entscheidern vor Ort mehr Spielräume und mehr Verantwortung zu geben.

De Maizières Lieblingsbeispiel stammt aus der Kita: Wenn die maximale Gruppengröße erreicht sei, aber ein weiteres Kind hinzukommen möchte, dann solle die Kita-Leitung mit der Kommune darüber entscheiden dürfen und nicht eine neue Gruppe aufgemacht werden müssen, für die es womöglich keine Erzieherinnen gebe.

100.000
Euro, ab diesem Betrag sollen in Brandenburg künftig öffentliche Aufträge ausgeschrieben werden. Bisher liegt die Schwelle bei 1000 Euro.

Einige Unsinnigkeiten bürokratischer Prozesse gab der brandenburgische Wirtschaftsminister Daniel Keller (SPD) zum Besten. Das Bundesland gebe im Jahr 1,2 Millionen Euro als Meistergründungsprämie aus, gleichzeitig belaufe sich der administrative Aufwand zur Prüfung der Anträge 800.000 Euro. Künftig will Keller die Anträge von einer KI prüfen lassen oder sogar ohne aufwändiges Procedere genehmigen.

Bislang, so führte Keller fort, müssen öffentliche Aufträge ab 1000 Euro ausgeschrieben werden. Diese Schwelle werde in Brandenburg auf 100.000 Euro angehoben, um schneller zu werden.

Vergabemindestlohn vor der Abschaffung

In dem Zusammenhang erwähnte Keller den Vergabemindestlohn von 13 Euro: Ausschließlich Unternehmen, die ihren Beschäftigten mindestens 13 Euro zahlen, bekommen öffentliche Aufträge. Der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro liege indes nur 18 Cent unter dem Vergabemindestlohn, dessen Kontrolle Aufwand bei Auftraggebern und Auftragnehmern verursache.

Da sich die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf bis zu 15 Euro abzeichne, erwäge er, das Vergabegesetz „komplett vom Tisch zu nehmen“, sagte Keller. „Das ist nicht so einfach für einen Sozialdemokraten.“

Die SPD hat im Koalitionsvertrag ein Bundestariftreuegesetz durchgesetzt, wonach künftig Aufträge des Bundes ab 50.000 Euro nur an Unternehmen vergeben werden, die ihren Belegschaften Tariflöhne zahlen. Damit soll die Tarifbindung stabilisiert werden. Die Ampel-Regierung hatte einen Schwellenwert von 25.000 Euro vorgesehen.

Der Schlüssel zu besseren Lebensverhältnissen ist Wachstum, und die Digitalisierung ermöglicht dabei höhere Produktivität sowie effizientere Prozesse. Trotzdem ist viel zu wenig passiert, im öffentlichen Sektor, aber auch in den Unternehmen. „Bei der Digitalisierung sind wir weltweit unter den letzten zehn Prozent“, sagte Fujitsu-Manager Santosh Wadwa in Bad Saarow. Um aufzuholen, „müssen wir dreimal so schnell sein wie die anderen“, meinte Wadwa. „Das wird nicht funktionieren.“

Vielleicht ein bisschen. Für Sven Schulze, CDU-Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt, gehört Optimismus zum Jobprofil. „Der Druck ist jetzt so groß, dass wir gar nicht mehr anders können, als alte Zöpfe abzuschneiden“, meinte Schulze. Auch dank Trump, Putin und Xi Jinping.

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