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Apple ist einer der wertvollsten Konzerne der Welt.

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Digitale Großkonzerne: Wie Apple, Amazon, Google und Facebook ganze Märkte privatisieren

In seinem Buch „Digitaler Kapitalismus“ beschreibt Philipp Staab, wie die Konzerne die Welt unter sich aufteilen. Doch ist das Phänomen neu? Eine Buchkritik.

Ob Überwachungsskandale, Arbeitsrechte, Steuerflucht oder Kartellermittlungen – die großen Internetkonzerne stehen fast täglich in den Schlagzeilen. In seinem neuen Buch „Digitaler Kapitalismus“ schreibt Philipp Staab, Soziologieprofessor an der Humboldt-Universität Berlin, die Digitalkonzerne läuteten eine neue Epoche des Kapitalismus ein. Amazon, Google, Apple und Facebook sowie ihren chinesischen Konkurrenten Alibaba und Tencent sei es gelungen, Märkte zu privatisieren. Somit, so schreibt Staab, sei die „neoliberale Epoche neutraler Märkte vorüber“.

Laut Staab kontrollieren im „konsumzentrierten kommerziellen Internet eine sehr kleine Zahl sehr großer Unternehmen den Zugang zu Gütern, Dienstleistungen und Infrastruktur“. Google und Apple dominieren mit ihren App Stores den Markt für Handy-Programme. Amazon und Alibaba dominieren den E-Commerce-Sektor. Und Facebook und Google haben den Markt für Online-Werbeanzeigen fast komplett unter sich aufgeteilt. Zudem expandieren die Digitalkonzerne in immer neue Märkte: Cloud Computing, Künstliche Intelligenz, Finanztechnologien wie Zahlungssysteme oder neue Währungen und digitale Infrastruktur.

Diese Expansion diene dazu, die Kunden und Produzenten noch enger in das eigene Ökosystem einzubinden und den Umstieg zu anderen Anbietern noch teurer und komplizierter zu machen, schreibt Staab. Ein Beispiel ist Amazons Cloud Dienst Amazon Web Services, mit dem so unterschiedliche Kunden wie Unilever, Netflix, die UNO oder das US-Verteidigungsministerium in das Ökosystem Amazons eingebunden werden.

Wer nicht im App-Store ist, existiert nicht

Die Macht der marktbesitzenden Leitunternehmen materialisiere sich über vier Kontrollmechanismen: die Zugangs-, Informations-, Leistungs- und Preiskontrolle. So könnten Apple und Google App-Anbietern den Zugang zu ihren App-Stores komplett verweigern. Apps, die dort nicht auftauchen, erreichen so wenige Kunden, dass sie quasi „nicht existieren“, schreibt Staab. Amazon nutze die Verkaufsstatistiken, um beliebte Produkte zu identifizieren und anschließend selbst herzustellen.

Konkurrenten würden so vom Markt verdrängt, da ihre Angebote durch die Provisionszahlungen an Amazon teurer sind. Eigenmarken seien auch ein Mittel, um die Preise auf der Amazon-Plattform zu diktieren. Bei den Konsumenten könnten die digitalen Leitunternehmen kontrollieren, wer welche Angebote zu welchen Preisen zu sehen bekomme. Kundenbewertungen erlaubten es den digitalen Plattformen, die Qualität der Produzenten zu messen und ihnen hohe Qualitätsstandards vorzuschreiben.

Da die Plattformen der digitalen Leitunternehmen eine sehr starke Kundenbindung ermöglichten, könnten es sich Produzenten kaum noch leisten, ihre Produkte dort nicht anzubieten. Die mit den vier Kontrollmechanismen einhergehende Macht über die Märkte, erlaube den digitalen Leitunternehmen dementsprechend hohe Profite. Hier sieht Staab das zentrale neue Merkmal des digitalen Kapitalismus: Profite ergäben sich nicht mehr durch eine möglichst effiziente Produktion, sondern durch die Privatisierung von Märkten.

Was bedeutet die Privatisierung von Märkten?

So überzeugend Staabs Analyse bis hierhin ist, bei der Erklärung, wie es zu privatisierten Märkten kommen konnte, bleibt sein Buch vage. Zwar beschreibt Staab die Rahmenbedingungen des Aufstiegs digitaler Konzerne. Er nennt beispielsweise öffentlich finanzierte Forschungsvorhaben, mit denen die technischen Voraussetzungen zum Aufstieg der Digitalkonzerne geschaffen wurden. Auch die Privatisierung technischer Infrastruktur oder die Rolle des Risikokapitals führt Staab als wichtige Rahmenbedingungen für den Erfolg der digitalen Leitunternehmen an.

Ebenso beschreibt der Autor die Logik hinter der Privatisierung von Märkten: Digitale Güter wie Apps, Speicherplatz in der Cloud oder Finanzdienstleistungen ließen sich ohne große Kosten millionenfach herstellen. Die Produkte der Leitunternehmen seien also nicht knapp und somit eigentlich nicht mit hohen Gewinnen zu verkaufen. Die Privatisierung der Märkte ermögliche es, diese nicht knappen Güter künstlich zu verknappen, indem der Zugang zu ihnen eingeschränkt werde. So überzeugend diese Analyse auf rein beschreibender Ebene sein mag, liefert sie keine Erklärung, welche politischen Weichenstellungen die Privatisierung von Märkten letztendlich ermöglichten.

Hat ebenfalls eine ziemliche Marktmacht: der deutsche Discounter Aldi.
Hat ebenfalls eine ziemliche Marktmacht: der deutsche Discounter Aldi.

© picture alliance/dpa

Auch bei der Beschreibung der sozialen Folgen der privatisierten Märkte bleibt Staabs Buch bruchstückhaft. Anekdotenhaft beschreibt Staab, dass digitale Tagelöhner in Niedriglohnländern hinter den Dienstleistungen der digitalen Leitunternehmen stehen.

Staab liefert eine überzeugende Beschreibung des Geschäftsmodells und der Expansion der digitalen Leitunternehmen ab. Gleichwohl gelingt es dem Autor nicht, seine These, die Privatisierung von Märkten leite eine neue Epoche des Kapitalismus ein, während der Neoliberalismus schon in „rauchenden Ruinen“ liege, argumentativ ausreichend zu unterfüttern. Es hätte dem Buch gut getan, die Unterschiede zwischen den digitalen, privatisierten Märkten und den traditionellen (Fast-)Monopolen anhand konkreter Beispiele zu erläutern.

Denn auch große Modeketten und Einzelhandelsriesen wie Aldi und Walmart zeigen zahlreiche Eigenschaften privatisierter Märkte. Durch ihre Marktmacht setzen sie Zulieferer unter Druck, zu bestimmten Preisen und Qualität zu liefern. Ebenso wie bei den App-Stores oder der Amazon-Plattform, können es sich Zulieferer auch bei den dominanten Einzelhandelsketten nicht leisten, ihre Produkte dort nicht angeboten zu sehen. Hier stellt sich dem Leser die Frage, ob die privatisierten digitalen Märkte wirklich etwas so revolutionär neues darstellen, wie Staab behauptet oder ob sie nicht vielmehr eine Weiterentwicklung traditioneller Marktdominanz darstellen.

Philipp Staabs "Digitaler Kapitalismus - Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit" ist bei edition Suhrkamp erschienen, hat 320 Seiten und kostet 18,00 Euro.

Nico Beckert

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