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Ausgezeichnet. Mitte August bekam Michael Vassiliadis von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil das Bundesverdienstkreuz.

© dpa

Gewerkschaft prescht vor: Entlastungsgeld für Chemiearbeiter

IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis sieht die Gesellschaft vor dem "größten Stresstest seit Jahrzehnten" und will deutliche höhere Tarifeinkommen.

In den im Herbst anstehenden Tarifverhandlungen will die Gewerkschaft IG BCE ein so genanntes Entlastungsgeld durchsetzen. Diese Sonderzahlung könnten die Beschäftigten analog zur Gasumlage und zur Mehrwertsteuersenkung von Oktober an bis März 2024 bekommen – sofern sich die Arbeitgeber darauf einlassen. Die Tarifverhandlungen für 580 000 Chemiearbeitnehmer waren im Frühjahr aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung unterbrochen worden. Im Oktober steht die Fortsetzung an und damit gleichzeitig zum „größten Stresstest für die Gesellschaft seit Jahrzehnten“, wie der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis am Donnerstagabend in einem Pressegespräch sagte. „Die soziale Frage ist mit voller Wucht zurückgekehrt.“ Darauf müssten sich die Gewerkschaften einstellen und sich stärker in die Diskussion darüber einbringen, was gerecht sei und wie man zusätzliche Aufgaben fair finanziere. „Wir wollen im Zentrum der Debatte stehen.“

Konzertierte Aktion trifft sich bald

Vassiliadis ist Mitte September beim zweiten Treffen der konzertierten Aktion im Kanzleramt dabei. Olaf Scholz hat die Sozialpartner eingeladen, um Maßnahmen zur Entlastung von Wirtschaft und Bevölkerung zu diskutieren. Als ein Instrument wird die Wiedereinführung der Coronaprämie erwogen: Tarifliche Sonderzahlungen werden von Steuern und Abgaben befreit. Das stellt sich Vassiliadis auch für das geplante Entlastungsgeld vor. Gleichzeitig will die IG BCE aber auch eine dauerhafte Erhöhung der Einkommen um mindestens 200 Euro pro Monat durchsetzen.
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Nach Einschätzung von Vassiliadis geht es den rund 1900 Chemieunternehmen hierzulande zumeist gut. Wie lange noch, sei indes offen, und Ausnahmen bestätigten die Regel: „Glas-, Keramik- oder Papierindustrie werden von den explodierenden Gaspreisen mit voller Wucht getroffen“, sagte der Gewerkschaftschef und forderte die Bundesregierung auf, auch dort Kurzarbeit zu ermöglichen, „wo die hohen Gaspreise zu Produktionsstilllegungen zwingen“. Der Anteil der Energie an den Gesamtkosten liege in der chemischen Industrie bei rund 30 Prozent, das Personal dagegen komme nur auf 14 Prozent. Eine ordentliche Tariferhöhung könnten die Unternehmen also verkraften, meinte Vassiliadis. Und wenn nicht, lasse man auf Antrag Abweichungen vom Tarif zu.

"Die Wirtschaft am Laufen halten"

Die schwierige Situation im bevorstehenden Herbst erklärt der Gewerkschaftschef, der Mitglied der Kohlekommission war und der SPD angehört, auch mit Versäumnissen und Fehlentscheidungen. Deutschland zahle jetzt den Preis dafür, „dass es die Energiewende versemmelt, moderne Gasförder- und CO2-Speicher- Technologien links liegen lassen und sich von Russland abhängig gemacht hat“. Die Kernaufgabe bestehe in den kommenden Monaten darin, die Wirtschaft am Laufen zu halten und Prioritäten zu setzen.

Um Steuergerechtigkeit bemühen

Das Wachstum hat sich in den vergangenen Monaten zunehmend abgeschwächt, eine Rezession steht bevor. Vor diesem Hintergrund die Schuldenbremse einhalten und auf Steuererhöhungen verzichten zu wollen, wie Finanzminister Christian Lindner (FDP) proklamiert, sei unmöglich. „Ein technokratisches Festhalten an der Schuldenbremse kann angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, keine progressive Politik sein“, meinte Vassiliadis. „Außerdem ist es überfällig, den Fokus in Fragen der Steuergerechtigkeit zu weiten – etwa, was die unterschiedliche Belastung der Faktoren Arbeit und Kapital angeht.“ Arbeit wird immer stärker mit Sozialabgaben und Steuern belastet, während auf Kapitaleinkünfte konstant eine Abgeltungssteuer von 25 Prozent zu zahlen ist.

Zur Übergewinnsteuer äußerte sich der Gewerkschafter skeptisch. Es gebe ja auch keine Untergewinnsteuer. Vernünftiger wäre es, über die Unternehmenssteuern insgesamt zu diskutieren und die Frage zu klären, was man besteuern wolle: „Produktionsfaktoren oder den Erfolg der Unternehmen“.

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